Süddeutsche Zeitung

RB Leipzig:Job-Sharing für Paris

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Die Belastung beeinflusst Leipzigs Stolpern in Frankfurt. Gegen die Eintracht ist RB überlegen - kommt aber nur glücklich zu einem Punkt.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Es war im Januar, als sich Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann nach einem Auswärtsspiel in Frankfurt zu einer ungewöhnlichen Rede veranlasst sah. 0:2 endete die Partie aus Sicht des damaligen Tabellenführers RB, der Vorsprung auf den FC Bayern war dahin, und im Anschluss monierte Nagelsmann Einstellung und Auftritt seines Teams mit kräftigen Worten. "Wir sind kurz vor dem Gipfel. Jetzt müssen wir uns entscheiden, ob wir ans Gipfelkreuz wollen - oder ob wir hier bleiben, was essen, was trinken und wieder runterlaufen", sagte er damals.

Am Samstag trat RB erneut in Frankfurt an, und die Konstellation, die entstand, war durchaus ähnlich. Der FC Bayern stolperte gegen Bremen, RB hatte die Chance, punktemäßig gleichzuziehen - doch stattdessen erreichte man nur ein 1:1 (0:1) und rutschte in der Tabelle sogar hinter Dortmund und Leverkusen ab. Aber diesmal reagierte Nagelsmann viel entspannter.

Den Vorhalt, dass ein Verfolger da sein müsse, wenn der Liga-Patron schwächelt, wollte er nicht mitgehen: "Man holt nicht automatisch Punkte, nur weil die Bayern verlieren. Wir spielen ja nicht Elf gegen Null", spöttelte er. Einen kritischen Vortrag hielt er auch nicht für passend. Denn eigentlich habe es seine Mannschaft ganz gut gemacht, fand er, außerdem wolle er das Spiel nicht isoliert betrachten: "Ich versuche einigermaßen schlau zu sein und natürlich auch an die nächste Woche zu denken. Bei dem Rhythmus ist es nicht gut, auf Dingen, die vielleicht nicht so gut funktioniert haben, rumzuhacken."

Der Rhythmus, das ist zuvorderst die Parte am Dienstagabend. Da muss RB in der Champions-League-Vorrunde bei Paris Saint Germain und dessen Top-Angreifern Neymar und Kylian Mbappe antreten. Es ist wahrscheinlich das Spiel, das darüber entscheidet, ob Leipzig die K.o.-Runde in der Königsklasse erreichen kann. Schon mit einem Unentschieden wäre die Ausgangsbasis sehr gut, das Hinspiel vor drei Wochen gewann RB mit 2:1. Aber zugleich ist das Duell in Paris der Auftakt für ein ungemein dichtes Restprogramm bis zur winzigen Weihnachtspause. Die ganze Saison ist schon so brutal getaktet, jetzt stehen in einem Monat gleich neun Partien an, darunter das direkte Ligaduell mit den Bayern in zwei Wochen.

Belastungssteuerung ist daher das große Thema, das Nagelsmann in diesen Tagen umtreibt. Ein halbes Dutzend Spieler fehlen ihm bereits verletzt, darunter insbesondere Defensivkräfte wie Konrad Laimer, Marcel Halstenberg, Lukas Klostermann und Nordi Mukiele; und bei denen, die nicht verletzt sind, muss er aufpassen, dass sie nicht zu viel spielen. An normales Training ist im Moment nicht zu denken, das sei "eher Gesprächstherapie als Training", sagte Nagelsmann. Die letzte richtige Einheit habe es vor Beginn der Champions League gegeben - Mitte Oktober. Am Samstag in Frankfurt begann er mit einer anderen Startelf, als er es eigentlich präferierte; und es gab gleich auf drei Positionen ein geplantes Job-Sharing, um sechs Spielern nur je eine Halbzeit zuzumuten.

RB ist zwar strukturell überlegen, hat am Ende aber auch Glück

"Die Spieler verstehen das nicht immer alles. Die leben dann in ihrer Welt und wollen alle spielen", sagte Nagelsmann: "Aber irgendjemand muss den Hut aufhaben und ein bisschen weiterdenken." Der spanische Mittelfeldspieler Dani Olmo etwa hatte gerade zwei lange Länderspiel-Auftritte hinter sich, darunter das 6:0 gegen Deutschland. "Wenn er heute noch mal 90 Minuten spielt und gegen Paris noch mal 90, spielt er vielleicht noch einmal - und dann sitzt er auf der Pressetribüne", erklärte sein Trainer.

Jetzt muss sich zeigen, ob Nagelsmanns Steuerungsplan in Paris aufgeht. Eine Steigerung gegenüber Frankfurt bräuchte es jedenfalls, wenn es etwas mit dem großen Schritt in die K.-o-Runde werden soll. Denn RB war gegen defensiv mal wieder starke Frankfurter zwar strukturell überlegen, aber letztlich nicht zwingend genug. Im letzten Drittel der Offensive gab es zu wenige Verlagerungen und auch zu wenige echte Torchancen - aber hinten letztlich auch einen glücklichen Moment. Denn die etwas überraschende Eintracht-Führung durch Aymen Barkok (43.) glich Yussuf Poulsen zwar mit einer artistischen Einlage nach Angelino-Flanke aus (57.). Aber eine Viertelstunde vor Schluss verpasste André Silva bei Frankfurts bester Chance der zweiten Hälfte nur knapp das 2:1.

Wer weiß, ob Julian Nagelsmann auch bei einer Niederlage noch so entspannt reagiert hätte - oder ob er sich dann noch einmal seiner bergsteigerischen Passion erinnert hätte.

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Quelle:
SZ vom 23.11.2020
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