Süddeutsche Zeitung

Rallye Dakar:"Und dann haben wir hier ein paar Dünen und noch eine Sprungschanze"

Lesezeit: 5 min

Von Philipp Schneider, Kaufbeuren

In der Wüste, sagt Andrea Peterhansel, ist es wie in den Bergen. Diejenigen, die sich den Streckenverlauf einer Wanderung oder Rallye überlegen, wählen immer den einfachsten, den logischsten Weg. Niemand denkt sich demnach eine Route aus, auf der es plötzlich senkrecht in die Tiefe geht. Aber klar, Unfälle passieren immer wieder. Bei Bergsteigern liegt es dann oft an der Unachtsamkeit. Bei Rallye-Piloten manchmal am Beifahrer.

Es ist der 2. Januar, Andrea Peterhansel hat Geburtstag. Sie steht im Wohnzimmer ihrer Mutter in Kaufbeuren vor einer Panoramascheibe. Es gibt Tage, an denen die Alpen näher erscheinen als sie es sind. Heute wirken sie, als könnte man sich zu ihnen raussetzen auf den Balkon: die Kellenspitze, der Kamm des Falkensteins, ganz links der Säuling im Ammergebirge. Andrea Peterhansel, seit Mitternacht 52, hat vor dieser Kulisse ihre gesamte Jugend verbracht. Ehe sie beschloss, dass die Welt größer sein musste als das Allgäu. Die Wüste wollte sie erleben. Bei der Rallye Dakar, die einst noch an dem Ort zuhause war, den der Name noch heute verspricht. Im Senegal, in Afrika.

Andrea Mayer, wie sie damals hieß, war 1996 Journalistin bei einem Motorrad-Magazin. Für die Dakar wollte sie Urlaub einreichen bei ihrem Chefredakteur. Ne, ne, sagte der Chef, dann bist du ja vier Wochen weg! Und überhaupt: Nach so langen Abenteuerreisen komme sie doch immer mit einem Kreuzbandriss zurück! "Also habe ich gekündigt. Ich fuhr zur Dakar, schlug mich danach für kurze Zeit als freie Journalistin durch. Und ein Jahr später bekam ich einen Vertrag als Werksfahrerin von BMW angeboten." So ging es los.

Andrea Peterhansel fuhr die Dakar sechs Mal auf dem Motorrad, drei Mal im Auto, einmal sogar im Lkw. Und letztes Jahr erstmals als Beifahrerin im Buggy. Einmal, im Jahr 2004, wurde sie sogar Fünfte. Ihr sei kein anderer Rallyefahrer bekannt, erzählt sie, der die Dakar in so vielen Disziplinen erlebt habe. "Es gibt ganz wenige Beifahrer, die selber Fahrer waren. Denn wenn du einmal Fahrer warst, dann willst du nicht mehr auf den Beifahrersitz." Sie aber wollte. Und wäre in ihrer Karriere weiterhin alles nach Plan gelaufen, dann stünde sie an ihrem Geburtstag nicht vor einer Panoramascheibe in Kaufbeuren, sondern befände sich seit Silvester gemeinsam mit ihrem Ehemann Stéphane Peterhansel, dem 13-maligen Sieger der Rallye Dakar, in Saudi-Arabien.

Dem Land des Kronprinzen Mohammed bin Salman, der im Vorjahr mutmaßlich die Ermordung und Zerteilung des Journalisten Jamal Khashoggi gebilligt, wenn nicht beauftragt haben soll. Und der nun mit viel Geld reichlich Sportveranstaltungen in seinem Land aufführen lässt, um von den Menschenrechtsverletzungen abzulenken: erstmals auch die Rallye Dakar, zu deren diesjähriger Veredelung sich die Veranstalter als PR-Gag überlegt haben, den ehemaligen Formel-1-Weltmeister Fernando Alonso mitfahren zu lassen. Andrea Peterhansel sieht die politische Situation in Saudi-Arabien kritisch. Doch sie sagt auch: "Wenn wir das Land boykottieren, haben wir keinen Einfluss, wie sich das Land entwickelt."

Die Peterhansels hätten bei der an diesem Sonntag beginnenden Rundfahrt in die Geschichte eingehen können als erstes Ehepaar, das die härteste Rallye der Welt gewinnt. Doch Ende November musste Andrea Peterhansel ihre Teilnahme absagen. Der Arzt ihres Teams hatte empfohlen, sie solle eine Ablagerung in der Halsschlagader von einem Spezialisten überprüfen lassen. "Das war ein Schock! Nicht nur wegen der Dakar. Man denkt: Bin ich nicht mehr gesund? Hat das auch Auswirkungen auf mein normales Leben? Gerade noch ist man topfit - und puff! Schon ist man gehandicapt". Ist sie zum Glück doch nicht. Der Gefäß-Spezialist gab Entwarnung, allerdings erst nach Weihnachten. Für eine Teilnahme an der Dakar 2020 war es zu spät, ihren Beifahrersitz wird der Portugiese Paulo Fiuza einnehmen. Fiuza spricht kein Französisch. Und Stéphane Peterhansel kein Portugiesisch und nicht gerne Englisch. Man wird sehen.

Wenn sie die Dakar einmal gewinnen wolle, hat ihr Mann vor zwei Jahren zu ihr gesagt, "dann bin ich deine letzte Chance". Andrea Peterhansel kann über den Spruch lachen, er habe das lustig gemeint, gar nicht chauvinistisch. Die Vorbereitung lief nach Plan für die Peterhansels. Drei Weltcup-Rennen bestritten sie in ihrem Mini-Buggy: Sie gewannen in Abu Dhabi, in Kasachstan wurden sie Zweite, in Marokko Vierte. Das reichte sogar für den Gesamt-Weltcup, den ihr Mann ohne sie noch nie gewonnen hatte. Und Andrea Peterhansel lernte den Job als Beifahrerin schätzen, obwohl sie findet: "Kein Mensch interessiert sich für den Beifahrer. Dabei trägt er mindestens 50 Prozent zum Erfolg bei."

Der Beifahrer bei der Rallye Dakar ist permanent beschäftigt. Er ist etwa zuständig für den Reifendruck. In den Dünen benötigt man weichere Reifen, auf halbwegs befestigten Straßen prallere. Dazu kontrolliert er die GPS-Informationen, den Kilometerstand und die Fahrtrichtung. Und es gibt noch das "Roadbook", das der Veranstalter vor jeder Etappe austeilt und das die rudimentären Zeichnungen von Geländemarken an Weggabelungen enthält.

Andrea Peterhansel greift sich Stift und Block. Sie zeichnet eine Kreuzung und ein paar Details. "Hier geht eine Piste ab, die man nehmen soll. An der Kreuzung haben wir ein Steinmännchen." Sie macht fünf Pünktchen übereinander. Man ahnt: das Steinmännchen. Nach einer Weile sieht ihr Roadbook so aus wie eine Schatzkarte von Janosch für den kleinen Tiger und den kleinen Bär. "Und dann haben wir hier ein paar Dünen und auf der Strecke noch eine Sprungschanze." Sie zeichnet drei Ausrufezeichen neben die Schanze. Die Ausrufezeichen geben an, wie gefährlich die Schanze ist. "Hier haben wir jetzt mal triple danger". Im Auto sagt sie "danger trois".

Als Beifahrerin, erzählt sie, hat sie ihren Ehemann erst so richtig kennengelernt. Er war nicht mehr so ruhig wie sonst. Eigentlich, sagt sie, sei ihr Mann wie ein See. Im Auto aber werde er zum Wasserfall. Nicht weil er so viel reden würde, im Gegenteil. "Weil so viele Sachen an ihm vorbeirauschen." Die Peterhansels haben deshalb ein Codewort vereinbart. Wenn sie es schreit, weiß er, dass er zuhören muss.

Bei der Suche nach der richtigen Abbiegung hilft die Bergerfahrung

Wer sich verfährt bei der Dakar, der merkt das spätestens, wenn die Zeichnung, die die nächste Abbiegung illustriert, in der Realität nicht anzutreffen ist. Dann müssen die Fahrer umkehren, zurück zur vorherigen Abbiegung, weil sie deren Zeichnung offensichtlich falsch gedeutet hatten. "Bild" nennt Peterhansel die Zeichnungen. "Dieses Bild in der Landschaft zu suchen, ist navigatorisch manchmal richtig spannend." Beim Suchen der richtigen Abbiegung hilft ihr die Erkenntnis aus den Bergen, dass die Routen so rational geplant sind wie Wanderstrecken.

Ob die Peterhansels 2021 endlich gemeinsam starten, das müsse man sehen, sagt sie. Und ja, es sei gut möglich, dass ihr Mann vorher auch ohne sie mal wieder die Dakar gewinnt. Ob er die Konkurrenz von Fernando Alonso zu befürchten habe? Nun, der zweimalige Weltmeister habe fahrerisch alle Qualitäten, die nötig sind. "Was ihm fehlt, ist die Erfahrung." Alonso hat deshalb Marc Coma als Beifahrer verpflichtet. Der 43-jährige Spanier ist selbst eine Legende der Rallye Dakar. Fünfmal gewann er die Rundfahrt. Allerdings auf dem Motorrad. Ein ehemaliger Formel-1-Fahrer und ein Motorradspezialist sitzen also in einem Rallye-Auto. Das wird spannend, glaubt Andrea Peterhansel. Und sie ist bei der Dakar alles gefahren.

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Quelle:
SZ vom 04.01.2020
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