Süddeutsche Zeitung

Premier League:Herausforderer mit Tiefgang

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Der FC Liverpool wirkt in dieser Saison reif für einen großen Titel. Das Topspiel gegen Meister Manchester City ist für Trainer Jürgen Klopp ein wichtiger Gradmesser.

Von Sven Haist, Liverpool

Am Tag nach dem verlorenen Champions-League-Finale verbreitete sich beim FC Liverpool ein Video, das Jürgen Klopp mit Vertrauten in den frühen Morgenstunden aufgenommen hatte. Arm in Arm zeigt sich der Trainer an der Seite seines Assistenten Peter Krawietz - und an der Seite von Campino, dem Frontmann der Toten Hosen, der die musikalische Einlage mit dem Vermerk "sechs Uhr morgens: From Liverpool with love" veröffentlichte. Der Sprechgesang, der an Fans, Spieler, Mitarbeiter und die Öffentlichkeit gerichtet war, ist für jeden in Deutschland und England zu verstehen. In beiden Sprachen wurden Versionen aufgezeichnet.

Der Text empfiehlt, der verpassten Gelegenheit, sich die wichtigste Trophäe im europäischen Vereinsfußball zu sichern, nicht weiter nachzutrauern - sondern lieber froh die neue Saison anzugehen, für die Klopp gleich mal den erneuten Angriff auf den Pokal in Aussicht stellte. Das erinnerte an eine seiner bleibenden Ansprachen in Mainz 2003, als er nach den um einen Punkt und dann sogar nur um ein Tor verpassten Aufstiegen in die Bundesliga die Enttäuschung in Tatkraft umwandelte: "Wir werden zeigen, dass wir die einzigen sind, denen das zweimal passiert und die trotzdem wieder aufstehen!", rief Klopp damals den Menschen auf dem Rathausplatz zu - tatsächlich gelang Mainz im dritten Versuch der Aufstieg.

Das Naturell des Stehaufmännchens half Klopp nun auch in Liverpool über den Schmerz von drei verlorenen Endspielen (Ligapokal, Europa League 2016, Champions League 2018) hinweg. In dieser Saison soll jetzt mit Nachdruck ein Titel her, am liebsten die Meisterschaft in der Premier League, auf die der ehemalige Rekordmeister seit Einführung der Premier League 1992 wartet. Der erste Meistertitel seit 1990 würde Klopp einen Platz in der Ehrengalerie des Klubs einbringen.

Nach sieben Spielen liegt Liverpool an der Tabellenspitze gleichauf mit Manchester City. Dabei haben die Reds bereits unangenehme Auswärtsreisen nach London zu Tottenham (2:1) und Chelsea (1:1) absolviert, während sich City vorwiegend gegen Abstiegskandidaten einspielte.

Seit der Meisterschaft von Manchester United 2008/09 hat kein Verein mehr auf der Insel zwei Ligatitel hintereinander gewonnen. Am Sonntag kommt es nun zum aussagekräftigen Duell zwischen Herausforderer Liverpool und Titelträger City an der Anfield Road - fast auf den Tag drei Jahre nach dem Arbeitsbeginn von Klopp bei den Reds am 8. Oktober 2015. Nach Eddie Howe (Bournemouth) und Mauricio Pochettino (Tottenham) hat Klopp, 51, damit schon die längste Verweildauer eines aktuellen Trainers in der Premier League. In dieser Zeitspanne hat er dem nach früheren Erfolgen strebenden Klub seine Persönlichkeit und Spielidee vermittelt.

Der auf dem Transfermarkt zuvor zurückhaltende Klopp hat zuletzt für etwa 180 Millionen Euro neue Spieler kaufen lassen, als Gegenwert stehen Erlöse von nur knapp 20 Millionen Euro. Im europäischen Vergleich hatte im Sommer kein Klub eine negativere Transferkostenbilanz - selbst Juventus Turin nicht, das mehr als 250 Millionen Euro investierte.

"Die Leute möchten hören, dass wir dies oder das gewinnen können", sagt Klopp, "ich weiß nicht, ob wir etwas gewinnen können, aber wir werden es mit allem versuchen, was wir haben." Durch die resolute Kaderaufbesserung besitzt er einen Tiefgang im Aufgebot, der es ihm ermöglicht, den Verschleiß seiner besten Spieler aufzufangen. Selbst den bisher missachteten Daniel Sturridge hat Klopp wieder integriert, wodurch kaum auffällt, dass Topstürmer Mo Salah seine Hochform der Vorsaison noch nicht erreicht hat.

Mit vier Saisontoren führt Sturridge zusammen mit Sadio Mané die interne Wertung an, vor einer Woche schoss er kurz vor Abpfiff den Ausgleich im Spitzenspiel bei Chelsea. Für Liverpool war es bereits das vierte wichtige Tor in einer Schlussphase. Die Reds haben gelernt, mit ihren Kräften hauszuhalten und dennoch ihre Pflichten erfolgreich abzuarbeiten. In der zurückliegenden Saison gab es nur zwei Siege in sechs Duellen mit den späteren Absteigern und auch selten Siege in engen Spielen - jetzt basierten bereits vier Saisonsiege auf nur einem Tor Vorsprung. Und eine Heimniederlage in der Liga gab es zuletzt im April 2017 (1:2 gegen Crystal Palace). Die Weiterentwicklung der Spielanlage kommt Liverpool speziell gegen tief stehende Gegner zugute. Früher galt das Attackieren bei gegnerischem Ballbesitz als Spielmotor der Reds. Nach der Trennung von Klopps langjährigem Assistenten Zeljko Buvac im Frühjahr nimmt neben Krawietz nun Pepijn Lijnders eine exponierte Stellung im Trainerteam ein. Der Niederländer dürfte mit seiner Expertise dazu beigetragen haben, die Flexibilität im Aufbauspiel zu erhöhen.

Ständige Verschiebungen der Spieler bei der Gestaltung eines Angriffs erschweren es dem Gegner, die Übersicht zu behalten. Damit hebt sich Liverpool ab von der Herangehensweise bei Pep Guardiola, der bei City weiter Wert darauflegt, dass seine Spieler ihre zugeteilten Zonen nicht verlassen. Die persönliche Bilanz macht Klopp jedenfalls Mut: In 14 Duellen hat er aus der Position des Außenseiters heraus acht Mal gegen Guardiola triumphiert.

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Quelle:
SZ vom 06.10.2018
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