Süddeutsche Zeitung

Premier League:Die große Wut auf Dimitri Payet

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Von Sven Haist, London

In puncto "Stars" sind die Fans von West Ham United wahrlich nicht verwöhnt. Nur ab und zu befindet sich ein Fußballer in ihrem Lieblingsteam, dessen Strahlkraft über die Arbeiterregion Newham in London hinausgeht. Wenn ihnen dann, wie vor einem Jahrzehnt, ein Carlos Tévez zufällt oder zuletzt Dimitri Payet, dann betrachten die Anhänger solche Spieler sofort als Teil ihres Lebens. West Hams Markenzeichen sind die unerfüllten Träume, die den Klub seit 1895 begleiten und ihn nie haben Meister werden lassen. Die enttäuschten Erwartungen symbolisieren Seifenblasen, die zu den Klängen der Vereinshymne "I'm forever blowing bubbles" vor jedem Heimspiel in den Himmel aufsteigen und dort zerplatzen. Im Fall von Payet sind nun keine Seifenblasen kaputt gegangen, sondern die Herzen der Fans.

Nach der Verkündung von Payets Rückwechsel zu Olympique Marseille - für etwa 30 Millionen Euro - entfernte der Verein Anfang der Woche am Stadiondach das überdimensionale große Trikot des einstigen Lieblings und überklebte dessen Konterfei auf den Eingangswänden. Sonst hätten diese Bastelarbeiten wohl die Fans selbst übernommen - spätestens nach dem frustrierenden 0:4 gegen Manchester City am Mittwochabend. So groß ist die Wut auf Payet, der noch vor Wochen gefeiert und besungen worden war.

Mit einem Spielboykott soll der Franzose seinen Sofort-Transfer erzwungen haben. Entsprechend machtlos und sitzen gelassen fühlt sich West Ham. Im Stadionheft schrieb der Vorsitzende David Gold, dass letztlich das Klima im Verein wichtiger als jeder einzelne Spieler sein müsse. Und das Zerwürfnis, das Trainer Slaven Bilic am 12. Januar öffentlich gemacht hatte, hat die Atmosphäre in diesem immerzu tüchtigen Verein empfindlich gestört. Der Vertrauensbruch zwischen West Ham und Payet deutete sich zu Jahresbeginn an, als Bilic den Emporkömmling der vorigen Saison im FA-Cup gegen Manchester City (0:5) auf die Bank setzte. Erst in den Schlussminuten wirkte Payet mit - sein letzter Einsatz für die Hammers.

West Ham hätte auf den Vertrag mit Payet bis 2021 verweisen und der Fußballwelt demonstrieren können, dass Arbeitspapiere mehr sind als Absichtserklärungen. Aber so einfach ist das in der Umsetzung nicht, weil die Thematik den Verein fortlaufend durch den Rest der Saison begleitet hätte. Dazu käme der finanzielle Schaden, der aus dem Wertverlust eines degradierten Oberklasse-Profis entsteht.

Mit neun Treffern und zwölf Vorbereitungen wurde Payet, 29, in seiner Premierensaison 2015/16 auf der Insel schnell zum Objekt der Begierde. Seinen Klub verzückte er mit Freistößen, die er mit seinem linken Fuß reihenweise in die gegnerischen Torwinkel setzte. Stolz wie Oskar war West Ham auf seine Erwerbung und machte Payet schon nach einer Halbserie mit einem Wochengehalt von 150 000 Euro zum Topverdiener im Team. Die Saison schlossen die Hammers auf Platz sieben mit neuer persönlicher Rekordpunktzahl in der Premier League ab - was mit dazu beitrug, dass Payet für Frankreichs EM-Aufgebot nominiert wurde.

Gleich im Eröffnungsspiel gelang ihm mit dem 2:1 gegen Rumänien eines der schönsten Turnier-Tore. Bilic geriet über die Fähigkeiten seines Superknaben ins Schwärmen - und West Ham fing an, sich Hoffnungen zu machen, in der englischen Liga dauerhaft oben mitzuspielen. Was von dieser Aufbruchsstimmung noch vorhanden ist, konnte jeder sehen, als West Ham nun von ManCity vorgeführt wurde: Die Hammers spielten das eigene Stadion leer, von etwa 60 000 Zuschauern zu Beginn der Partie waren am Ende noch 2500 übrig - es waren die Fans von City.

Mit dem Wechsel vom ehrwürdigen Upton Park ins Londoner Olympiastadion hat West Ham viel von seiner Aura verloren. Die alte, enge Spielstätte in der Green Street setzte mit ihren Tücken den großen Gästen aus der Liga zu - nun fehlt dem Klub ein solcher Heim-Effekt. Verstärkt wird die Tristesse zudem dadurch, dass die Klubführung aus dem Leid der Fans nach dem Payet-Abschied noch einen finanziellen Nutzen schlagen wollte. Zum Preis von etwa 30 Euro bot West Ham an, Trikots mit dem Namen "Payet" und der Nummer 27 gegen ein neues Exemplar zu tauschen. Dazu muss man wissen, dass die aktuellen Exemplare schon zum reduzierten Preis von 45 Euro erhältlich sind, da bereits die nächste Generation an Trikots in der Fertigung ist. Das lässt West Hams Offerte dann doch fast so dreist erscheinen wie den Weggang von Dimitri Payet.

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SZ vom 03.02.2017
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