Süddeutsche Zeitung

Pokerweltmeister:Alles auf eine Karte

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Michael Keiner ist Schönheitschirurg, Börsenspekulant und Motorradprofi - und nun auch Poker-Champion.

Jürgen Schmieder

Michael Keiner sitzt am Pokertisch und konzentriert sich auf seine Karten. Hinter ihm steht das Model eines Erotikmagazins und legt ihre Kleider für ein Foto-Shooting ab. Keiner sieht sie nicht einmal an, als sie sich mit nacktem Oberkörper an ihn schmiegt. "Ich habe 2000 von diesen Dingern gemacht", sagt er, ohne sein Pokerface abzulegen. Wahrscheinlich würde er diesen Gesichtsausdruck auch dann noch haben, wenn es hinter ihm brennen würde.

Keiner ist Schönheitschirurg, Rennfahrer, Erfinder, Offizier, Börsenspekulant. Als er Anfang Juni nach Las Vegas flog, hätte er bei der Einreise die Berufsbezeichnung "Tausendsassa" angeben können. Keiner jedoch schrieb "Pokerprofi" in das Formular, schließlich wollte er an der World Series of Poker teilnehmen, der Weltmeisterschaft der Kartenspieler.

"Es ist der Traum und das Ziel eines jeden Spielers, einmal am Tisch der World Series zu sitzen", hatte Keiner im Mai gesagt, als das Online-Casino 888.com im Zillertal das Nationalteam zusammenstellte - mit Keiner als Kapitän. Dort fand auch die Begegnung mit dem Model statt, dem er keine Beachtung schenkte. Seine Mimik änderte sich nur, als er vom Titel sprach. Er zog die Augenbrauen hoch und blickte wie ein Amateur, der vier Asse in der Hand hält: "Mein größter Traum wäre es, dieses Bracelet zu gewinnen." Dieses Bracelet ist ein goldenes Armband, das der Sieger eines Events erhält. Eine Trophäe, vergleichbar mit dem Weltmeistergürtel im Boxen oder einem Pokal beim Fußball.

Am vergangenen Sonntag war es soweit: Michael Keiner sitzt am Finaltisch in der Variante Seven Card Stud. Neben ihm Pokerlegenden wie Barry Greenstein und Greg Raymer. Eingeschüchtert ist er nicht: "Wenn man am Final Table sitzt, dann will man auch gewinnen", sagt er. Die anderen Spieler wundern sich, als der deutsche Außenseiter plötzlich höhere Einsätze bringt, mehr Chips setzt. "Die waren ganz schön skeptisch", sagt Keiner. Auf die Blicke antwortet er mit noch aggressiverem Spiel. Es klappt: Um 6.31 Uhr muss der einzige verbliebene Gegner alle Chips in die Mitte legen. Keiner hat das bessere Blatt und gewinnt das ersehnte Armband. "Das Risiko hat sich bezahlt gemacht", sagt er. Der Lohn: 148.000 Dollar Preisgeld.

Risiko gehört zum Leben von Michael Keiner wie bei anderen Menschen das morgendliche Duschen. "Ich bin kein Hazardeur", betont er. "Aber eine Portion kalkulierbares Risiko darf schon dabei sein." Dieser Adrenalinkick sorge für den nötigen Spaß. Liest man den Lebenslauf des 48-Jährigen, könnte man denken, dass die Biographien von drei Menschen zusammengefasst wurden. Nach dem Abitur 1977 absolvierte er die Offizierslaufbahn, studierte Medizin - und fuhr Motorradrennen. "Ein Bekannter hat mich damals mitgenommen, ich bin gefahren und war sofort begeistert", sagt Keiner. Er fuhr Grand Prix in der 500-Kubikzentimer-Klasse und die Weltmeisterschaft auf der Langstrecke. "Da habe ich gelernt, Ehrgeiz zu entwickeln und Ziele konsequent zu verfolgen."

Dass dieses Risiko nicht immer belohnt wird, musste Keiner 1990 feststellen. Er engagierte sich an spekulativen Optionsscheingeschäften an der japanischen Börse - und ging pleite. "In diesen Momenten heißt es nur: Augen zu und durch. Verlieren ist Teil der Gesamtsituation, wie beim Pokern auch", sagt der 48-jährige Pokerspieler aus Wetzlar. Er ließ sich zum Facharzt ausbilden, eröffnete 1994 eine Klinik für kosmetische Chirurgie in Wetzlar und erfand ein tragbares Ultraschallgerät für kosmetische Behandlungen - alles mit Erfolg. Seine Tätigkeit als Arzt führte ihn direkt zum Pokern. "Bei einer chirurgischen Weiterbildung kam ich erstmals mit der Variante No Limit Hold'em in Verbindung", sagt er. 1997 spielte er sein erstes internationales Turnier - und wurde auf Anhieb Europameister.

Glück oder Geschick? "Man muss sich bei Turnieren eine gewisse Ausgangslage schaffen, das ist reines Geschick", sagt Keiner. Man muss beim Pokern innerhalb von Sekunden die Wahrscheinlichkeit berechnen, ob bestimmte Karten eine Siegchance haben. Dazu muss man psychologisch die Strategie der Gegner durchschauen. Und freilich Kondition mitbringen, schließlich ist eine Spieldauer von mehr als zehn Stunden keine Seltenheit. "Ich habe verschiedene Konzentrationstechniken", sagt Keiner. Freunde hätten ihm erzählt, dass er beim Finale der World Series am Ende wie in Trance gespielt habe.

Freilich spielt auch Glück eine Rolle. "In Barcelona vor einigen Wochen hatte ich gegen einen Kontrahenten eine mathematische Gewinnchance von 92 Prozent", erzählt Keiner. Sein Gegner habe am Ende genau die Karte bekommen, die er benötigt hatte. Glück und Pech gehören zum Pokern wie zu anderen Sportarten und Geschicklichkeitsspielen auch. Auf lange Sicht jedoch kann man sich darauf nicht verlassen.

Michael Keiner hat die World Series of Poker gewonnen - seinem Lebenslauf entsprechend müsste er nun etwas Neues beginnen. "Nein, dafür habe ich beim Pokern zu viele Ziele", sagt Keiner. Er arbeitet als Pokerexperte für Fernsehstationen, gibt Anfängern Lehrstunden und spielt weiter Turniere: "Ich stehe in Deutschland an der Spitze einer Bewegung, die jetzt erst Fahrt aufnimmt."

Es sieht so aus, als hätte Michael Keiner seine Bestimmung gefunden. Immerhin weiß er nun sicher, was er als Berufsbezeichnung in die Einreiseformulare schreiben kann: Träger des Bracelets.

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