Süddeutsche Zeitung

Paul Verhaegh über Elfmeter:"Man muss die Sache so einfach wie möglich halten"

Lesezeit: 4 min

Augsburgs Kapitän Paul Verhaegh ist der erfolgreichste Elfmeterschütze der Bundesliga - ein Gespräch über spezielle Techniken und seine Bewunderung für Thomas Müller.

Interview von Kathrin Steinbichler

Paul Verhaegh, 32, war in der Hinrunde der verlässlichste und erfolgreichste Elfmeterschütze der Bundesliga: Der niederländische Außenverteidiger und Kapitän des FC Augsburg verwandelte fünf von fünf Strafstößen und liegt mit seiner Treffsicherheit sogar noch vor Thomas Müller vom FC Bayern (fünf verwandelte Elfmeter bei sechs Versuchen). Schon in der abgelaufenen Saison 2014/15 war Verhaegh mit sechs Elfmetertoren in der Bundesliga der beste Mann vom Punkt. Ein Gespräch über den Druck des Schützen und den Spaß des Abwehrspielers beim Toreschießen.

SZ: Herr Verhaegh, angesichts Ihrer 100-prozentigen Trefferquote bei Strafstößen ist die Frage zwangsläufig: Wie oft haben Sie im Trainingslager in Spanien Elfmeterschießen trainiert?

Paul Verhaegh: Ehrlich gesagt überhaupt nicht. Ich übe Elfmeterschießen grundsätzlich kaum, weil ich der Meinung bin, dass man diesen Druck beim Elfmeter, den man im Spiel hat, im Training gar nicht üben kann. Aber natürlich kann man an der Schusstechnik arbeiten, und das mache ich schon.

Irgendein Geheimnis aber müssen Sie für diesen Schuss aus elf Metern doch haben. Immerhin sind Sie - wie schon in der vergangenen Saison - bei Strafstößen der verlässlichste Schütze der Bundesliga.

Da gibt es kein Geheimnis und keinen Trick, es ist eher so: Man muss die Sache so einfach wie möglich halten. Das ist eine Konzentrationssache. Wenn es Elfmeter gibt, versuche ich mich nicht ablenken zu lassen durch Gegner oder Publikum und einfach das zu machen, was nötig ist: Das Ding rein schießen. Ich habe da auch keine spezielle Ecke und entscheide spontan, wohin ich schieße, wenn ich am Punkt stehe.

Sie gucken sich also nicht schon vor einem Spiel den gegnerischen Torhüter aus?

Bei den meisten Torhütern weiß ich, welche ihre starke Ecke ist, aber das ist eigentlich irrelevant. Wenn es so weit ist, konzentriere ich mich auf mich. Und wenn ein Elfmeter gut geschossen ist, macht es auch keinen Unterschied, ob der Torhüter die Ecke geahnt hat oder nicht: Ein gut geschossener Elfmeter lässt dem Torwart eigentlich keine Chance. Wenn man den Ball gut trifft, ihm ein gutes Tempo mitgibt und platziert, kommt der Torhüter da auch nicht ran. Wenn er rankommt, hat man nicht gut genug geschossen. Manchmal aber entscheidet sich ein Torhüter auch früh für eine Ecke, und falls ich das im Augenwinkel habe und noch reagieren kann, wechsele ich schon noch die Ecke.

Sie entscheiden sich noch während des Anlaufens um, wohin Sie schießen?

Nur manchmal, und vor allem nicht so wie Thomas Müller etwa, da bin ich schon ein anderer Typ. Der schaut sich den Torwart richtig aus, macht einen ruhigen Anlauf, wartet lange und macht den Ball dann oft da rein, wo der Torhüter nicht hin springt.

Wo Sie ihn ansprechen: Thomas Müller vom FC Bayern München ist der einzige, der mit ihnen in dieser Bundesligasaison mithalten kann. Er hat ebenfalls schon fünf Elfmeter getroffen - einen sechsten aber auch verschossen.

Wie er die Elfmeter schießt, ist schon bemerkenswert. Auch, mit welcher Ruhe er dabei den Torhüter ausguckt. Da ist er anders als ich. Vielleicht noch selbstbewusster.

Von den zwölf Elfmetern, zu denen Sie in dieser und der vergangenen Saison angetreten sind, haben Sie jedenfalls nur einen verschossen: vergangenen Mai, beim Stand von 0:0 im Spiel gegen den FC Bayern. Hatten Sie zu viel Zeit zum Nachdenken, oder was war da los?

Ich bin bei dem Schuss einfach zu viel Risiko gegangen. Immerhin stand da Manuel Neuer, der nicht umsonst wieder zum weltbesten Torhüter gewählt worden ist. Da weißt du, dass du den Ball besonders gut treffen und platzieren musst, damit er nicht rankommt. Ich wollte es zu genau machen, und mein Schuss ist dann an den Pfosten gegangen. Aber zum Glück hat letztlich noch Raul (Bobadilla, Anm. d. Red.) getroffen, und wir haben 1:0 gewonnen.

Waren Sie schon immer so ein eiskalter Elfmeterschütze?

Das hat sich für mich erst beim FC Augsburg so entwickelt. Meist überlassen die Trainer das ja einem Stürmer, Stürmer wollen schließlich gerne Tore schießen. Aber Markus Weinzierl, unser Trainer beim FCA, hat mich vor zwei, drei Jahren gefragt, ob nicht ich das übernehmen will. Naja, ich fühle mich gut dabei, also habe ich es gemacht. Und bis jetzt klappt es sehr gut, ich hoffe, das kann ich so beibehalten. Für mich als Abwehrspieler sind Tore ja persönlich nicht so wichtig, für Stürmer schon.

Ihren Kollegen in der Augsburger Offensive machen Sie es jedenfalls schwer, sich in der Statistik nach vorne zu arbeiten. In der vergangenen Saison waren Sie mit sechs Saisontoren - allesamt Elfmeter - drittbester Augsburger Torschütze hinter Raul Bobadilla und Tobias Werner. In dieser Saison haben Sie jetzt schon fünfmal getroffen und führen die Torjägerliste des FCA an. Sind Ihre Kollegen da nicht neidisch?

Überhaupt nicht. Fünf Elfmeter in 17 Spielen ist natürlich ganz ordentlich, aber Raul hat mir immer noch einiges voraus - ich werde nie so gut werden beim Toreschießen wie er. Und solange ich meine Elferquote beibehalte, freuen sich ohnehin alle in der Mannschaft. Der Teamerfolg steht schließlich über allem, also hoffe ich, dass wir in der Rückrunde erfolgreich sind - und ich noch den einen oder anderen Elfmeter verwandele.

Am 10. Dezember sind Sie allerdings etwas aus der Rolle gefallen: Im letzten Vorrundenspiel der Europa League haben Sie bei Partizan Belgrad plötzlich ein Feldtor geschossen. Das wichtige 2:1, mit dem der FCA die Partie gedreht hat. Bobadilla hat dann mit dem 3:1 in der letzten Minute den Einzug in die K.o.-Runde gegen den FC Liverpool gesichert. Ein irres Spiel, vor allem für Sie.

Auf alle Fälle. Als wir den Ausgleich geschafft hatten, haben wir versucht, noch mehr Druck zu machen. Daniel Baier wurde im Mittelfeld frei gespielt, für mich hat sich plötzlich ein Laufweg in den Strafraum geöffnet, er spielt einen Pass, und ich mache ihn rein. Natürlich habe ich mich gefreut, vor allem, dass wir die Gruppenphase überstanden haben. Ab und zu muss ich mir trotzdem Sprüche von den Teamkollegen anhören, dass ich ja nur beim Elfmeter treffen kann. So gesehen war es gut, dass ich mal wieder eines aus dem Spiel geschossen habe. Das letzte Mal, dass mir das gelungen war, war vor zwei Jahren gegen Freiburg. Mit dem Tor jetzt sind meine Kollegen erstmal wieder ruhig.

Wenn es nun im Februar gegen den FC Liverpool und Trainer Jürgen Klopp geht und es an der Anfield Road Elfmeter gibt: Sie treten an?

Wenn ich auf dem Platz bin, klar. Natürlich fühlst du den Druck, wenn du da am Punkt stehst und je nach Stadion 30 000 oder 70 000 auf dich schauen. Egal ob in der Bundesliga oder an der Anfield Road in Liverpool. Aber das muss man ausblenden, da muss man einfach Verantwortung übernehmen. Ich mache das ehrlich gesagt ganz gern.

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Quelle:
SZ vom 19.01.2016
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