Süddeutsche Zeitung

Olympische Spiele 2008:Ecstasy-Krimi in Baku

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Gepanschte Urinproben und der Konkurrenz untergemischte Aufputschmittel: Aserbaidschan wollte sich offenbar zu Olympia tricksen.

Ronald Reng

Die anderen Hockeyspielerinnen nennen sie "Nuria la furia". An diesem Dienstag im Olympischen Hockey-Stadion braucht es allerdings gehörige Phantasie, um zu erahnen, wie Nuria Camon aus Barcelona zu dem Rufnamen gelangte. Auch die furiose Furie, zur besten Spielerin der WM 2006 gewählt, hat zahme Tage. Spanien verliert sein zweites Vorrundenspiel 1:6 gegen Australien. Nuria la furia, Energie gebündelt auf 1,62 Meter, steht danach am Spielfeldrand, spricht über Verzweiflung und Gerechtigkeit - und erwähnt die herbe Niederlage dabei kein einziges Mal. Ihr ist etwas passiert, was all ihre großen Worte verlangt und für das Spiel keine mehr übrig lässt: Nuria Camon war Opfer in einem der spektakulärsten Verbrechen des Sports.

Bei der Olympia-Qualifikation im April in Baku waren die Doping-Proben von Camon und ihrer Mitspielerin Gloria Comerma positiv - und dann kam heraus, was in der Realität unmöglich schien, dass ihnen das Aufputschmittel aus der Amphetamingruppe untergemischt worden war; die Substanz selbst klang wie ausgedacht: ein Derivat der Diskodroge Ecstasy.

Sehstörung und Brechreiz

Der Hockey-Weltverband FIH befand schließlich, Comerma sei "ohne eigenes Fehlverhalten" gedopt gewesen und Nuria Camon habe die "Anti-Doping-Regeln nicht verletzt", deshalb seien sie freizusprechen, sie und Spanien dürften in Peking starten. Mehr von dem, was in Baku passiert war, verriet die FIH nicht. Das Schweigen des Verbandes ist Teil des Kriminalfalls.

Während der Qualifikation in Baku hatten Spanien und die Ukraine, die schärfsten Konkurrenten des Gastgebers Aserbaidschans, bei der FIH-Turnier- direktorin wiederholt erstaunliche Vorfälle gemeldet. So geschah beiden Teams in unterschiedlichen Hotels dasselbe: Eines Abends beim Essen klagten etliche Spielerinnen plötzlich über Schwindel, Sehstörungen und Brechreiz, eine Ukrainerin musste laut Spaniens Trainer Pablo Usoz zur Behandlung ins Krankenhaus - am Tag vor ihrem Spiel gegen Aserbaidschan.

Als nach dem Turnier die zwei Dopingfälle publik wurden, kam sofort Verdacht auf, die Spanierinnen könnten an jenem Abend beim Essen mit dem Ecstasy-Abkömmling vergiftet worden sein. Wer Interesse an solch einer Sabotage haben könnte, war klar: Bei zwei positiven Dopingfällen kann die FIH ein Team disqualifizieren. Aserbaidschan verlor das Qualifikations-Finale gegen Spanien und wäre nachgerückt.

Gedopte Präsidentenfrau

Die Theorie vom gepantschten Hotel- essen führte schließlich zum Freispruch. Die gesamte spanische Baku-Reisegruppe unterzog sich nachträglich einem Haartest: Elf Proben wiesen erhöhte Spuren des Aufputschmittels Amphetamin auf, darunter auch solche, die wenig Interesse daran haben sollten, sich aufputschten zu lassen: Sogar die Frau des spanischen Verbandspräsidenten war laut Haartest gedopt.

Dieser Nachweis war wohl ein Argument für die FIH, Comerma freizusprechen, Unregelmäßigkeiten bei der Dopingprobe verstärkten die Zweifel. Offenbar gingen in dem Raum, in dem allein die Athletin mit der Fahnderin sein sollte, ständig Funktionäre des Veranstalters ein und aus. Bei Camon kam die Überprüfung zu einem noch verblüffenderen Ergebnis: Der Urin ihrer Dopingprobe war gar nicht ihrer; es war offenbar nachträglich gepantscht worden.

Dies alles erfährt man allerdings nicht von der FIH, die die Schuld des Turnier-Ausrichters Aserbaidschan offenbar nicht untersuchen will. Neben dem Doping-Krimi gab es in Baku auch ein systematisches Mobbing der Gegner. Schon vorher war Aserbaidschan unangenehm im Frauen-Hockey aufgefallen. Bei der EM 2007 sei versucht worden, den Schiedsrichter-Obmann sowie ukrainische Gegnerinnen zu bestechen, sagt ein Vorstandsmitglied des europäischen Verbandes. Auch da wurde nicht ermittelt. Vielleicht, weil AtaHolding, ein aserbaidschanisches Multi-Unternehmen, ein FIH-Hauptsponsor ist? Dazu Arjien Meyer, ein Sprecher der FIH, recht deutlich: "Wir sagen dazu gar nichts, weil wir dazu gar nichts sagen."

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SZ vom 13.08.2008/mb
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