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Österreich in der EM-Qualifikation:"Sitzen bereits im TGV Richtung Frankreich"

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Angesichts der historischen Bedeutung dieses 1:0-Sieges konnte Leo Windtner nicht anders, als sich schnell zu verbessern. "Wir haben schon das Trittbrett für den TGV erklommen", sagte der Präsident des Österreichischen Fußballverbands nach dem ersten Erfolg einer ÖFB-Auswahl in Russland seit 54 Jahren. Dann aber, beim Blick auf die Tabelle der Qualifikationsgruppe G, erkannte Windtner, dass Spitzenreiter Österreich bei acht Punkten Vorsprung auf den Dritten die erste selbst erspielte Teilnahme an einer Europameisterschaft (2008 war man Co-Ausrichter gemeinsam mit der Schweiz) kaum mehr zu nehmen sein wird, und schon korrigierte er sich: "Wir sitzen bereits im TGV Richtung Frankreich."

Trittbrett hin, Sitzplatz her - der sonst so stoisch wirkende Trainer Marcel Koller wäre nach Abpfiff in der Otkrytie Arena wohl sogar zu Fuß von Moskau nach Paris gelaufen, so ausgelassen wie er auf den Fan-Anhang zurannte. "Ich hab' gedacht: Ich kann jetzt nicht einfach abhauen. Darum bin ich rübergesprintet", sagte Koller. Der frühere Bundesliga-Trainer wusste, bei wem er sich bedanken musste: Marc Janko, zuletzt beim Sydney FC ausgemusterter Stürmer, hatte mit einem Traumtor per Fallrückzieher (33.) den Jubellauf ermöglicht.

Tor per Fallrückzieher von Marc Janko

Das Bewerbungsvideo vom Fallrückzieher kurz vor dem Fünf-Meter-Raum, auf nahezu allen österreichischen Sportseiten verlinkt, wird dem Mittelstürmer bei seiner Vereinssuche helfen, dafür kann er auch die Folgen der akrobatischen Rückzieherverrenkungen verschmerzen. "Im ersten Moment hatte ich Befürchtungen, dass ich mir vielleicht das Genick gebrochen habe", sagte der 1,96-Meter-Mann, der selbst seinen Teamchef staunen ließ: "Mit seiner Größe so einen Fallrückzieher hinzulegen, ist wirklich nicht einfach", bemerkte Koller.

Während Koller die Ferienzeit nutzen wird, um ein Quartier in Frankreich für die Endrunde zu buchen, muss auf der Gegenseite Fabio Capello befürchten, das Ende der Qualifikationsrunde nicht mehr auf der russischen Trainerbank zu erleben. Dem Gast-Coach, von Moskau mit einem stattlichen Vertrag bis zur Heim-Weltmeisterschaft 2018 ausgestattet, droht der Jobverlust. "Wird Capello entlassen? Ich weiß es nicht, wir erörtern das", sagte der Interimspräsident des Verbandes, Nikita Simonjan, der Zeitung Sport Express. Wjatscheslaw Koloskow, Ehrenpräsident des Verbandes, legt dem Italiener einen generösen Rückzug nahe: "Ich denke, dass es von seiner Seite aufrichtig wäre, allen seinen Dank auszusprechen und auf eine Entschädigung zu verzichten."

In Russland mischt die Politik mit

Und wie es in Russland, derzeit nur Gruppendritter, mit Blick auf die Putin-WM 2018 so ist, mischt die Politik mit: "Ich verspreche, dass wir der Mannschaft wieder eine Seele geben", sagte Sportminister Witali Mutko.

Um Österreichs Seele muss sich derzeit niemand sorgen. "Endlich haben wir wieder eine Mannschaft, die in einem großen Wettbewerb gut spielen kann", sagte der frühere Teamchef Otto Baric. ÖFB-Präsident Windtner sprach von einer "Sternstunde für den österreichischen Fußball". Nur die Anreise zu ihrem ersten auswärtigen Großveranstaltung seit der WM 1998, damals ebenfalls in Frankreich, sollten die Österreicher noch mal kritisch prüfen: Von Wien aus verkehrt kein TGV direkt nach Paris, und die zwölfstündige Anreise mit der Österreichischen Bundesbahn über Zürich gilt als äußerst beschwerlich.

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SZ vom 16.06.2015
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