Süddeutsche Zeitung

Nullnull in Augsburg:Nackenschmerzen im Sperrbezirk

Lesezeit: 3 min

Nur die Trainer erfreuen sich an der Fähigkeit ihrer Mannschaften, das Zentrum zu verstellen. Augsburgs Michael Gregoritsch findet wegen der mauen Offensive sogar, das Spiel sei "fast ein Skandal" gewesen.

Von Maik Rosner, Augsburg

Michael Gregoritsch stand in den Katakomben der Arena und kam zu einem Befund, der kaum missbilligender hätte ausfallen können. "Bis zum Spiel war es wirklich super", sagte der Offensivspieler des FC Augsburg und bezog sich auf den historischen Rahmen, den sich die Gastgeber für die Verabredung mit RB Leipzig auf den Tag genau 111 Jahre nach dem ersten dokumentierten Spiel ihres Vorgängervereins FC Alemannia am 20. Oktober 1907 ausgedacht hatten.

Auch Gregoritsch hatte an seinem schwarz-weißen Retrotrikot, den Retrobildern auf der Anzeigetafel und all den anderen vielen netten Ideen im Stadion und in der Stadt seine Freude. "Etwas, das man erleben muss", sei dieser auf Vergangenheit getrimmte Samstagnachmittag in Augsburg gewesen, "aber dann kam das Spiel". Das 0:0 gegen RB Leipzig sei schlicht "schlecht" gewesen, und zwar "von 22 Mann". Gregoritsch kam in seiner Rückschau auf den zähen und kampfbetonten Vergleich mit den Sachsen zu dem Schluss: "Wäre das Drumherum nicht gewesen, wäre das Spiel gar nichts gewesen." Angesichts der vielen kreativen Vorarbeiten zum Jubiläum sei das Spiel sogar "fast ein Skandal" gewesen. "Wenn ich da oben gesessen hätte, hätte ich ganz laut gepfiffen", sagte Gregoritsch. Dass er und die anderen Augsburger erstmals in dieser Saison kein Gegentor hinnehmen mussten, sei "super, Weltklasse". Bei ihm klang das ironisch.

Es kam wohl auf die Sichtweise an, und in der Beurteilung des tatsächlich sehr destruktiven Geschehens unterschied sich der Offensivspieler Gregoritsch von den beiden Trainern markant. "Vielleicht ein paar Torszenen zu wenig", räumte Ralf Rangnick deutlich maßvoller ein. Leipzigs Trainer war nach dem Remis dennoch ähnlich milde gestimmt wie sein Augsburger Kollege Manuel Baum, der sich nach 13 Gegentoren in den vorherigen sieben Spielen nun wie Rangnick an der "defensiv hervorragenden Leistung" erfreute.

Videobeweis-Auswertung dauert fünf Minuten

Hinter ihnen lag ein Spiel, das wohl nur aus Trainersicht einigermaßen mit dem stimmungsvollen Rahmen mithalten konnte. Einen "Retrospieltag" hatte der FCA ausgerufen, und stilecht präsentiert wurden die Spieler mit veralteten Positionsbezeichnungen. Doch der vom Stadionsprecher in Knickerbocker-Hosen vorgestellte "Mittelläufer" Gregoritsch und seine Kollegen erlebten gegen das wenig retroverdächtige RB Leipzig paradoxerweise die größte Aufregung, als das Spiel nach zehn Minuten für fast fünf Minuten wegen eines zeitgenössischen Videobeweises ruhte. So lange dauerte es, bis Schiedsrichter Tobias Welz seinen umstrittenen Foulelfmeter auf einem Monitor am Spielfeldrand überprüfte, dann bestätigte und nach einer weiteren Überprüfung des Videoassistenten in Köln wegen einer vorangegangenen Abseitsstellung von Jean-Kévin Augustin doch wieder zurücknahm. Nationalstürmer Timo Werner war zehn Sekunden später im Strafraum in einem Laufduell mit Augsburgs Innenverteidiger Jeffrey Gouweleeuw zu Fall gekommen.

Abgesehen von der Aufregung um den annullierten Elfmeter geriet das Spiel annähernd so ereignisarm wie ein Stadionbesuch nachts um halb vier. Das lag vor allem daran, dass beide Mannschaften das Mittelfeld zum Sperrbezirk erklärten. Oder wie es Gregoritsch ausdrückte: "Wir wissen, dass die uns auffressen, wenn wir in die Mitte spielen. Und die wissen, dass wir sie auffressen, wenn sie in die Mitte spielen." Heraus kam dennoch ein großes Fressen im Sperrbezirk, bei dem Leipzig nach zuletzt vier Pflichtspielsiegen in Serie zwar feldüberlegen agierte, sich aber nur ganz wenige Großchancen erarbeitete.

Erst in der Schlussphase beider Halbzeiten ergaben sich ein paar nennenswerte Torannäherungen. Besonders sehenswert kam dabei im ersten Durchgang Augustins Hackenabschluss nach Nordi Mukieles flacher Hereingabe daher, doch Augsburgs Torwart Andreas Luthe rettete mit einer Fußabwehr. Kurz darauf wurde auch der FCA gefährlich, nachdem Daniel Baier den Ball im Mittelfeld erobert und einen Konter initiiert hatte, den Gregoritsch aber deutlich zu hoch abschloss. Das galt auch für seinen direkten Freistoß kurz darauf. "Offensiv haben wir nicht allzu viel zustande gebracht", sagte Baum ins knisternde Retromikrofon.

Leipzig blieb auch in der zweiten Halbzeit etwas gefährlicher, wenngleich Torraumszenen weiterhin die Ausnahme bildeten. Ein direkter Freistoß von Linksverteidiger Marcel Halstenberg nach einer guten Stunde blieb lange Zeit die einzige nennenswerte Chance, Luthe lenkte den Ball mit den Fingerspitzen über die Latte. Augsburg kam erst wieder in der Schlussphase auf und zu einer Gelegenheit nach Caiubys Flanke von links und dem Kopfball von Gregoritsch, doch Stefan Ilsanker rettete per Kopf vor der Linie. Kurz darauf gelang Gregoritsch der einzige Schuss der Augsburger aufs und sogar ins Tor, allerdings stand der Österreicher dabei im Abseits, weshalb dem Treffer die Anerkennung verweigert wurde. Und weil Ilsankers abgefälschter Versuch knapp über das Tor flog und Willy Orbans Direktabnahme in der Nachspielzeit knapp daneben, mussten sich die Sachsen ein wenig ärgern, den möglichen Sieg und Verbleib auf dem zweiten Tabellenplatz verschludert zu haben. "Alle haben Nackenschmerzen", sagte Gregoritsch hinterher noch. Und zwar wegen der vielen hohen Bälle, die hin und her flogen. Wegen des Sperrbezirks im Zentrum.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2018
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