Süddeutsche Zeitung

Niklas Süle:Ein Kühlschrank für alle

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Von Carsten Scheele, Hamburg

Mehr Chef zu sein als Niklas Süle, das ist derzeit ein schwieriges Unterfangen. Zu Hause in München ist er neuerdings der unangefochtene Boss der Abwehrabteilung des Rekordmeisters, und auch die Nationalmannschaft, zu der er gerade gereist ist, kommt nicht mehr ohne ihn aus. Es gab zuletzt einige Fluktuation in den Abwehrreihen beider Mannschaften, die Hierarchien haben sich verschoben, weil verdiente Spieler in München entweder verkauft wurden (Hummels zu Dortmund) oder nicht mehr wirklich berücksichtigt werden (Boateng). Oder, um den Blick aufs Nationalteam zu wenden, für zu gestrig befunden wurden, um den Umbruch anzuleiten (Hummels, Boateng).

Süle hingegen ist seit Dienstag gerade erst 24 Jahre alt, und er hat die Umbauarbeiten in seinen angestammten Biotopen aufmerksam verfolgt, ohne sich groß dazu zu äußern. Mit jedem Spieler, der ging (oder gegangen wurde), ist Süle etwas aufgerückt, um nun im Herbst 2019 als Doppelchef dazustehen. Wenn die deutsche Elf am Freitagabend in der EM-Qualifikation auf den schwersten Gegner der Gruppe C trifft, die Niederlande (20.45 Uhr, RTL), wird Süle im Zentrum der Dreierkette die Kommandos geben und seine Kühlschrankmaße in die Schlacht werfen, falls die Holländer allzu aufmüpfig losstürmen sollten. Als den "besten Innenverteidiger Deutschlands" hat ihn sein Chef in München, Karl-Heinz Rummenigge, bezeichnet. Höre er gerne, hat Süle geantwortet.

Ein solches Standing mit 24 Jahren und der Anzahl an zwanzig A-Länderspielberufungen, das ist zumindest selten. "Erfahrung ist auch nicht alles", sagte Süle lapidar am Mittwoch in Hamburg. Der DFB hatte zur Pressekonferenz geladen, Marco Reus war da - der Offensivchef, wenn man so will - und Süle, für alle Belange, die hinten geklärt werden müssen. Es wird ein besonderes Treffen mit den Niederlanden, insbesondere auch für die Abwehrspieler, weil bei dem Gegner Virgil van Dijk mitwirkt, der aktuell stilprägende Verteidiger des Kontinents, frisch gekürt zu "Europas Fußballer des Jahres"; zudem nominiert für die Weltfußballerwahl, die seit Fabio Cannavaro 2006 kein Defensivspieler mehr gewonnen hat. Van Dijk habe eine "unglaubliche Präsenz bei Standards", lobte Süle. Beim vergangenen Länderspiel in Amsterdam, als Deutschland in letzter Sekunde 3:2 gewann, musste Süle bei Eckbällen gegen van Dijk verteidigen. "Da habe ich gemerkt, was für ein Kerl das ist", befand Süle, "und ich bin ja auch nicht der Schmächtigste."

Nicht wirklich. Auf 1,95 Meter und 97 Kilo kommt Süle laut offizieller Verbandsbroschüre. Und wer sieht, wie kraftstrotzend er im Spiel zur Sache geht, muss es fast als Wunder bezeichnen, dass Süle nicht häufiger mal ein Spiel aussetzen muss, weil er nicht unbedingt vorsichtig mit dem eigenen Körper umgeht. Seine einzige größere Verletzung, ein Kreuzbandriss, stammt noch aus Hoffenheimer Zeiten. Er habe "bei Bayern München noch keine Trainingseinheit gefehlt", sagte Süle stolz, obwohl er bereits seit 2017 dort spielt. Um das Schicksal nicht herauszufordern, klopfte er schnell auf den Holztisch vor sich im Hamburger Millerntorstadion. Es war ein stabiler Tisch, solide gefertigt. Er ging nicht kaputt.

In der Kommunikation auf dem Platz müsse er sich noch entwickeln, sagt Süle

Kommt Süle zur Nationalelf, bedeutet das jedes Mal eine kleine Umstellung. In München ist die Viererkette die Abwehrformation der Wahl von Trainer Niko Kovac. Süle hat einen festen Platz in der Mitte, sein Partner dürfte in Zukunft meist Lucas Hernández heißen, der 80 Millionen-Euro-Zukauf von Atlético Madrid. In der DFB-Elf setzt Bundestrainer Joachim Löw seit Jahresbeginn dagegen auf eine Dreierformation. Süles Präferenz ist klar. Er sei "ein großer Fan der Dreierkette", wegen der Variabilität im Aufbau, der Möglichkeit, in der Defensive mit einem Mann mehr zu verteidigen. Das klappte zuletzt gut, mit null Gegentoren in zwei Qualifikationsspielen, aber auch nur gegen mittelprächtige Teams aus Weißrussland und Estland.

Um die Abwehr will sich der Bundestrainer im Idealfall keine Sorgen machen müssen. Seit dem Aus in der Nations League im Herbst 2018 spricht der Bundestrainer viel über seine Offensive, über die schnellen Leute, die neue Lösungen finden müssen, über Eins-gegen-eins-Situationen, über Handlungsschnelligkeit. Auch das Mittelfeld, in das Joshua Kimmich versetzt wurde, bekommt mehr Beachtung als die Männer ganz hinten. Dort steht halt Manuel Neuer im Tor - und zu Abwehrchef Süle gibt es gar keine ernsthafte Alternative.

Dabei ist es nicht so, dass Süle in der Zeit seines persönlichen Aufstiegs absolut fehlerfrei agiert hätte. In München ist er der jüngste Spieler der Vereinsgeschichte, dem drei Eigentore unterlaufen sind. Und auch er selbst hat im eigenen Vortrag Verbesserungspotenzial ausgemacht. "Sehr stark" sei er in der Kommunikation neben dem Platz, charakterisiert Süle sich selbst. Auf dem Platz müsse er sich noch entwickeln. Auch den Offensivkopfball könne er sich von van Dijk abgucken. "Da war ich schon mal besser", sagte Süle, was dann doch so klang, als könne er bereits auf eine lange, erfüllte Karriere zurückblicken.

Erfahren genug immerhin, um zu erkennen, wenn er die Debatte um einen Kollegen ins richtige Licht rücken muss. Man müsse sich um Emre Can, der sich am Mittwoch über seine Ausbootung bei Juventus Turin beschwert hatte , wirklich keine Sorgen machen. Er kenne Can "seit der U13", dieser sei "ein durchweg positiver Junge". Die Ansage des Chefs: "Emre ist ein Typ, den man eigentlich nicht aufbauen muss." Ansage beendet.

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SZ vom 05.09.2019
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