Süddeutsche Zeitung

NFL:Mehr Drama als in einem kitschigen Sportfilm

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Der letzte Spieltag der US-Footballliga bietet erstaunliche Wendungen: Pittsburgh und Las Vegas qualifizieren sich für die Playoffs der NFL - in letzter Sekunde.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Was da am Sonntag in der US-Footballliga NFL passiert ist, übertrifft sogar den Kitsch aus Sportfilmen. Wenn die Dramaturgie auf diesen einen Moment zuläuft, in dem der alternde Held vor dem Ritt in den Sonnenuntergang noch eine letzte scheinbar unlösbare Aufgabe löst oder die völlig unbegabte Mannschaft aufgrund von Teamgeist - und entgegen sämtlicher Logik - die talentierten Bösewicht-Gegner besiegt. Es kommt dann zu hanebüchenen Augenblicken, in denen man das Kino verlassen will - und dann präsentiert das wahre Leben eine noch überzogenere Geschichte.

Letzter Spieltag der regulären Saison, hier endet die Spielzeit für viele Teams, die anderen ziehen in die Playoffs ein: Es steht 13:13 zwischen den Pittsburgh Steelers und den Baltimore Ravens. Weil die Jacksonville Jaguars gleichzeitig völlig überraschend gegen die Indianapolis Colts gewinnen, ist der Sieger der Partie fast sicher in den Playoffs. Bei einem Unentschieden nach Verlängerung wäre die Spielzeit für beide Teams vorbei - und damit auch die Laufbahn von Steelers-Spielmacher Ben Roethlisberger, der angedeutet hatte, nach dieser Saison aufhören zu wollen.

Roethlisberger wird in Pittsburgh wie ein Heiliger gefeiert, nach 18 Jahren und zwei Super-Bowl-Triumphen. Er sieht mittlerweile aus wie ein Bär auf dem Weg zum Winterschlaf, und er bewegt sich auch so; genau deshalb lieben sie ihn so in Pittsburgh.

Roethlisberger hatte noch einen letzten Versuch, um acht Yards Raumgewinn zu schaffen und Kicker Chris Boswell einen Field-Goal-Versuch zu ermöglichen. Er warf, nein, er schubste den Ball vorsichtig zu Raymond McCloud, und der fing das Spielgerät, als wäre es ein rohes Ei. Kurz darauf trat Boswell das Leder aus 36 Yards zum 16:13-Sieg zwischen die Pfosten. "Das war schon außergewöhnlich", sagte Roethlisberger nach dem 53. Comeback-Sieg seiner Karriere: "Wir lieben es ganz offenbar, die Nerven unserer Fans zu strapazieren." Er hatte ja keine Ahnung, was er da sagte; die Aufregung am Nachmittag war nur die Ouvertüre für das Spektakel am Abend.

Ein siegbringendes Field Goal - natürlich in letzter Sekunde

Der Sieg von Pittsburgh würde den Playoff-Einzug bedeuten - es sei denn, die Partie am Abend zwischen den Las Vegas Raiders und den Los Angeles Chargers endet Remis. Das passiert beim Football recht selten, in dieser Saison ein Mal, zwischen den Detroit Lions und den Steelers. Allerdings war die Konstellation vor dem Abendspiel so: Der Sieger ist für die Playoffs qualifiziert, der Verlierer ist ausgeschieden - bei einem Unentschieden aber sind beide in der Ausscheidungsrunde und die Steelers draußen. Es passte zur filmreifen Dramaturgie, dass die Chargers mit dem Schlusspfiff zum 29:29 ausglichen und die Verlängerung erzwangen. Dort erzielten beide Teams je ein Field Goal, 32:32 also, viereinhalb Minuten vor dem Ende.

Die Raiders bekamen den Ball, und die hätten mit ein paar Laufspielzügen die Uhr gen null ticken lassen können; die Chargers hatten keinen wirklichen Anreiz, dieses Ticken mit einer Auszeit zu stoppen. Nur taten sie das trotzdem, und sie zeigten den Raiders dadurch: Nein, das wird keine Schmach von Vegas! Anders als beim Nichtangriffspakt von Gijón zwischen Österreich und Deutschland bei der Fußball-WM 1982 wollen wir gewinnen. Die Reaktion der Raiders: Na dann, spielen wir es aus! Quarterback Derek Carr führte seine Offensive behutsam nach vorne und ermöglichte Kicker Daniel Carson das siegbringende Field Goal aus 47 Yards - natürlich in letzter Sekunde.

Die Raiders treffen am kommenden Wochenende nun in der ersten Playoff-Runde, dem sogenannten Wild-Card-Weekend, auf die Cincinnati Bengals; die Steelers reisen zu den Kansas City Chiefs. Zum zweiten Mal in der NFL-Geschichte sind 14 Vereine für die Playoffs qualifiziert, es hatte darüber Debatten gegeben wie auch darüber, ob jeder Verein wirklich 17 Spiele absolvieren sollte und nicht 16 wie bisher. Angesichts dessen, was am letzten Spieltag passiert ist, dürfte die NFL - die noch nicht einmal so tut, als diente diese Liga einem anderen Zweck als der reinen Unterhaltung der Fans - feststellen: alles richtig gemacht.

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