Süddeutsche Zeitung

Motorsport:Der Motorradflüsterer

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2011 war Stefan Bradl der Rivale von Marc Márquez. Danach wurde der Spanier der beste Fahrer seiner Generation und der Bayer erst zu dessen Test-, dann zum Ersatzpiloten. Weshalb er dennoch zufrieden ist.

Von Thomas Gröbner

Es sind manchmal seltsame Zufälle, die einem im Leben neue Türen öffnen. Bei Stefan Bradl war es eine wuchtige Schiebetür aus Glas. Marc Márquez, der spanische Überfahrer, hatte sich beim MotoGP-Auftakt im Juli bei einer wilden Aufholjagd den rechten Arm gebrochen - und später die eingesetzte Titanplatte beschädigt, als er eine schwere Tür öffnete, um mit den Hunden am Morgen Gassi zu gehen. Seitdem ist aus dem Testfahrer Stefan Bradl wieder ein Rennfahrer geworden. Und weil sich die Rückkehr des achtmaligen Weltmeisters von Woche zu Woche verzögert, wird Bradl auch die verbleibenden drei Rennen fahren dürfen. Er hat mit 30 Jahren noch einmal eine Saison geschenkt bekommen, was will man da erwarten? "Nix", sagt Bradl. Aber wenn einer schon mal Weltmeister war, dann ist das natürlich nicht die ganze Wahrheit.

Tatsächlich konnte Bradl nur selten zeigen, was noch in ihm steckt, er fährt meist hinterher in der MotoGP, auf Rang 20 liegt er im Klassement. Nur im Regen von Le Mans zeigte er, was möglich ist: Er düpierte den damaligen WM-Spitzenreiter Fabio Quartararo, am Ende fuhr er auf Rang acht. Doch meist sieht Bradl die Rennen von hinten, obwohl er doch auf dem Motorrad des spanischen Dominators Márquez sitzt. Aber das ist kein Widerspruch: auch Marcs jüngerer Bruder Alex hat Probleme, das siegverwöhnte Honda-Team findet in dieser Saison nicht in die Spur, das Motorrad reagiert auf kleinste Veränderungen bockig. "Man hat keine Ahnung, was man tun soll. Das ist krass. Da bin ich fast verrückt geworden", sagt Bradl am Telefon, bevor er aufbricht Richtung Valencia. Die letzten Rennen stehen an für ihn, und er möchte es den Leuten schon noch einmal zeigen.

"Ich bin doch besser", sagt Bradl, weil er natürlich in Wahrheit doch mehr von sich erwartet als "nix". Aber eines gehört auch zur Wahrheit: Der Rennfahrer Bradl muss gleichzeitig Testfahrer sein, eine undankbare Doppelrolle, die ihn eine Zeit lang fast zerrissen hätte. Während die Konkurrenten auf der Strecke trainieren, muss Bradl neue Teile testen, damit jenes Motorrad in der Zukunft schnell ist, das in der Gegenwart hinterher tuckelt. Seit drei Jahren ist Bradl Motorradflüsterer und Zylinderversteher für die Japaner, er horcht hinein in das Motorrad und übersetzt die Signale der Maschine für die Mechaniker, das ist seine Aufgabe, kaum einer kann das besser als der Mann aus Zahling im Landkreis Aichach-Friedberg. Und dann soll er umschalten in den Rennmodus, das Motorrad ans Limit treiben, obwohl er das Gefühl für das Limit verloren hat? Das kann eigentlich nicht gut gehen. Als Rennfahrer, "da war ich ein bisschen eingerostet", gibt er zu. Mittlerweile hat das auch Honda erkannt und ihn befreit von der Testarbeit während des Rennwochenendes. Zumindest bis Márquez, sein Konkurrent von einst, zurückkehrt.

Bradl und Márquez, das war einmal die Geschichte eines Zweikampf zweier Rennfahrer, die eine große Zukunft vor sich sahen. Bradl war der Letzte, der den jungen Márquez noch einmal stoppte bei dessen kometenhaftem Aufstieg: 2011 besiegte Bradl ihn in der kleineren Rennserie Moto2, er wurde Weltmeister mit 21, auch weil Márquez die letzten beiden Rennen ausfiel. "Er war schneller, ich war besser", so sieht das Bradl, "weil ich konstanter und mehr mit Kopf gefahren bin." Früher waren sie Rivalen, "wir haben uns respektiert, sind aber nicht abends auf ein Bier gegangen". Inzwischen ist das anders, Márquez-Siege sind nun Bradl-Siege: "So hat sich alles verändert. Hätte ich nicht geglaubt."

Andere nennen sich El Diablo, Thriller oder JackAss. Bradl fährt als Bradl

Von Bradl selbst wurde einst erhofft, er werde zum Gesicht des Motorradsports in Deutschland. Zu einem, der die Sponsoren und die Aufmerksamkeit auf sich zieht. In seiner Heimat hatten sie damals ein Ortsschild aufgestellt mit seinem Namen: "Bradlingen", so die Hoffnung, könnte bald überall sein. Der junge Deutsche bekam viel Lob für sein Talent und seine Höflichkeit bei seiner Ankunft in der MotoGP - ungewöhnlich im Rennzirkus, in dem andere Fahrer sich Spitznamen geben wie El Diablo, Thriller oder JackAss. Bradl fuhr als Bradl, und es fing gut an mit Platz acht in seiner Premierensaison bei LCR, einem Kundenteam von Honda. Aber Platz sieben und neun in den Jahren darauf waren kein Fortschritt, und Honda war nicht geduldig. Vielleicht auch, weil Marc Márquez da schon Weltmeister geworden war in seiner Debütsaison - allerdings auf dem überlegenen Motorrad des Werksteams. Wenn man verglichen wird mit einem Überflieger, dann ist die Fallhöhe gewaltig.

Bradl schlüpfte beim Team Forward unter, doch da ging schnell alles drunter und drüber: Teamchef Giovanni Cuzari wurde mitten in der Saison verhaftet, das Team war zahlungsunfähig und fiel auseinander. Bradl musste sich wieder ein neues Motorrad suchen, aber so richtig in die Spur fand er auch beim Gresini auf einer Aprilia nicht mehr, er verließ 2017 die MotoGP und versuchte in der zweitklassigen Superbike-WM einen Anlauf. Dort wurde er am Ende nur 14. - und Bradl kehrte zurück zu Honda, als Testfahrer für den Konkurrenten von einst. Bradl hat seinen Frieden damit gemacht. Er sagt: "Wie so ein Leben eben läuft."

Und vielleicht geht gerade ja wieder eine Tür auf für ihn, bei einen anderen Rennstall als Fahrer in der MotoGP? Daran mag Bradl nicht glauben: "Die Plätze sind alle schon vergeben", und schließlich habe er "nicht mein komplettes Können zeigen können". Und dann sagt Stefan Bradl etwas, das ungewöhnlich ist im Rennzirkus: "Ich bin zufrieden als Testfahrer."

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SZ vom 06.11.2020
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