Süddeutsche Zeitung

Mexiko beim Confed Cup:Das Land, das seine Trainer vierteilt

Lesezeit: 3 min

Von Javier Cáceres

Pavel Pardo ist zu lange dabei, als dass er sich noch wundern könnte über das, was sich in seiner mexikanischen Heimat abspielt. So sehr das auch wundersam anmutet, zumindest auf den ersten Blick.

Mexikos Fußballnationalelf, die "Tri", ist für die WM 2018 in Russland so gut wie qualifiziert, sie hat in ihrer Qualifikationsrunde zweimal die USA geschlagen (und das auch noch nach den antimexikanischen Ausfällen des US-Präsidenten Donald Trump), und an diesem Donnerstag steht sie gegen Weltmeister Deutschland im Halbfinale des Confed Cups.

Auch Löw würde in Mexiko in der Luft zerrissen

Doch in Mexiko will die Kritik von Fans, Medien und Gurus am kolumbianischen Trainer Juan Carlos Osorio nicht abreißen. Nicht etwa, weil der eigentlich sehr kultivierte Coach im Vorrundenspiel an der Seitenlinie ausrastete und einen Co-Trainer Neuseelands vernehmbar als "Motherfucker" beschimpfte. Sondern weil er rotieren lässt, als ob's kein Morgen gäbe, so auch beim Confed Cup: In drei Spielen hat Osorio, 56, bereits 22 Spieler und damit mehr Profis als jeder andere Trainer im Turnier eingesetzt; Außenverteidiger Diego Reyes (Espanyol Barcelona) ist der Einzige, der in allen drei Spielen in der Startformation stand. Nun, sagt also Pardo ins Telefon, es sei immer schon so gewesen, dass der Trainer in Mexiko gevierteilt werde, aus welchen Gründen auch immer.

Pardo, 40, war einst ein so feiner Mittelfeldspieler, dass er mexikanischer Nationalspieler und - unter anderem - 2007 mit dem VfB Stuttgart deutscher Meister werden konnte. "Auch José Mourinho, Pep Guardiola oder Joachim Löw würden in Mexiko in der Luft zerrissen, wenn sie Nationaltrainer wären", sagt Pardo.

Zu den Stimmen, die sich gegen Osorios seit 2015 währende Herrschaft wenden, zählen auch Vorgänger. Der frühere Real-Madrid-Stürmer Hugo Sánchez zum Beispiel, der gleich zweimal Nationaltrainer war, wirft Osorio vor, durch die Rotationen "keinen eigenen Stil entwickelt zu haben". Manuel Lapuente, der Mexiko unter anderem bei der WM 1998 in Frankreich betreute, ereiferte sich ebenfalls: "Wenn Zinédine Zidane bei Real Madrid so viel umstellen würde, wäre er nach drei Tagen draußen! Oder glaubst du, Luis Enrique, Guardiola, Mourinho oder Ancelotti würden das machen? Das habe ich noch nie gesehen."

Auch Lapuente galt wohl die Antwort, die Leverkusens Javier "Chicharito" Hernández am Vorabend des Halbfinales in Sotschi gab: "Wir haben 23 Top-Spieler." Pardo wiederum hält das Gerede über den angeblich fehlenden Stil für deplatziert. Mexiko sei erkennbar ein Team, das von hinten heraus spielen und die Initiative übernehmen wolle. Die Daten des Confed Cups belegen das. In den drei Vorrundenspielen hatte Mexiko stets mehr Ballbesitz als der Gegner, die Nordamerikaner sind überdies unter den Mannschaften mit den meisten Angriffen - zusammen mit Deutschland. Überhaupt: "Die Resultate stimmen doch!", sagt Pardo. In der Tat: Unter Osorio hat Mexiko nur zwei von 27 Länderspielen verloren. Darunter war aber auch das 0:7-Debakel gegen Chile vor Jahresfrist bei der Copa América.

Das ansonsten aber weitgehend souveräne Auftreten Mexikos hat, wie Pardo versichert, mit einem überraschenden Umstand zu tun: Erstmals hat Mexiko für ein Turnier mehr Spieler aus dem Ausland denn aus dem Inland berufen (14 von 23). Das ist bemerkenswert, weil Mexikos Liga durch die Finanzkraft seiner vor allem von multinationalen Baukonzernen alimentierten Klubs zu einem attraktiven Markt mit guten Gehältern geworden ist. Dennoch suchen die besten Mexikaner ihr Glück im Ausland, auch in der Bundesliga.

Das gilt nicht nur für Chicharito, sondern auch für Marco Fabián (Eintracht Frankfurt) oder den gesperrten Andrés Guardado (früher Leverkusen, heute PSV Eindhoven). Verteidiger Carlos Salcedo, der beim Confed Cup wegen einer Schulterverletzung ausstieg, wird bald ebenfalls in Frankfurt spielen; Stürmer Hirving Lozano, 21, wechselte jüngst nach Eindhoven. "Mexikos Spieler wollen diese Erfahrung, und das hilft uns enorm weiter. Wir hatten immer schon technisch gute Spieler, nun sind sie wettbewerbsstärker geworden", sagt Pardo.

Zu den interessantesten Figuren Mexikos zählt - neben Chicharito - Carlos Vela, der bei der WM 2014 noch fehlte. Er war 2010 nach einer Party im Kreis der Nationalmannschaft bestraft worden - zu Unrecht, wie er meinte. Jahrelang verweigerte der Ausnahmetechniker deshalb trotz teilweise brillanter Leistungen in der spanischen Liga für Real Sociedad San Sebastián den Einsatz, erst Ende 2014 kehrte er ins Nationalteam zurück. Seither nimmt er Abwehrreihen auseinander - zusammen mit seinem Freund und Lieblingspartner Chicharito, der voller Vorfreude aufs Duell mit den Deutschen ist: "Wir wollen ins Finale, dafür sind wir hier."

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SZ vom 29.06.2017
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