Süddeutsche Zeitung

Medien:Verzweiflung

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Baseball ist der amerikanische Nationalsport, die Liga MLB gibt es seit 1903. Weil der gewohnte Spielbetrieb derzeit wegen der Corona-Krise ausfällt, überträgt der Sportsender ESPN in seiner Not nun halt Partien aus Südkorea. Besser als nichts.

Von Thomas Hahn

Beim US-Sportsender ESPN müssen die Fernsehschaffenden jetzt aufpassen, dass sie die Begeisterung richtig dosieren. Südkoreanischer Baseball gehörte für sie doch immer in eine Kategorie mit marokkanischen Seifenopern und deutschen Krimis. Mochte es wohl geben in den unbekannten Weiten jenseits der USA, brauchte aber eigentlich keiner. Jetzt ist Südkoreas Profiliga KBO der Platzhalter im Programm für die stolze Major League Baseball, deren geplanter Saisonstart wegen der Corona-Krise ausgefallen ist. Die professionellen Baseball-Bejubler müssen also etwas toll finden, das sie immer übersehen haben. Gleichzeitig dürfen sie nicht so tun, als würden Ostasiaten Amerikas Nationalspiel genauso hinreißend interpretieren wie die einheimischen Könner. Nicht einfach.

Aber was tut man nicht alles, um die Nöte der Pandemie zu bekämpfen. Eine prägende Krise des 21. Jahrhunderts ist im Gange, und die läuft etwas anders ab als andere Krisen der Weltgeschichte, bei denen Hunger und Durst die Menschen quälten. Die Schutzmaske ist die Mangelware dieser Zeit. Aber in den Wohlstandsgesellschaften fehlt es gerade eben auch an den nötigsten schönen Nebensachen des Alltags. Unter anderem ist die Grundversorgung mit Sportunterhaltung unterbrochen. Fast überall ruht der Ligabetrieb. Keine Live-Spiele, nirgends, keine wöchentlichen Ergebnisse. Manchen Fans muss es vorkommen, als liege ihr Klub im Koma.

Ein Luxusproblem? Natürlich. Aber das Gefühl von Krise verstärkt sich eben, wenn die verlässlichen Gewohnheiten nicht mehr da sind, die Seele leidet. Zum Beispiel in den USA: Der Profibaseball ist dort mehr als 150 Jahre alt, die Liga gibt es seit 1903. Die Amerikaner kennen kein Leben ohne dieses Spiel. Außerdem leidet die Industrie, die dranhängt: Wettbüros, Rechteinhaber, Vermarkter, Sponsoren. Die Verzweiflung in den USA muss wirklich groß gewesen sein, sonst wäre ESPN nie auf die Idee gekommen, seine Baseball-Sendezeit mit asiatischer Ware zu füllen. Taiwans Liga wäre auch im Angebot gewesen. Dann lieber Südkorea.

Dass die Amerikaner nicht aus Wertschätzung vor den südkoreanischen Schlag- und Wurfkünsten gehandelt haben, sieht man schon daran, dass sie die Rechte zunächst umsonst wollten. Fragen kann man ja mal. Aber so geehrt fühlten sich die KBO und ihre Vermarktungsagentur dann doch nicht. Eine Woche vor dem Saisonstart waren sich die Seiten dann einig. Jetzt sagt jemand wie Ryu Joong-il, Manager der LG Twins aus Seoul: "Ich glaube, das ist eine gute Gelegenheit, südkoreanisches Baseball international bekannt zu machen." Sechs Spiele pro Woche kommen ins amerikanische Fernsehen. ESPN feiert sich als "exklusive englischsprachige Heimat" für Live-Baseball aus Südkorea.

Soll man gratulieren? Norwegens Fernsehen zeigt Liga-Fußball von den Färöer-Inseln, insofern ist der ESPN-Deal vielleicht wirklich nicht so schlecht. Und Südkoreas Liga hat schon MLB-Profis hervorgebracht. Andererseits: Es begann mit dem Saisonauftaktspiel Samsung Lions - NC Dinos in Daegu, mitten in der Nacht auf Dienstag, Ostküsten-Zeit, gefolgt vom Seoul-Derby Doosan Bears - LG Twins. Jeweils vor leeren Rängen wegen des Coronavirus. Kein Vergleich zu Partien wie New York Yankees - Pittsburgh Pirates oder Philadelphia Phillies - Atlanta Braves. Aber hey, sagt ESPN, total egal: "It's Live-Baseball." Der Rest ist nicht wichtig.

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SZ vom 06.05.2020
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