Süddeutsche Zeitung

Manuel Neuer:Bester Mann beim 4:1

Lesezeit: 4 min

Von Philipp Selldorf, Köln

Der 1. FC Köln war beim Spielstand von 0:3 und nach der Verletzung des Linksverteidigers Noah Katterbach schon hinreichend geschädigt, als sich in der 62. Minute weiteres Unheil ankündigte: Mark Uth, der Kölner Angreifer, und Manuel Neuer, der Münchner Torwart, rasten frontal aufeinander zu wie die beiden Omnibusse im Finale des Action-Films "Red Heat". In diesem Klassiker aus dem Jahr 1988 spielt Arnold Schwarzenegger einen sowjetischen Polizisten auf Gangsterjagd in Chicago, im letzten Moment reißt er das Steuer des schweren Fahrzeugs herum, während der schwitzende, todesverachtende Widersacher weiter Gas gibt und mit nicht geringem Getöse in eine Lokomotive kracht.

Am Sonntag aber gab es keinen Guten und keinen Bösen, das Publikum in Köln wusste nicht, wie der Zweikampf ausgehen würde. Uth schien die besseren Aussichten zu haben, als er dem Steilpass hinterher sprintete, Neuer startete von der Strafraumkante, es sah aus, als hätte er den längeren Weg. Die beiden Männer beschleunigten mit aller Kraft - und dann passierte es: Neuer erwischte den Ball, Uth wich der Kollision gerade rechtzeitig aus. Beide Omnibusse blieben unbeschädigt.

Vor dem Achtelfinale gegen den FC Chelsea hebt Neuer warnend den Zeigefinger

Ohnehin war es wieder kein schlechtes Wochenende für den Nationaltorwart. Außer dem 4:1-Sieg mit dem FC Bayern nahm er aus Köln einen Strauß von Komplimenten mit nach Hause. Jeder lobte ihn ehrfurchtsvoll für seinen Auftritt. Jérôme Boateng ernannte ihn via Twitter zum besten Spieler des Spiels und gab ferner bekannt, Neuer sei "ohne jeden Zweifel der beste Torwart der Welt". Ähnliches erfuhr der 33 Jahre alte Bayern-Kapitän anderntags aus dem kicker. Im Fachblatt äußerte der ungarische RB-Leipzig-Kollege Peter Gulasci die Ansicht, Neuer habe "das ganze Torwartspiel auf ein neues Level gebracht", weltweit habe es in den vergangenen zehn Jahren keinen Besseren gegeben. Dieses Lob dürfte Neuer gefallen: Nicht, weil er besonders eitel wäre, sondern weil es von einem Kenner und Fachmann kommt. Nur Torhüter verstehen, was Torhüter machen, lautet sein Glaubenssatz.

Der Zufall wollte es, dass just als Manuel Neuer am frühen Sonntagabend mit den Reportern über das Spiel redete, ein anderer Torwart auf den Bildschirmen im Keller des Kölner Stadions erschien, der zwar auch zu den erklärten Neuer-Bewunderern zählt, der andererseits aber dazu ausersehen ist, am Denkmal des Verehrten zu rütteln. Während Neuer also kritische Anmerkungen zu dem in ersten Halbzeit nahezu perfekten, in der zweiten Halbzeit aber allzu gemütlichen Bayern-Spiel machte, bereitete sich Alexander Nübel mit Schalke auf die Partie in Mainz vor. Kurz vor deren Abpfiff, Neuer befand sich bereits im Münchner Luftraum, rettete Nübel seiner Elf das 0:0, indem er einen Schuss von Quaison an die Latte lenkte - eine Parade mit Prädikatssiegel, die geradewegs von Neuer hätte stammen können.

Die Bayern haben Nübel für die nächste Saison unter Vertrag genommen, sie haben das sozusagen für ihre Pflicht gehalten, weil Nübel enormes Talent besitzt und die geschäftlichen Konditionen für den Wechsel günstig waren. Aber in der Klubführung können sie selbst nicht verstehen, warum der 23 Jahre alte Nübel in den Handel eingewilligt hat, denn seine Aussichten auf Einsätze im Bayern-Tor sind keine guten. Neuer ist bei bester Gesundheit, so ehrgeizig wie am ersten Tag der Karriere, topfit und konstant auf der Höhe seines Könnens. Das könnten auch die Kölner Stürmer Uth, Jhon Cordoba und Anthony Modeste bestätigen, die den Torwart trotz bester Chancen nicht bezwingen konnten.

"Wir haben super Fußball gespielt", sagt Thomas Müller

Dass es zu solchen Szenen kam, das hatte nach einer Viertelstunde nicht mal der Geißbock Hennes, eine Kämpfernatur, für möglich gehalten. Die Münchner führten 3:0; selbst altgediente Spieler, die mit dem FC Bayern schon alle Pokale gewonnen haben, konnten nicht anders, als darüber begeistert zu sein. "Wir haben super Fußball gespielt", sagte Thomas Müller. Die Spielfreude, die Mischung aus kollektivem Verteidigen und kollektivem Angreifen, die strategische Ordnung - "das war absolut überragend". Bloß gab es ja noch eine zweite Hälfte - "und da", so Müller, "haben wir's uns bequem gemacht".

In dieser zweiten Hälfte erhielt Neuer Gelegenheit, den Text des Liedes "Denn wenn et Trömmelsche jeit" einzustudieren. Dreimal bekam er die Kölner Tor-Hymne zu hören, zweimal allerdings wurde die Melodie vergeblich angestimmt - Schütze Cordoba stand im Abseits. Uths Tor zum 1:4 war lediglich ein Ehrentreffer, trotzdem sah Neuer den Fall kritisch: "Wir haben abgebaut", drückte er Missfallen aus. Es ging dabei nicht mehr um die Punkte, es ging nicht mal um seine Aversion gegen Gegentore, sondern um die nahenden K.o.-Spiele der Saison, namentlich die Treffen mit dem FC Chelsea im Achtelfinale der Champions League. So hob Neuer warnend hervor, es sei problematisch, wenn - wie nach Lukas Hernandez' Einwechslung in der zweiten Hälfte - drei Linksfüße in der Abwehrreihe stünden. Dieser fachliche Einwand ließ sich auch als Plädoyer für Jérôme Boateng deuten, der Hernandez hatte Platz machen müssen.

Im nächsten Match, am Freitag gegen Paderborn, sitzt Boateng auf jeden Fall draußen, ebenso wie Benjamin Pavard sah er in Köln die fünfte gelbe Karte. Das gemeinsame Einspielen für Chelsea entfällt also, und das ist kein ganz unerheblicher Nachteil, denn wenn die Münchner Elf Schwächen hat, dann liegen sie in der dünn besetzten Defensive. In Köln haben die Bayern während der ersten Hälfte beinahe wie die Bayern in ihren besten Tagen mit Pep Guardiola ausgesehen, bloß, dass sie diesmal sogar noch ein Stück besser waren als damals, wie Neuer fand: Damals habe Guardiola ja oft "frustriert auf der Bank gesessen, weil die wir die Chancen nicht so gut genutzt haben". Dass der Torwart den Pep-Vergleich für berechtigt hält, das bedeutet, dass auch Hansi Flick mit einem großen Kompliment im Gepäck nach Hause flog.

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SZ vom 18.02.2020
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