Süddeutsche Zeitung

Mainz 05 im Abstiegskampf:Eine Narbe für den Klassenerhalt

Lesezeit: 2 min

Der 19-jährige Brajan Gruda steht bei Fußball-Bundesligist Mainz 05 für die junge Fraktion, der es immer besser gelingt, sich gegen den drohenden Abstieg zu stemmen. Notfalls auch verwundet.

Von Frank Hellmann

Wer ins Gesicht von Brajan Gruda schaut, dem fällt immer noch die Narbe neben der Nase auf. Irgendwie passt sie zwar zu einem spitzbübischen Spaßkicker, trotzdem hätte der Profi des FSV Mainz 05 auf das markante Erkennungszeichen natürlich gerne verzichtet. Bald zwei Monate ist es jetzt her, dass ihm die Stollen eines Mitspielers bei einem Abschlusstraining die rechte Gesichtshälfte aufschlitzten. Blutüberströmt sackte der junge Kerl an jenem Freitag im Februar zusammen, der Krankenwagen rauschte heran. Als Vorstand Christian Heidel hinschaute, schlug der Boss vom Bruchweg die Hände über dem Kopf zusammen. "Ich habe gedacht, der spielt die nächsten zehn Wochen kein Fußball mehr."

Noch am selben Abend sollte Gruda, 19, jedoch signalisieren, dass er im Heimspiel gegen den FC Augsburg (1:0) auflaufen könnte. Eine "grenzwertige Entscheidung", befand Heidel, zumal der verletzte Spieler den Rat eines Plastischen Chirurgen missachtete, doch wenigstens eine Schutzmaske zu tragen - die warf er nach wenigen Minuten weg. Die Episode beim ersten Heimspiel unter dem am 22. Spieltag als Retter verpflichteten Trainer Bo Henriksen verrät viel über die Einstellung des Talents aus dem eigenen Klub. Inzwischen ist dieser Draufgänger die Symbolfigur der Auferstehung unter dem dänischen Einpeitscher.

Sein Trickreichtum und seine Tapferkeit sind im Abstiegskampf allemal ein Faustpfand. Bei der 4:1-Gala gegen die TSG Hoffenheim gelang Gruda nun sogar ein Kopfballtor zum zwischenzeitlichen 3:1 in der 63. Minute. Mit aller Entschlossenheit hatte sich der 1,78-Meter-Mann in die Luft geworfen, um die Kugel über die Linie zu bugsieren. Weil auch noch Jonathan Burkardt (47. Minute), Philipp Mwene (51.) und erstmals auch der Stürmer Karim Onisiwo (88.) trafen, herrschte Hochstimmung in der Arena am Europaplatz.

"Der Trainer hat durch seine Energie die Köpfe verändert", sagt Sportdirektor Martin Schmidt

Die Mainzer legen derart spielerisch überzeugende Auftritte hin, dass der Ligaverbleib auch ohne Relegation realistisch wirkt. Selbst Martin Schmidt scheint dieses von Henriksen wachgeküsste Ensemble kaum mehr wiederzuerkennen. "Die Mannschaft tritt mit Selbstbewusstsein auf, dass sie Fußball spielen kann, wussten wir schon lange", sagte der Sportdirektor nach dem Spiel. "Der Trainer hat durch seine Energie die Köpfe verändert." Davon profitiert zuvorderst der Instinktfußballer Gruda, der beim Vorwurf mangelnder Effektivität inzwischen auf seine drei Tore und zwei Vorlagen hinweisen kann.

Kein anderer Abstiegskandidat vereint in der Offensive eine so hohe individuelle Klasse: Wenn Nadiem Amiri, Jae-Sung Lee, Gruda und Burkardt auf Balleroberung umschalten, entspringt vieles der Intuition. "Der Trainer hat mir gesagt, dass ich defensiv sehr viel laufen und ackern soll. Und dass ich dann vorn machen kann, was ich will. Er glaubt an mich, und auch ich soll 'believen'!" erzählt Gruda. Sein niedriger Körperschwerpunkt, seine famose Ballbehandlung und seine unvorhersehbaren Bewegungen im Pierre-Littbarski-Stil machen es Gegenspielern schwer, die Finten auch nur im Ansatz zu erahnen. Zuletzt schwärmte Henriksen über den hochbegabten U21-Nationalspieler: "Wenn er den Code knackt, um vor dem Tor die richtigen Entscheidungen zu treffen, wird er ein Weltklassefußballer."

Bayerns Thomas Müller tauschte nach einer Lehrstunde für die Mainzer in München (1:8) bereits das Trikot mit der Nummer 43. Der aus einer fußballaffinen Familie stammende Deutsch-Albaner - Vater Bujar war früher Profi in Albanien - ist vielleicht schon jetzt die beste Mainzer Wertanlage. Sehr wahrscheinlich, dass das Talent im Sommer von Spitzenklubs umgarnt wird. Der in Speyer geborene, zunächst beim Karlsruher SC ausgebildete Gruda belegt einmal mehr, dass sich fachkundige Nachwuchsarbeit an diesem Standort doppelt und dreifach auszahlt. Gruda entstammt dem Mainzer Jahrgang, der im vergangenen Jahr mit den U19-Junioren den deutschen Meistertitel gewann. Die Nachfolger haben erst kürzlich wieder in der Youth League für Aufsehen gesorgt. Und wenn Nelson Weiper nicht das Verletzungspech heimgesucht hätte, wäre vielleicht längst ein weiterer Youngster durchgestartet. In nur wenigen Klubs ist die Durchlässigkeit in den Profibereich so groß wie in Mainz. Auch deshalb gibt es nicht wenige, die diesem funktionierenden Ausbildungsbetrieb weiterhin die Erstligazugehörigkeit wünschen.

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