Süddeutsche Zeitung

Leichtathletin Jackie Baumann:Jackie überwindet die Familien-Hürde

Lesezeit: 3 min

Von Johannes Knuth, Nürnberg

Am Sonntag, um kurz nach zwei, ereignete sich im Frankenstadion in Nürnberg Denkwürdiges. Die Hürdenläuferin Jackie Baumann, 19, von der LAV Tübingen, hatte die Ziellinie passiert. Sie war seit wenigen Sekunden amtlich beglaubigte deutsche Meisterin über 400 Meter Hürden, in ansprechenden 57,18 Sekunden. Baumann schrie, kurz und spitz, ihr Schrei war vermutlich bis ins benachbarte Fürth zu hören. Dann versteckte sie ihr Gesicht in beiden Händen. Sie wollte gar nicht mehr herauskommen aus ihrem Versteck, und als sie es doch tat, war sie noch immer deutsche Meisterin, zum ersten Mal in ihrer jungen Karriere.

Sie erfüllte dann vorschriftsgemäß alle Pflichten einer nationalen Titelträgerin. Sie schrieb Autogramme, gab Interviews, in denen sie ihre Erleichterung wie folgt aufschlüsselte: "Mir bedeutet der Titel extrem viel. Ich glaube, das geht nicht jedes Jahr, die Konkurrenz ist ziemlich stark." Es war wirklich ein besonderer Tag für Baumann, nicht zuletzt, weil sie nach ihrem Lauf über die Hürden noch einen zweiten Lauf zu absolvieren hatte, den durch die Interviewzone.

Prominente Sportler-Eltern

Baumann trägt nun mal diesen Namen, bei dem der Öffentlichkeit zunächst ein gewisser Dieter Baumann in den Sinn kommt, Olympiasieger von 1992 über 5000 Meter. Jackie Baumann wusste natürlich, dass die Fragen kommen würden. Die nach dem Nachnamen. "Ich habe das so weit weg von mir geschoben wie möglich", sagte sie routiniert, "ich bin extrem stolz darauf, was mein Dad geschafft hat." Er sei ein Vorbild, aber mehr auch nicht. Dann sagte Baumann noch: "Es ist meine Geschichte, die ich gerade schreibe. Ich bin, glaube ich, auf einem ganz guten Weg."

Es ist kniffelig, als Sportler prominente Sportler-Eltern zu haben. Man führt oft ein Leben als "Der Sohn/die Tochter von . . .", der Verwandtheitsgrad lässt sich beliebig variieren. Jackie Baumann ist jetzt in vielen Nachrichtenspalten die Tochter von Dieter Baumann, so wie der Skirennläufer Felix Neureuther lange der Sohn von Christian Neureuther und Rosi Mittermaier war. Als Neureuther 2013 in Schladming WM-Silber im Slalom gewann, drehte sich das Verhältnis, seine Kindheit war quasi erst zu diesem Zeitpunkt zu Ende, mit 28.

Eltern sind wichtige Bezugspersonen, Isabelle Baumann betreute früher eine Weile die deutschen Langstreckler als Bundestrainerin, auch ihren Mann. Jetzt trainiert sie die Tochter, wobei es den Baumanns wichtig ist, dass Jackie diese Entscheidung aus freien Stücken traf. Sie probierte als Kind vieles aus, Turnen, Basketball, Fußball, mit elf Jahren wurde sie dann doch auf der Tartanbahn vorstellig. "Ich bin einfach viel lieber eine Individualsportlerin", teilte sie vor einem Jahr auf Homepage ihres Vereins mit, "und ganz ehrlich: Irgendwie war das doch die logische Konsequenz bei dieser Familiengeschichte."

Die Baumanns versuchen, bei dieser Familiengeschichte defensiv mit der Vergangenheit umzugehen. Sie wollen die Tochter nicht mit ihrer Präsenz erdrücken, von der sie sich später dann wieder emanzipieren muss. Der Vater lässt sich selten bei den Rennen blicken, und wenn, dann sucht niemand die Nähe des anderen, zumindest nicht öffentlich. "Mein Dad ist mehr so, wenn ich mal einen Rat brauch' oder so", sagte Baumann in Nürnberg. Der Dad war dann auch in Nürnberg da, aber immer, wenn die Rede auf seine Tochter kam, hatte er plötzlich etwas vor: "Ach, ich wollte mir doch 'nen Kaffee holen."

Jackie Baumann geht ihren Weg

Mutter Isabelle werkelt ebenfalls im Hintergrund, seit einer Weile bezieht sie Sven Rees ins Tagesgeschäft ein; Rees betreut auch den neuen deutschen Hürdenmeister Gregor Traber. "Sven klatscht ab, der hat oft den guten Spruch drauf. Damit kann ich auch ein bisschen Distanz schaffen", sagt Isabelle Baumann. Sie glaubt, dass der Erfolg der Tochter auf nationaler Bühne keinen zusätzlichen Druck aufbaut: "Als Schülerin hieß sie oft die Tochter von ... Aber mittlerweile ist sie die Achte der U23-EM, oder eben deutsche Meisterin."

Es stimmt schon, Jackie Baumann schreibt ihre eigene Geschichte. Sie entschied sich erst als 16-Jährige für die Hürden. Eine "faszinierenden Disziplin", wie sie findet, jede Hürde ist eine neue Aufgabe: "Man kann nicht über die eigene Müdigkeit nachdenken." Sie studiert in Tübingen Mathe und Sport auf Lehramt, ihr Karriereplan lautet: "Alles erst mal step-by-step." Sie ist gar nicht so sehr an schnellen Erfolgen bei Jugend- oder Juniorenmeisterschaften interessiert, sie will lieber später erfolgreich sein. Olympia? "Ich peil' mal ganz stark die Spiele 2020 an", sagt sie. "Aber jetzt mach' ich erst mal Urlaub."

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Quelle:
SZ vom 28.07.2015
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