Süddeutsche Zeitung

Leichtathletik:Zurück in der Höhenluft

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Stabhochspringerin Jelena Isinbajewa kehrt zu ihren Ansprüchen zurück, stellt mit 5,03 Meter einen neuen Weltrekord auf und sagt von sich selbst: "Das war nur der Anfang".

Thomas Hahn

Der Trainer Leszek Klima war seit Wochen schon der Meinung gewesen, dass diese Bestleitung kommen musste. Er war sogar schon etwas ungeduldig geworden mit seiner Musterschülerin, denn Silke Spiegelburg aus Leverkusen, 22 und höchst veranlagt in der Disziplin Stabhochsprung, war im Training besser denn je, blieb im Wettkampf aber bei ihren alten Höhen. Und als sie Freitagabend im Olympiastadion von Rom bei der dritten Station der Wettkampf- serie Golden League des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF die Prophezeiung des Trainers endlich wahr gemacht hatte durch einen gelungenen dritten Versuch über 4,70 Meter, verweilte Klima nicht lange in seiner Zufriedenheit. Jede Bestleistung ist nur eine Etappe auf dem Weg zur nächsten Bestleistung, und so führte Klima seiner Athletin bald die Bilder einer weiteren, noch besseren Meisterleistung vor. Den neuesten Weltrekordsprung der russischen Olympiasiegerin Jelena Isinbajewa auf 5,03 Meter. "Die ist noch ein bisschen schneller, da müssen wir nachlegen", sagt Leszek Klima, "und die nutzt den Stab noch besser, als Silke das tut. Da müssen wir noch hin."

Bald hat die Leichtathletik wieder ihren ganz großen Auftritt. Bei den Olympischen Spielen in Peking ist sie die Sparte, in der es die meisten Medaillen zu gewinnen gibt, das Kernstück des kompletten Spiele-Programms also, worauf auch der IAAF-Präsident Lamine Diack immer wieder gerne und durchaus unbescheiden verweist. Und auf dem Weg dorthin sammelt sie Geschichten, welche die Aufmerksamkeit des Publikums wecken sollen, lauter kleine Geschichten, die harmlos genug sind, um nicht zu viel zu erzählen von den Tiefen des Sportgeschäfts und der Welt drumherum. Die Geschichte von Silke Spiegelburg mit ihrer Bestleistung ist dabei natürlich eher ein Randaspekt, obwohl die Vermarkter es natürlich immer gerne sehen, wenn eine junge ansehnliche Deutsche Leistungen zeigt, die in Peking Medaillen wert sein könnten; Deutschland ist nunmal ein lukrativer Absatzmarkt für Sportunterhaltung.

Hollywoodreifes Siegerinnenlächeln

Nein, die wichtigsten Geschichten drehen sich um jene Athleten, welche weltweit einen Wiedererkennungswert garantieren und für die globale Kraft des Sports stehen. Die Leichtathletik ist immer nur so stark wie ihre Hauptfiguren, deswegen sind ihr die dominanten Figuren so wichtig wie die Kroatin Blanka Vlasic, die in Rom mit 2,00 Metern gewann, weiterhin die Chance hat, alle sechs Golden-League-Meetings zu gewinnen und damit Teilhaberin des Eine- Million-Dollar-Jackpots zu werden. Oder wie die zweite verbliebene Jackpot-Bewerberin Pamela Jelimo aus Kenia, die in Rom zum vierten Mal in dieser Saison die 800 Meter schneller als 1:56 Minuten lief (1:55,69) und dem übrigen Feld wieder um Längen voraus war.

Und natürlich ist auch Jelena Isinbajewa eine wichtige Figur dieses aufgeregten Weltsport-Zirkus'. Alles hat sie gewonnen, was es zu gewinnen gibt in ihrer Disziplin, und ab 2003 die zentimeterweise Steigerung ihres Weltrekords zu ihrem Alleinstellungsmerkmal veredelt. Mit ihrem Charisma belebte sie das Geschäft so sehr, dass gar nicht so richtig aufzufallen schien, wie langweilig es eigentlich ist, wenn eine Athletin so einsam regiert. Und ihr selbst fiel das erst nach 2005 besonders auf, denn da funktionierte das Weltrekordaufstellen nicht mehr. Sie gewann nur noch, teilweise sogar nur knapp. Sie zeigte immer noch ihr hollywoodreifes Siegerinnenlächeln, tanzte um die Kunststoffbahn und schwenkte russische Fahnen. Aber weil alle ihren eigentlichen Anspruch kannten, wirkten alle Jubelgesten gezwungen.

Sie waren es auch. Es wird so viel getäuscht im Sport, nicht nur wenn es ums Dopen geht, weshalb zurzeit auch nicht klar ist, ob das Ausscheiden des früheren 100-Meter-Weltrekordlers Asafa Powell (Jamaika) in Rom wegen eines Krampfes wirklich so unbedenklich ist, wie sein Manager Paul Doyle versicherte. Isinbajewa jedenfalls berichtete in der Nacht ihrer Rückkehr auf neue Weltrekordhöhen plötzlich bereitwillig von "vielen persönlichen Problemen", die sie Konzentration gekostet hätten. Sie hatte wohl etwas viel verändert nach dem Sommer 2005, in dem sie ihren Weltrekord noch einmal auf 5,01 Meter verbessert hatte: Denn sie wechselte alles auf einmal, den Trainer, die Technik, ihren Lebensmittelpunkt.

"Das war nur der Anfang"

Sie war von ihrem Jugendtrainer Jewgeni Trofimow zu Vitali Petrow, dem früheren Coach des Weltrekordlers Sergej Bubka, gegangen, um ihren Stil zu verändern. Sie zog aus ihrer Heimatstadt Wolgograd nach Monaco, aber gewöhnte sich nur schleppend an das mondäne Leben fernab der Heimat. Dazu kamen die Fragen bei jedem ihrer Auftritte, bei dem sie mit ihrer neuen Technik zu kämpfen hatte. Und die Konkurrenz schloss auf. Erst kürzlich erhöhte Jennifer Stuczynski den US-Rekord auf 4,92 Meter und kündigte an, sie wolle in Peking, "den Russen ein bisschen in den Hintern treten".

In diesem Sommer hat Jelena Isinbajewa sich rar gemacht. Rom war ihr erster Auftritt, und siehe, alles ist besser. Sie wirkt muskulöser denn je, zeigt einen schnellen Anlauf und einen harmonischen Übergang in den Sprung. Ganz so wie es Petrows Lehre verlangt. An ihrem Trainingsort in Formia soll sie Freunde gefunden haben, sie selbst sagt, sie habe eine innere Balance gefunden: "Ich bin glücklich, ich bin jetzt ruhig." Und die ersten Abgesänge auf sie haben sie zusätzlich motiviert. "Ich war heute wirklich sauer", sagte Jelena Isinbajewa.

Sie sagte dann noch, dass sich der Sprung über 5,03 Meter nicht besonders hoch angefühlt habe. "Das war nur der Anfang", sagte Jelena Isinbajewa, und Leszek Klima, der stille Beobachter, gab ihr recht. "Ich glaube, dass sie schon jetzt 5,15 Meter springen kann." Auch diese Bestleistung war nur eine Etappe in einem bunten Spiel.

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SZ vom 14.07.2008/mb
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