Süddeutsche Zeitung

Leichtathletik-WM:Deutsche Zehnkämpfer holen Silber und Bronze

Lesezeit: 5 min

Nach 34 Jahren haben Rico Freimuth und Kai Kazmirek bei einer Leichtathletik-WM wieder zwei Medaillen für Deutschland im Zehnkampf gewonnen. Der 29-jährige Freimuth vom SV Halle holte sich am Samstag in London mit 8564 Punkten Silber, Bronze sicherte sich Kazmirek von der LG Rhein Wied mit 8488 Zählern. Neuer Weltmeister und Nachfolger von Weltrekordler und Titelverteidiger Ashton Eaton aus den USA wurde der Franzose Kevin Mayer mit der Weltjahresbestleistung von 8768 Punkten.

In seiner Medaillen-Seligkeit dachte Freimuth an seinen Kumpel Michael Schrader, der für das ZDF als Experte ihn interviewte. "Ich habe schon vorher gesagt. Wenn ich eine Medaille gewinne, dann widme ich sie nur einem Menschen: Michael Schrader", sagte er. "Er ist mit mir ins Trainingslager gefahren und war nur für mich da. Wenn man so eine Freundschaft hat, ist es nur fair, wenn ich ihm die Medaille widme."

WM-Dritter Kazmirek war wie Freimuth nur glücklich. "Ich bin einfach nur happy. Mit der Punktzahl eine Medaille zu holen, ist megaklasse", meinte er. Bronze und Silber für deutsche Zehnkämpfer hatte es zuvor nur bei der ersten WM 1983 durch Jürgen Hingsen und Siegfried Wentz gegeben.

Freimuth, der bei der WM 2015 Dritter in Peking geworden war, ist erst der vierte deutsche Zehnkämpfer, der Silber gewinnen konnte. 1983 gelang dies Hingsen, 1987 landete Wentz hinter dem damaligen DDR-Athleten Torsten Voss auf Platz zwei, 2013 wurde Schrader Vizeweltmeister.

Die beiden deutschen Weltklasse-Mehrkämpfer trumpften an der Themse bereits am ersten Tag groß auf: Kazmirek und Freimuth gingen als Zweiter und Dritter in die Nachtruhe. Und Freimuth ging mit großer (Medaillen-)Zuversicht ins Bett, weil er sicher war, seine Stärken am "zweiten Tag ausspielen" zu können. "Ich fühle mich bereit für den nächsten Schritt in meiner Karriere", sagte er selbstbewusst - und hatte noch Zeit, sich um Trainer Wolfgang Kühne zu kümmern: "Er war übernervös. Da habe ich ihm gesagt: "Geh' doch mal Popcorn kaufen."

Diese Ruhe und Courage half ihm am Samstag auf seinen Erfolgsweg konzentriert weiter zu gehen. Nämlich mit der zweitbesten Zeit von 13,68 Sekunden über die 110 Meter Hürden zu kommen, als einziger den Diskus über 50 Meter (51,17) zu werfen, im Stabhochsprung mit 4,80 Meter nur zehn Zentimeter unter seiner Bestleistung zu bleiben sowie den Speer über 62,34 Meter fliegen zu lassen. Im abschließenden 1500-Meter-Lauf verteidigte Freimuth in 4:41,57 Minuten Platz drei.

Auch der Halbzeit-Zweite Kazmirek hatte am zweiten Tag alle Kräfte mobilisiert, um vorne dran zu bleiben und seine erste internationale Medaille zu holen und dabei seine persönliche Bestleistung um zehn Punkte zu steigern. Vor dem 1500 Metern war er 98 Punkte hinter Freimuth. Dafür hätte er 15 Sekunden schneller sein müssen als sein deutscher Rivale, was ihm mit 4:38,07 Minuten nicht mehr gelang.

Dutkiewicz gewinnt Bronze

Hürdensprintern Pamela Dutkiewicz hat bei der Leichtathletik-WM in London mit einem couragierten Lauf die Bronzemedaille und damit das zweite Edelmetall für Deutschland gewonnen. In 12,72 Sekunden kam die deutsche Meisterin vom TV Wattenscheid 01 am Samstag über 100 Meter Hürden als Dritte ins Ziel. "Ich war wie im Flow. Ich bin kurz aufgewacht und habe gedacht: du bist vorne. Ich kann das nicht glauben, ich kann das nicht glauben", sagte die 25-Jährige im TV-Sender ZDF.

Weltmeisterin wurde die Australierin Sally Pearson, die in 12,59 Sekunden ihren zweiten Titel nach 2011 holte. Auf den Silberrang lief die US-Amerikanerin Dawn Harper Nelson in 12,63 Sekunden.

Richtig Fahrt aufgenommen hat die Karriere von Dutkiewicz mit Bestzeiten, Siegen und Medaillen erst in diesem Jahr - gekrönt nun von WM-Bronze. Angefangen mit Platz drei bei der Hallen-EM im März. Es folgten erste Plätze bei der Team-EM und dem Diamond-League-Meeting in Oslo. "Es lief alles wie am Schnürchen", sagte sie. "An eine Medaille habe ich nicht gedacht. Ich war schon glücklich, hier im Finale zu sein."

Im vergangenen Jahr hatte die Lehramts-Studentin bei der EM in Amsterdam Pech: Im Finale stürzte sie über die erste Hürde. Bei Olympia in Rio lief sie ins Halbfinale.In London gelangte Europas schnellste Hürdensprinterin souverän bis in den Endkampf, nachdem sie im Halbfinale mit 12,71 Sekunden ins Ziel gekommen war - die zweitbeste Zeit, die sie je gelaufen ist.

Am Startblock musste Dutkiewicz kurz zittern. Sie hatte kurz gezuckt. Das Rennen musste zurückgeschossen werden, weil dadurch vielleicht ein Fehlstart ausgelöst worden wäre. Das Kampfgericht bestrafte niemanden, weil während der Startphase ein Flugzeug über das Olympiastadion geflogen war. "Den Satz hatte ich mir schon zurechtgelegt, falls ich raus hätte müssen", sagte Dutkiewicz.

Die deutschen Sprinterinnen sind bei der Leichtathletik-WM in London knapp an einer Medaille über 4x100 Meter vorbeigelaufen. Gina Lückenkemper (Dortmund), Tatjana Pinto (Paderborn), Lisa Mayer (Wetzlar) und Rebekka Haase (LV Erzgebirge) kamen beim Sieg der US-Staffel in 42,36 Sekunden auf Platz vier in Ziel - Bronze verpassten sie um 17 Hundertstelsekunden.Die Olympiasiegerinnen und Weltrekordlerinnen aus den USA (41,82) mit 100-Meter-Weltmeisterin Tori Bowie als Schlussläuferin setzten sich vor Großbritannien (42,12) durch, Dritte wurden die Läuferinnen aus Jamaika (42,19).

Die Jamaikanerinnen hatten 2013 und 2015 Gold geholt, waren aber nun ohne ihre formschwache Doppel-Olympiasiegerin Elaine Thompson chancenlos. Thompson hatte über 100 Meter nur Platz fünf belegt, es blieb ihr letzter Einsatz in London.Das DLV-Quartett um Lückenkemper, die im WM-Vorlauf über 100 m in 10,95 als erste deutsche Läuferin seit 26 Jahren unter elf Sekunden gelaufen ist, war mit Medaillenhoffnungen nach London gereist. Im April hatte die Sprint-Auswahl bei den inoffiziellen Staffel-Weltmeisterschaften auf den Bahamas gesiegt.Die zuvor letzte Medaille für eine deutsche 4x100-m-Staffel hatte es bei der WM 2009 in Berlin mit Bronze gegeben

Jungfleisch wird Vierte

Die deutsche Hochsprung-Meisterin Marie-Laurence Jungfleisch (Stuttgart) hat die Bronzemedaille knapp verpasst. Die 26-Jährige kam beim Sieg der russischen Topfavoritin und Titelverteidigerin Maria Lasizkene, die als neutrale Athletin Gold gewann, mit 1,95 m auf Platz vier. Jungfleisch scheiterte dreimal an 1,97 Metern. Die Polin Kamila Licwinko schaffte diese Höhe im dritten Versuch - hätte sie gerissen, wäre Jungfleisch Dritte geworden. Als bisher letzte deutsche Hochspringerin hat Ariane Friedrich 2009 in Berlin mit Bronze eine WM-Medaille gewonnen.Lasizkene, die im ersten Anlauf 2,03 Meter übersprang und danach auf Rekordjagd ging, siegte nach hartem Kampf vor der erst 19 Jahre alten Ukrainerin Julia Lewtschenko (2,01).

Licwinko, die nach dem knapp vermiedenen Aus noch 1,99 m im ersten Versuch meisterte, holte Bronze. Olympiasiegerin Ruth Beitia (Spanien) kam nicht über 1,88 m hinaus, die 38-Jährige belegte damit nur Platz elf. Die 24 Jahre alte Lasizkene sicherte sich ihr zweites WM-Gold und dem "russischen" Team den ersten Sieg bei den Titelkämpfen, im Vorfeld hatte sie schon 2,06 Meter gemeistert.

Lasizkene, die unter ihrem Mädchennamen Kutschina 2015 in Peking gewonnen hatte, war wie 18 weitere Russen vom Weltverband IAAF mit einer Ausnahmegenehmigung für den Start in London ausgestattet worden, weil sie nachweisen konnte, dass sie nicht Teil des staatlichen Dopingsystems in ihrer Heimat war. Hürdensprinter Sergej Schubenkow, Weitspringerin Darja Klischina und Hammerwerfer Waleri Pronkin hatten zuvor jeweils Silber geholt.SID cl ma

Mo Farah verpasst das Double

Großbritanniens Laufheld Mo Farah hat bei der Leichtathletik-WM sein angestrebtes Triple-Double verpasst. Acht Tage nach seinem Sieg über die 10.000 Meter musste der 34-Jährige nach sechs Jahren in einem großen Rennen wieder einer Niederlage einstecken, der Jahres-Weltbeste Muktar Edris aus Äthiopien schnappte ihm nach 13:32,79 Minuten Gold weg. Für Farah blieb nach einem dramatischen Rennen nur Silber (13:33,22). Dritter wurde Paul Chelimo (13:33,30/USA).

2011 hatte Farah Silber über 10.000 m geholt und danach eine nie dagewesene Dominanz entwickelt - unter anderem hatte er 2012 und 2016 bei Olympia jeweils beide Langstrecken gewonnen. Nach dieser Saison will sich Farah ganz auf den Marathon konzentrieren.Der EM-Dritte Richard Ringer (Friedrichshafen), 2015 in Peking noch im Finale, war im Vorlauf ausgeschieden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3626313
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Sz.de/sid/dpa
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.