Süddeutsche Zeitung

Leichtathletik:Aufschrei der Ärzte im Fall Semenya

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Der Vorsitzende des Weltärztebundes findet es verwerflich, nur wegen eines Sportwettkampfs Medikamente zu verabreichen. Seine Empörung ist heuchlerisch - mindestens aber naiv.

Kommentar von Joachim Mölter

Man hat es geahnt, schon als Frank Ulrich Montgomery anfing, über das Thema Caster Semenya zu sprechen. Und man hat es bestätigt bekommen, spätestens in dem Moment, in dem er die Basketballer ins Spiel brachte: dass er nicht viel versteht vom Sport. Im Grunde gar nichts.

Muss er ja auch nicht. Frank Ulrich Montgomery ist Arzt, Fachrichtung Radiologie, also Strahlenheilkunde. Einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden ist er durch Fernsehauftritte: Montgomery war Vorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund und Präsident der Bundesärztekammer; seit ein paar Tagen sitzt der 66 Jahre alte Hamburger der World Medical Association (WMA) vor, dem Weltärztebund.

In dieser Funktion hat der Radiologe nun einem Radiosender in Australien ein Interview gegeben zum Urteil des Internationalen Sportgerichtshofes Cas im Fall der südafrikanischen Läuferin Semenya. Und wegen des dabei gebrauchten Arguments der Chancengleichheit hat er einen Vergleich gezogen mit "Basketballern über 2,25 Meter Körpergröße, (die) durch einen chirurgischen Eingriff kleiner gemacht werden müssen, weil sie sonst einen Wettbewerbsvorteil hätten".

Mann, oh Mann, Montgomery!

Erst einmal: Großgewachsene Männer haben im Basketball nicht zwingend einen Wettbewerbsvorteil. Die Kleineren nutzen oft ihre Wendigkeit, um die Großen einfach zu umkurven; und manche Kleine besitzen sogar die Fertigkeit, den Ball aus weiter Entfernung in den Korb zu werfen, ohne dass ein Großer sie daran hindern kann. Auch wenn man sich das als Branchenfremder schwer vorzustellen vermag: Im Basketball gleichen sich Vor- und Nachteile der Körpergröße aus.

Außerdem: Es geht im Fall Caster Semenya nicht um Größenunterschiede innerhalb eines Geschlechts, sondern um den großen Unterschied zwischen den Geschlechtern, zwischen Frau und Mann.

Jedenfalls: Doktor Montgomery hält es "für sehr bedenklich, wenn ein internationales Sportreglement Ärzten vorschreiben will, Athleten Hormonpräparate zu verschreiben, um die normalen Vorgänge in ihrem Körper zu verändern", so wie es das Cas-Urteil im Fall Semenya für gerechtfertigt hält. Um bei Frauen mitrennen zu dürfen, soll diese ihren natürlichen, aber offensichtlich für gewöhnlich eher bei Männern zu findenden Testosteronwert mittels Medikamenten senken. Montgomery fordert nun also seine Kollegen weltweit auf, da nicht mitzumachen: Dem Ethik-Code der Ärzteschaft zufolge, sei es verwerflich, einem gesunden Menschen nur wegen eines Sportwettkampfs Medikamente zu verabreichen. Ach ja?

Seit Jahrzehnten führen Ärzte weltweit gesunden Athleten wegen Sportwettkämpfen Medikamente zu - mal legale Schmerzdämmer, mal verbotene Nachhilfen, Hauptsache der Körper funktioniert. Und jetzt der Aufschrei: Einen Athleten mit Hormonen zu behandeln, noch dazu eine Frau - das darf doch nicht wahr sein!

Wer sich so empört, ist heuchlerisch, mindestens aber naiv.

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Quelle:
SZ vom 07.05.2019
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