Süddeutsche Zeitung

Kritik an Athletenvereinbarung:55 Sportler unterstützen Pechstein-Petition

Lesezeit: 3 min

Claudia Pechstein kämpft gegen das Internationale Sportrecht. Die Eisschnellläuferin hat eine Petition verschickt, in der sie die Athletenvereinbarung kritisiert. Diese schließt einen Gang vor ein ordentliches Gericht aus. Überraschend viele Sportler unterstützen Pechstein.

Claudia Pechstein fällt zurzeit auf. Zum einen sportlich, die 41-Jährige gewann am Wochenende in Inzell die Deutschen Meisterschaften über 3000 und 5000 Meter. Noch mehr Aufsehen erregt aber ihr Kampf gegen das internationale Sportrecht. Derzeit klagt sie vor dem Münchner Landgericht auf Schadenersatz wegen einer mehrjährigen Dopingsperre, Pechstein macht eine ererbte Blutanomalie für die abnormalen Werte verantwortlich. Nun hat die Eisschnellläuferin eine Petition an deutsche Sportler geschickt - und 55 prominente Athleten haben sich solidarisch erklärt. Eine beachtliche Zahl.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte eine Liste mit den Namen der Sportler, die die von Pechstein formulierte Petition unterschrieben haben. Darin heißt es unter anderem: "Mir war bewusst, dass mir mit der Athletenvereinbarung gewisse Pflichten auferlegt werden, allerdings war mir nicht bewusst, auf mein Grundrecht zu verzichten, selbst in existenziellen Fragen ein deutsches Gericht anrufen zu können." Die Athletenvereinbarung muss von den Sportlern unterschrieben werden, um etwa an Olympischen Spielen teilnehmen zu können.

Unter den Unterzeichnern der Pechstein-Petition sind Olympiasieger, Welt- und Europameister. So unterstützen drei der deutschen Sieger der Leichtathletik-Weltmeisterschaften von Moskau im vergangenen August den Aufruf: Speerwerferin Christina Obergföll, Diskuswerfer Robert Harting und Stabhochspringer Raphael Holzdeppe. Zu Pechsteins Unterstützern zählen auch Patrick Hausding, Weltmeister im Synchronspringen vom Zehn-Meter-Turm und die Biathletin Andrea Henkel, zweimalige Olympiasiegerin, achtmalige Weltmeisterin und Gewinnerin des Gesamtweltcups 2007. Zudem fordert die Polizeigewerkschaft GdP die bei der Bundespolizei tätigen deutschen Sportler zur Unterschrift auf. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hatte die Kernthesen des Pechstein-Aufrufes bereits als unzutreffend zurückgewiesen.

Kein Athlet, den die FAZ zu seiner Unterschrift der Petition befragte, wollte diese als Kündigung der Schiedsgerichtsvereinbarung verstanden wissen. Auch Pechstein gab gegenüber dem sid an, unterzeichnen zu wollen: "Mir bleibt ja nichts anderes übrig, der Zwang zur Unterschrift besteht nach wie vor. Wenn ich dem nicht nachgebe, platzt mein Olympia-Traum", sagte die fünfmalige Olympiasiegerin. Speerwerferin Christina Obergföll meinte in der FAZ: "Es gibt ganz dringend Gesprächsbedarf, bevor wir wieder eine Athletenvereinbarung für die nächste Saison schließen."

In der Athletenvereinbarung steht, dass alle daraus "entstehenden Streitigkeiten unter Ausschluss der ordentlichen Gerichte nach Maßgabe der (...) Schiedsordnung entschieden werden können." Also dass die Sportgerichte über den Fall abschließend entscheiden können und ein Sportler etwa nach einem positiven Dopingtest nicht vor ein ordentlichen Gericht ziehen kann.

Clemens Prokop, Präsident vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), befürchtet keine breite Ablehnung der Athletenvereinbarung im deutschen Team vor Sotschi. "Ich habe in der Vergangenheit schon oft mit Sportlern darüber diskutiert. Am Ende haben sie immer die Sportgerichtsbarkeit akzeptiert, weil sie ihnen als die beste Lösung erschien. Hier muss einfach eine bessere Aufklärung betrieben werden. Es herrscht ein Informationsdefizit", sagte der Jurist und ergänzte: "Man sollte jetzt nicht die Sportgerichtsbarkeit und den Cas ablehnen, nur weil in einem Fall vielleicht eine fragwürdige Entscheidung getroffen wurde."

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hatte bereits in der vergangenen Woche mit Unverständnis auf Pechsteins Initiative reagiert und die Kritik an den Athletenvereinbarungen und der Sportschiedsgerichtsbarkeit zurückgewiesen. "Das Bemühen um Schadenersatz ist völlig legitim. Im Ringen um Erfolg in dieser Sache sollten allerdings nicht leichtfertig Kernaspekte des sportrechtlichen Fundaments in Frage gestellt werden", hieß es einer Stellungnahme des DOSB.

Außerdem sei es "im Ergebnis mitnichten so, dass mit der Unterschrift unter eine Schiedsvereinbarung schwerwiegende Folgen im Sinne einer Schlechterstellung der Athleten verknüpft sind. Beide Rechtswege stehen absolut gleichrangig nebeneinander", hieß es weiter.

Nun hat Pechstein sich in einem Brief an deutsche Sportfunktionäre darüber beschwert, dass Sportlern angeblich gedroht wird, wenn sie ihre Erklärung zur Athletenvereinbarung unterschreiben. "Sie können gewiss sein, dass die Zahl derer, die mit ihrer Unterschrift den Status Quo der Athletenvereinbarung kritisieren, in den nächsten Tagen und Wochen noch steigen wird. Daran werden auch Einschüchterungsversuche einzelner Verbände, die möglichen Unterzeichnern mit Sanktionen drohen, nicht ändern", schrieb Pechstein an DOSB-Generaldirektor Michael Vesper und Sportverbände.

Vesper wies die Vorwürfe zurück. "Das ist eine Verdrehung der Tatsachen", sagte er, "es ist unmöglich, was Frau Pechstein da behauptet." Pechstein aber erklärte: "Dass meinen Kollegen damit gedroht wird, sie nicht für Olympia zu nominieren, wenn sie die Erklärung unterschreiben, ist ein Skandal. Ich schäme mich dafür, dass so etwas in unserem Land möglich ist."

Die 41-jährige Pechstein kämpft nach ihrer 2009 verhängten zweijährigen Sperre wegen auffälliger Blutwerte um die Wiederherstellung ihres Rufes. Der Internationale Sportgerichtshof Cas hatte die Sperre bestätigt. Pechstein macht eine ererbte Blutanomalie für die Werte verantwortlich und klagt vor dem Münchner Landgericht auf Schadenersatz in Millionenhöhe gegen den Eislauf-Weltverband ISU und die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft.

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