Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Was Putin mit Nike gemein hat

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Wenn ein Staat und ein Weltkonzern versuchen, den Sport zu steuern, ist das verwerflich.

Von Thomas Kistner

Die Versuchung liegt nahe, die zwei aktuell prominentesten Doping-affären miteinander aufzurechnen. Zu verlockend ist diese Ost-West-Konstellation: Amerika vs. Russland, bizarre Experimente im Geheimcamp in Oregon gegen staatlich orchestrierten Pharmabetrug unter Moskauer Regie. Auch jüngste Äußerungen von Thomas Bach lassen das erahnen. Energisch pocht der Boss des Internationalen Olympischen Komitees darauf, dass die Causa "Nike Oregon Project" (NOP) mit den Sperren für den Chefcoach Alberto Salazar und dessen Hormonexperten keineswegs beendet sei. Bachs IOC will deshalb die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) mit der Abklärung beauftragen, ob alle Athleten, die dort trainieren, überprüft wurden. Und ob die Affäre Resultate bei Olympischen Spielen tangieren könnte.

Das ist zu begrüßen; nicht mal die amerikanischen Fahnder glauben ja, dass es im Nike-Projekt neben den Praktiken des Gurus Salazar eine zweite, völlig andere Trainingskultur gegeben haben könnte. Und dass sich der Untersuchungszeitraum, auf den die Vier-Jahres-Sperre gegen Salazar gründet, auf 2010 bis 2014 beschränkt, ist auch wenig vertrauensbildend. Nur: So ein Machtwort Bachs gab es in der ungleich umfassenderen russischen Staatsdoping-Affäre nie. Bohrende Fragen oder gar Ermittlungsanweisungen, die über die reine Faktenlage hinausgingen? Fehlanzeige. In der Affäre um den Kreml-Sport war das umgekehrte Bild zu besichtigen: Grimmig zog die Wada in die Ermittlungen, nachdem sie durch (für sie selbst peinliche) Medien-Enthüllungen dazu gezwungen war. Und das IOC bezog für seine Rolle als Bremser und fürsorglicher Richter über Putins Sport-Armee jede Menge Prügel.

Insofern kommt der Oregon-Skandal zeitlich sehr gelegen. Denn auch aus Russland gibt es jetzt Neues - das Altbekannte, es wird offenbar weiter vertuscht, gefälscht, gelogen. Juri Ganus tat dies Anfang Oktober in einem offenen Brief kund, der Chef der russischen Anti-Doping-Agentur Rusada vermutet die Betrüger im eigenen Land. Die Labordaten, die seine Agentur zu Jahresanfang an die Wada übergeben musste, seien massiv manipuliert worden - zu stark, als dass ein Versehen vorliegen könnte. Diese Daten hätten eine behördlich gesteuerte Dopingvertuschung von 2012 bis 2015 belegen sollen, interessanterweise lagen sie zwischenzeitlich bei der Staatsanwaltschaft. Auch der zuständige Wada-Chefermittler Jonathan Taylor erklärte bereits, positive Dopingtests seien gelöscht worden.

Das bringt auch wieder das IOC in die Bredouille: Trifft der Verdacht zu, führt kein Weg an einer neuerlichen Verbannung der russischen Athleten bei den Tokio-Spielen 2020 vorbei. Das hilft zu erklären, warum Putin jetzt selbst eingreift und allen Ernstes erzählt, man erfülle rigoros alle Anforderungen der Wada. Und warum Bach jüngst so sehr auf das US-Projekt zielte. Daran wird er nun gemessen, wenn es bald erneut um Sperren gegen Russland geht.

In einem Punkt hinkt jeder Vergleich der beiden Affären. Die Amerikaner haben ihre selbst angepackt; in Russland aber muss man jetzt wohl um den Rusada-Chef Ganus bangen, der sich so offen mit dem Kreml anlegt. Oder ist auch das abgekartet? Wird seine Aussage über manipulierte Daten in einem nächsten Schritt darauf abzielen, Boykotteure im Ausland dafür verantwortlich zu machen?

Was die Affären gemeinsam haben: Mächtige, zum jeweiligen Gesellschaftssystem passende Drahtzieher im Hintergrund. So ungeniert, wie Putin von der tollen Kooperation mit der Wada faselt, während das Gegenteil zutrifft - so ungeniert kettet sich Nike an seine Sünder. Der US-Sportkonzern verteidigt Salazar mit absurder Hingabe, sieht ihn gar reingewaschen vom Vorwurf, Doping verabreicht zu haben. Einen Mann, der mit Testosteron gehandelt und experimentiert hat und dessen Läufer ein mysteriöses Faible für Schilddrüsenfehlfunktion entwickelten, weshalb sie hormonell behandelt werden mussten. Ob die dabei ausgelösten Testosteronschübe manche Superleistung unterstützt haben, gehört dringend untersucht. Dass ein Weltkonzern den Sport zu steuern versucht ist genauso verwerflich, wie wenn ein Staat es tut.

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Quelle:
SZ vom 11.10.2019
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