Süddeutsche Zeitung

DFB-Elf:La Mannschaft hat eine Menge Ballast im Bus

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Der Weltmeister muss sich bei der EM in Frankreich mit Spaniens goldener Generation vergleichen lassen. Aber Joachim Löw fehlen wichtige Spieler, die ihm hätten helfen können.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

In Brasilien, vor zwei Jahren, hatten die Jung-Siegfriede aus Germanien allerlei Abenteuer zu bestehen, bevor sie sich Weltmeister nennen durften. In der Vorrunde sahen sie plötzlich "Schwarze Sterne" (Ghana); im Achtelfinale waren "Wüstenfüchse" (Algerien) zu bezwingen. Sie begegneten im Duell "Les Bleus", den Blauen (Frankreich), einer mitleiderregenden "Seleção" (Brasilien), die sich 7:1 demütigen ließ, und im Finale "La Albiceleste", den kernig-knorrigen Himmelblau-Weißen (Argentinien). Am Wegesrand lauerte zudem das halbe Tierreich: "Superadler" (Nigeria), "Kängurus" (Australien) und mächtige "Elefanten" (Elfenbeinküste). Feuerspeiende "Drachen" (Bosnien) und "Blaue Samurai" (Japan) versuchten sich als Fallensteller; diverse "Kaffeepflücker" (Kolumbien) und gar ein "Piratenschiff" (Griechenland) hofften auf fette Beute.

Vermutlich hat es Joachim Löw, dem Pfadfinder, und seinen Siegfrieden im Dschungel von Brasilien geholfen, dass sie quasi anonym, dass sie unter einer Tarnkappe unterwegs sein konnten. Sie waren die Namenlosen der WM, sie waren die einzige der 32 Mannschaften ohne einen charakterspiegelnden Spitznamen. Sicher, in all den Jahrzehnten zuvor waren die Deutschen nicht selten als "die Panzer" im "Blitzkrieg" durch die Turniere gerauscht, aber dieses Ketten-Geklapper hatte sich selbst auf Englands und Italiens Boulevard längst abgenutzt.

In Frankreich wird das nun ganz anders sein. Der Weltmeister ist nicht mehr nur ein vielköpfiges, namenloses Kurzpass-Ungeheuer, er reist jetzt in einem Bus, auf dem ganz groß "Vive La Mannschaft" steht. Das ist nicht nur ein höflicher Gruß an die Gastgeber, "La Mannschaft" ist seit Herbst 2014 ein vom Teammanager Oliver Bierhoff verfügtes Markenzeichen. Ein Begriff, der sich werblich nutzen, aber auch Geschlossenheit symbolisieren soll. Was nötig ist, denn La-Turnier-Mannschaft hat jetzt schon eine Menge Ballast im Bus. Ein Weltmeister ist ja nicht mehr nur sein eigener sportlicher Maßstab, von dem erwartet wird, dass er bestätigt, was er schon geleistet hat; er wird sich vergleichen lassen müssen mit Spaniens goldener Generation, die in Serie Europameister (2008), Weltmeister (2010), Europameister (2012) werden konnte.

Löw hat bereits einige Verletzte verabschieden müssen, bevor das Turnier angepfiffen ist. Und gerade ein Offensivtalent wie Dortmunds Marco Reus hätte dem Bundestrainer helfen können, das zu moderieren, was während der EM von ihm erwartet wird: jenen Generationswechsel sensibel fortzusetzen, der durch die 2014er-Rücktritte von Philipp Lahm, Miroslav Klose und Per Mertesacker eingeleitet wurde. Vor der zweiten Etappe des schleichenden Übergangs stellt sich nun verstärkt die Frage nach Form und Fitness verdienter DFB-Kräfte wie Schweinsteiger, Podolski oder Khedira.

Allein das würde als Auftrag für ein Turnier schon genügen, kämen da nicht als weitere Belastungen diverse Trittbrettfahrer-Debatten aus der Politik hinzu. Zudem erfolgt gleich im zweiten Turnierspiel gegen Polen die Rückkehr ins Stade de France nach Saint-Denis, in dessen Katakomben "La Mannschaft" während der Terror-Attacken des 13. November 2015 die Nacht verbringen musste. Das alles fordert die Psyche weit mehr als der Respekt vor dem dritten Gruppengegner. Der ist zwar als "The Green and White Army" aus Nordirland bekannt, besonders aber als ein edler Kämpfer.

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SZ vom 09.06.2016
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