Süddeutsche Zeitung

Köln:Lektion in Köpenick

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Der 1. FC erfährt von Gegner Union Berlin, wie echter Existenzkampf aussieht, und rutscht nach dem 0:2 auf den letzten Tabellenplatz ab.

Von Javier Cáceres, Berlin

Am Montag beging Horst Heldt seinen 50. Geburtstag, und auch wenn dem noch immer neuen Manager des 1. FC Köln als gebürtigem Rheinländer wohl bewusst ist, dass man Feste feiern muss, wie sie fallen, drehte er sich am frühen Sonntagabend bei einer Frage mürrisch weg. Bei der Frage danach, ob er an seinem Plan festhalte, in München zu feiern. Spätestens da war klar, dass ihm der Sinn nicht danach stand, in den Ehrentag reinzufeiern - und da er am anderen Morgen laut Nachrichtenagentur sid am Geißbockheim in Köln zu sehen war, als die Mannschaft bei Regen nicht locker auslaufen durfte, sondern unter der Leitung von Trainer Markus Gisdol eine normale Einheit verrichten musste, da scheint er auch keine weiteren Festivitäten in Angriff genommen zu haben. Ein Wunder war das nicht. Es galt, ein ohnehin schon schwer verdauliches 0:2 beim Mitaufsteiger aus Berlin-Köpenick wegzustecken, das durch den 1:0-Sieg des SC Paderborn in Bremen eine noch deprimierendere Wirkung entfaltete. Denn der Effzeh, in der letzten Saison noch recht souveräner Zweitliga-Meister, rutschte in der Bundesliga auf den letzten Tabellenplatz ab - und hat auf Union jetzt dramatisch anmutende elf Punkte Rückstand.

Nun ist noch immer Vorweihnachtszeit; mithin noch reichlich Zeit, die Ergebnisse zu korrigieren. Allmählich drängt sich der Eindruck auf, dass die Kölner bei der Rückkehr in die Bundesliga einem betrügerischen Kartenleger aufgesessen sind und nun umso erstaunter darüber sind, dass sie als Aufsteiger doch glatt etwas mit dem Abstiegskampf zu tun haben. Und wer weiß, vielleicht kam die Visite in Köpenick gerade noch zur rechten Zeit, denn die Kölner konnten sich bei den Köpenickern, also sozusagen am lebenden Objekt, Anschauungsmaterial zur Frage holen, wie man einen Existenzkampf angeht und diesen dann - wahrscheinlich - auch besteht. "Von ihnen können wir uns eine Scheibe abschneiden", sagte Gisdol - und verpasste, indem er Schlagwörter der Hochachtung für den unprätentiösen Stil Unions aneinanderreihte, seinem Team indirekte Ohrfeigen. "Nicht schön! Hart! Zupackend! Nicht Foul spielen! Konsequent nach vorne! Nachgehen. Auf Sendung sein. . . Diese Dinge hat Union total verinnerlicht, das ist ein Orientierungspunkt für uns", rief Gisdol nach seinem dritten sieglosen Spiel als Kölner Trainer und wirkte dabei fast schon beschämt. Obwohl vor den Kölnern schon Mannschaften wie Dortmund oder Gladbach in Köpenick verloren hatten.

Dass Unions schwedischer Torjäger Sebastian Andersson, 28, mit seinen Saisontreffern sieben und acht (33./50.) den fünften Heimsieg der Berliner herausschoss, unter anderem nach einer Eckball-Vorlage von Christopher Trimmel, war das eine. Das andere war, dass Gisdol "ein echtes Aufbäumen" vermisste. Im Grunde rebellierte nur Stürmer Jhon Córdoba gegen die Pleite, der Rest lieferte Alibi-Dienste. Die Kölner Fans quittierten dies, indem sie dem Rasen den Rücken zukehrten und Polonaise tanzten. Im Kabinengang wurden zunächst die Lebenszeichen der Mannschaft abgeklopft; bezeichnend war, dass Heldt tief Luft holen musste, als ihn die Frage ereilte, ob er "eine tote Mannschaft gesehen" habe. Nach einer dreisekündigen Pause lieferte er zwar eine lange Antwort, umschiffte aber ein klares Nein. Stattdessen murrte Heldt, das Spiel der Kölner sei eine Einladung an Union gewesen, die Partie zu gewinnen; sie nahmen dankbar an. Auch Häme war aus Heldts Munde zu hören, etwa, als er über die Artisten aus der Abteilung Standardsituation sprach: "Entweder schießen wir beim Eckball den ersten Mann an, oder den Freistoß so, dass er zehn Meter links oder zehn Meter rechts vom Tor landet. Aber nicht da, wo es gefährlich ist." Zusammengefasst: Köln muss an der Voraussetzung für den Klassenerhalt noch erheblich feilen.

Zumal man aus eigener, leidvoller Erfahrung weiß, dass der fatalistisch-optimistische Artikel aus dem rheinischen Grundgesetz, der besagt: "et hätt noch immer jot jejange", in Sachen Bundesliga und FC nicht greift. Heldt stand am Sonntag bereits der Sinn nach einer Winter-Shopping-Tour. "Wir werden konsequent handeln, denn wir können auf keinen warten. Jeder muss bereit sein, alles zu tun. Wenn wir das Gefühl nicht haben, dann versuchen wir die zu finden, die uns das Gefühl geben." Die Fans riefen nach dem alten Idol Lukas Podolski, der seine Etappe in Japan ausklingen lässt. Gisdol wollte das nicht kommentieren. "Ich arbeite mit den Jungs, die da sind", sagte er und wirkte nur mäßig amüsiert.

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SZ vom 10.12.2019
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