Süddeutsche Zeitung

Klettern:Kompromisslos wie ein Holzfäller

Lesezeit: 3 min

Am liebsten als Erster, und am liebsten gleich im ersten Versuch: Der Erlanger Alexander Megos zählt mit 21 Jahren schon zu den besten Kletterern der Welt.

Von Julian Galinski

Alex Legos" nennt sich die Seite auf Facebook, die bereits einige tausend Fans hat. Ihrer Beschreibung nach hat sie wohl ein Australier erstellt, der dort Lego-Männchen am echten Fels als Kletterer inszeniert. "Ich habe keine Ahnung, wer die Seite betreibt, aber würde mich freuen, diese Person einmal zu treffen", sagt derjenige, der gewissermaßen der Namensgeber für diese Hommage im Netz ist: Alexander Megos, 21 Jahre alt, in Erlangen geboren - und einer der besten Kletterer der Welt.

Anfang März hat Megos eher zufällig den Boulder-Wettkampf eines internationalen Festivals im englischen Sheffield gewonnen, "vollkommen unerwartet" nennt er seinen Sieg. Denn Bouldern, das Klettern ohne Seil in Absprunghöhe, ist nicht einmal Megos' größte Stärke. Was ihn von anderen Kletterern in der Weltspitze abhebt, ist seine Fähigkeit, Routen im ersten Versuch zu klettern. "Onsight" heißt der Fachbegriff dafür, es ist die anspruchsvollste und schwierigste Form des Kletterns, weil keine Bewegungsabläufe geübt werden können und nicht einmal andere Kletterer vorab in der Route beobachtet werden dürfen. Onsight klettern heißt, den Fels und die richtigen Bewegungen innerhalb von Augenblicken lesen zu können, es benötigt Intuition und Entscheidungsfreude, Kraft und Beweglichkeit sowieso. Eigenschaften, die Megos mitbringt. Derzeit reist Megos durch Japan und Australien, "Erstbegehungen machen", sagt er. Routen also, die vor ihm noch niemand geschafft hat.

Der junge Franke hält derzeit eine Art Weltrekord: "Ich war der erste, der eine Route im Schwierigkeitsgrad 9a onsight geklettert ist", sagt er, "Estado Critico in Spanien." Am 24. März 2013 war das - es war der Tag, der Megos nicht nur zu einem Superstar seines Sports machte, sondern ihn mit damals 19 Jahren auch zum echten Profi. Seitdem kann er seine Kletterreisen in die ganze Welt mit Sponsorengeldern finanzieren. Ein Studium, das er nach seinem Abitur 2012 zunächst einmal ins Auge gefasst hatte, ist auf unbestimmte Zeit verschoben.

1,70 Meter ist Megos groß, er wiegt knapp 60 Kilo, er sieht jünger aus als 21. Harmlos fast.

Er ist jedenfalls keiner wie etwa der US-Amerikaner Chris Sharma, einer der Posterboys der Szene; Sharma mit seiner Mähne und dem Zahnpasta-Grinsen könnte auch als Schauspieler oder Rockstar durchgehen. Der rotbackige Megos definiert sich bislang einzig über seine Leistung. Er möchte sich "selbst so weit verbessern wie nur möglich", sagt er. "Ich habe mein Limit noch nicht erreicht." Bisher ist es noch keinem anderen gelungen, eine schwierigere Route als "Estado Critico" im ersten Versuch zu bewältigen. Die logische Konsequenz wäre eine Route der Schwierigkeit 9a+, und Megos wäre der Mann, der das schaffen könnte.

Es gibt Kletterer, die verbeißen sich in solche Routen und brauchen Monate und manchmal sogar Jahre, bis sie am Ende durchsteigen können, ohne die Sicherungskette zu belasten. "Ich mag das Projektieren nicht besonders gern", sagt Megos, "es war soweit auch noch nicht notwendig." Projektieren nennt man im Klettern das kontinuierliche Training an ein und derselben Route. Dass er einmal elf Tage am Boulder Lucid Dreaming in Bishop/Kalifornien verbracht hatte, an einem der schwierigsten der Welt, war nach seinem Maßstab außergewöhnlich lang.

Megos liebt es, ein Unterfangen so frontal anzugehen wie einen Berg. "Freunde nennen meinen Stil kompromisslos", sagt er. Er selbst nennt ihn scherzhaft "Holzfäller-Modus": Einfach drauf, mit einem ausgeprägten Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Vieles ergibt und ergab sich in seinem Leben von alleine. Als er fünf Jahre war, hatte ihn sein kletterbegeisterter Vater zum ersten Mal mitgenommen und schnell festgestellt, dass er da ein Ausnahmetalent am Seil hatte. Megos begann regelmäßig zu Klettern, kam bald in den fränkischen Auswahlkader und hörte einfach nicht mehr auf, besser zu werden.

Kletter- und Boulderhallen gibt es mittlerweile in jeder größeren Stadt und damit auch fern des Felses tägliche Trainingsmöglichkeiten. Der Sport hat vielerorts das Fitnesstraining abgelöst, als Ganzkörper-Gymnastik mit Nervenkitzel. Alex Megos übt vier, fünf Tage in der Woche mehrere Stunden, an den anderen macht er Ausgleichstraining wie Laufen, für die Grundlagenausdauer. Sein junger Körper verkraftet die Belastung noch gut, doch die Kraft, die auf Muskeln, Sehnen und Bändern einwirkt, ist nicht zu unterschätzen. Das raue Plastik der Griffe an der Trainingswand und draußen am Fels schrubbt zudem immer und immer wieder Hautschichten weg.

Natürlich ist Megos beim Klettern auch schon gestürzt. Oft sogar. Stürze, unter normalen Bedingungen vom Partner gehalten, gehören bei hohen Schwierigkeitsgraden dazu. Und dennoch klettert die Furcht im Unterbewusstsein immer mit. Auch bei Alexander Megos. "Natürlich habe ich auch Angst beim Klettern", sagt er. "Angst ist ein Teil des Sports. Wenn etwa die Sicherungshaken in einer Route weit auseinander gesetzt sind." Wenn er also im Fall eines Sturzes teilweise zehn Meter und mehr am Fels entlang fällt.

Immer wieder treiben Kletterer wie der US-Amerikaner Alex Honnold das Spiel mit der absoluten Grenzerfahrung am Berg auf die Spitze, wenn sie Routen "free solo" begehen, ganz ohne Sicherung also. Wenn sie fallen - und dazu muss nur ein vermeintlich fester Stein herausbrechen - droht ihnen der Tod. "Eine Wand free solo zu klettern ist objektiv gefährlich. Am Seil einen extrem schwierigen Zug zu machen und im schlimmsten Fall in den Gurt zu stürzen, ist subjektiv gefährlich", sagt Megos. Natürlich sucht auch er den Nervenkitzel und das Adrenalin, doch vom Sicherungsseil würde er sich nie trennen. Es geht ihm um die sportliche Herausforderung, nicht um das Spiel mit dem Leben.

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Quelle:
SZ vom 28.03.2015
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