Süddeutsche Zeitung

Kai Havertz:Der 100-Millionen-Transfer

Lesezeit: 2 min

Der Wechsel des Offensivspieler von Bayer Leverkusen zum FC Chelsea ist perfekt. Mit einer im Gesamtvolumen wohl dreistelligen Ablöse wird Havertz zum deutschen Rekordtransfer.

Von Philipp Selldorf

Kai Havertz war einer jener Spieler, die nach den Vorstellungen des Bundestrainers von der Partie gegen Spanien besonders profitieren sollten: Ein niveauvoller Gegner, ein anständiger Wettbewerb, eine herrlich laue Nacht, und die ganze Nation sitzt am Fernseher - es herrschten also, wie es früher in der "Sportschau" immer hieß, ideale äußere Bedingungen für einen aufschlussreichen Auftritt. Bisher hatte Havertz ja erst sieben Länderspieleinsätze vorzuweisen; trotz anerkannt umfassender Begabungen zog Löw andere Spieler für die offensiven Positionen vor. Diesmal aber sollte Havertz' Stunde schlagen. Es kam anders.

Das Rätsel, warum der 21-Jährige bis zum Schluss auf der Ersatzbank verblieb, klärte der DFB am nächsten Tag mit einem Kommuniqué auf. In dieser Bekanntmachung waren noch Spuren der Debatte zu finden, die es zuvor um Havertz gegeben hatte. Gegen dessen Einsatz im Spanien-Spiel hatte nicht nur dessen Noch-Arbeitgeber Bayer Leverkusen Einspruch erhoben, sondern auch er selbst. Wegen des bevorstehenden Wechsels zum FC Chelsea, den der abgebende Klub am Freitagabend offiziell vermeldete, wollten Klub und Spieler das Risiko einer Verletzung vermeiden. Löw fügte sich - und erteilte Havertz außerdem die Erlaubnis, am nächsten Tag das Teamquartier in Stuttgart zu verlassen, um in London den Medizincheck zu absolvieren. "Natürlich wäre uns lieber gewesen, wenn Kai sich voll und ganz auf die Nationalmannschaft hätte konzentrieren können", erklärte DFB-Manager Oliver Bierhoff nicht ohne kritischen Unterton. Man sei sich aber "der Bedeutung für Kai und Bayer Leverkusen bewusst". Leverkusens Sportchef Rudi Völler räumte die Intervention ein und bedankte sich für das Verständnis bei den DFB-Leuten. Es sei nun mal "eine besondere Situation".

Das kann man so sehen. Havertz firmiert als deutscher Rekordtransfer. Bayer 04 empfängt rund 100 Millionen Euro Ablöse, fast doppelt so viel wie jene 53 Millionen Euro, die RB Leipzig vor wenigen Wochen für Havertz' künftigen Mitspieler Timo Werner bei den Londonern erlöst hatte. Auch Havertz selbst wird angeblich wie ein Märchenprinz bezahlt, im Rahmen eines Fünfjahresvertrags. Eine Verletzung im Spanien-Spiel wäre womöglich ein teures Unglück gewesen. Den verpassten Einsatz wird er auch am Sonntag in der Schweiz nicht nachholen. Das erläuterte Löw am Freitag eigens auf der Verbandshomepage in einem Video: "Der Spieler war so ein bisschen hin- und hergerissen. Auf der einen Seite wollte er gern zur Nationalmannschaft. Auf der anderen Seite will er auch unbedingt diesen Schritt machen." Am Sonntag in Basel werde Havertz nicht mehr zum Kader gehören: "Es gibt die Problematik, wenn er den Vertrag unterschrieben hat und in die Schweiz einreist, muss er dann vielleicht in Quarantäne". Das wäre natürlich ein unglücklicher Einstand für den nun frisch vereidigten Chelsea-Profi.

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Quelle:
SZ vom 05.09.2020
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