Süddeutsche Zeitung

Pferdesport:Ein Sieg über die Geister der Vergangenheit

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Vielseitigkeitsreiterin Julia Krajewski reitet auf Amande de B'Neville zu Olympia-Gold - und lässt die vielen Rückschläge in ihrer Karriere hinter sich.

Von Gabriele Pochhammer, Tokio

Sie hüpfte auf dem Podest herum, sie winkte mit ihrer Medaille und dem kleinen Sonnenblumenstrauß, den alle Medaillengewinner hier in Tokio bekommen, und natürlich weinte Julia Krajewski, 32, auch ein bisschen vor Glück über den Olympiasieg, den Sieg über all die Widrigkeiten, gegen die sie in den vergangenen Jahren hat kämpfen müssen, über ihre wunderbare Stute mit dem sperrigen Namen Amande de B'Neville, die sie in nur zwei Jahren zum Weltklassepferd ausgebildet hat. Dies war ihr Tag.

Mit einem souveränen Ritt im abschließenden Springen um die Einzelwertung, so schwer, dass auch bei renommierten Reitern die Stangen reihenweise fielen und die Zeit nicht reichte, ritt sie als letzte Starterin ein, wissend, dass schon ein Abwurf die Goldmedaille kosten konnte. Aber "Mandy", so der Stallname, legte zwischen sich und die Stangen reichlich Luft, alles blieb liegen, und schnell genug war sie auch. Nur 26 Minuspunkte standen am Ende zu Buche; ihrer ausgezeichneten Dressur hatte Krajewski nur 0,4 Zeitfehler im Gelände hinzugefügt. Als sie über die Ziellinie zum Ausgang galoppierte, immer wieder auf ihr Pferd zeigte, stand die deutsche Betreuergruppe Spalier und folgte der japanischen Tradition: tiefe Verbeugung vor der neuen Olympiasiegerin.

Die Silbermedaille ging an den Briten Tom McEwen auf Toledo de Kerser (29,30). Das australische Evergreen, Andrew Hoy, 62, krönte auf Vassily de Lassos seine achten Olympischen Spiele mit Teamsilber und Einzelbronze (29,60).

Bundestrainer Hans Melzer hatte den Erfolg vorhergesagt

Manchmal sei sie das Prinzesschen, manchmal die Löwin, sagte Krajewski über ihr Pferd. Am Montagabend habe Mandy sich entschlossen, die "liebe Löwin" zu geben: einerseits voller Energie und Kraft, andererseits aber ganz auf ihre Reiterin fokussiert. Bundestrainer Hans Melzer, der sich nun am Jahresende mit einer Goldmedaille aus seinem Amt verabschieden kann, hatte Recht behalten. "Irgendwann stehst du da ganz oben auf dem Treppchen", hatte er vor zwei Jahren zu ihr gesagt, als eine Reihe von Nackenschlägen sie niederzudrücken drohte.

"Ich habe schließlich eine Geschichte bei Championaten", sagte Krajewski. 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio schied sie gleich am Anfang der Geländestrecke aus, ihr Pferd Samourai du Thot zog einfach nicht. 2017 bei der Europameisterschaft im Strzegom (Polen) verlor die deutsche Mannschaft die Silbermedaille, weil bei Samourai eine verbotene Substanz gefunden wurde, deren Herkunft bis heute nicht geklärt ist. 2018 in Tryon vermasselte Krajewski mit Chipmunk durch eine Verweigerung dem deutschen Team eine WM-Medaille.

Danach musste sie sich von Chipmunk trennen, er wechselte zu Michael Jung. Das war bitter, aber Julia Krajewski ritt einfach weiter und bildete mit Amande ein neues junges Pferd aus. Im Frühjahr dieses Jahres schickte Krajewski Samourai du Thot aus gesundheitlichen Gründen in Rente, mit Wehmut, er war ihr erstes Pferd im großen Sport. Persönlich musste sie den Tod des Vaters verkraften. Die Goldmedaille von Tokio ist auch ein Sieg über die Schatten der Vergangenheit. Und dann ging es doch irgendwie weiter. Erst spät nahm Krajewski Anlauf auf Olympia, konnte sich erst im Mai in Saumur für Tokio qualifizieren. "Ich bin quasi im letzten Moment auf den Zug aufgesprungen", sagt sie.

Nicht so glücklich lief es für das Team. Die deutschen Reiter mussten sich quasi an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Durch drei fehlerlose Parcours konnten sie sich vom sechsten auf den vierten Platz vorarbeiten, mehr war nicht drin. Denn im Gelände lief es nur bei Krajewski nach Wunsch. Sandra Auffarth auf Viamant du Matz kassierte eine Verweigerung, als Reiterin und Pferd an einem schmalen Sprung kurzfristig verschiedener Meinung waren. Auffahrt konnte den Fehler schnell korrigieren, aber die 20 Fehlerpunkte plus Zeitfehler brachten das deutsche Team um die Führung nach der Dressur. Michael Jung fiel nach Auslösen des Sicherheitsmechanismus an Sprung 14 mit elf Strafpunkten auf Platz zehn zurück, ein Fehler im zweiten Springparcours bedeuteten am Ende Rang acht. "Natürlich bin ich enttäuscht", sagte Jung.

Die Briten holten souverän Teamgold in die Heimat des Vielseitigkeitssports. Zum ersten Mal seit 1972. Mit 86,30 Punkten, im bequemen Abstand von 14 Punkten zu den Australiern (100,2), also mehr als drei Springfehlern, glich der Ritt zum Olympiasieg einem Canter im Hyde Park. Die Briten hatten am Sonntag als einzige Mannschaft alle drei Reiter ohne Hindernisfehler und innerhalb des Zeitlimits durch die Geländestrecke im Sea Forest gebracht. Sie ließen den hügeligen Kurs auf der ehemaligen Müllkippe vor den Toren Tokios kinderleicht aussehen. Bei der dritten Teilprüfung nach Dressur und Gelände, dem Parcoursspringen um die Teamwertung kassierten zwar zwei von ihnen, Laura Collett auf London und der bis dahin Führende Oliver Townend auf Ballagmor Class, je einen Abwurf, aber das fiel am Ende für die Mannschaft nicht mehr ins Gewicht. Lediglich Tom McEwen auf Toledo de Kerser blieb ohne Fehler. Die Bronzemedaille ging an Frankreich (101,5).

Der Jubel am Montag galt Julia Krajewski. "Mein Handy explodierte", sagte sie. Bis alles bei ihr angekommen ist, brauche sie wohl noch etwas Zeit. "Heute bin ich vor allem voller Dankbarkeit für alle, die mich unterstützt und an mich geglaubt haben. Und ich weiß jetzt: egal, wo du her kommst, egal ob du Mann oder Frau bist, wenn du einen Traum hast, kannst du ihn erfüllen."

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