Süddeutsche Zeitung

Italien:Ruckrede von Interimscoach Buffon

Lesezeit: 3 min

Blamage gegen Mazedonien, Angst vor einem WM-Aus: In Italien mehrt sich die Kritik an Nationaltrainer Gian Piero Ventura. Als Gruppenzweiter muss der viermalige Weltmeister auf die Playoffs im November hoffen.

Von Birgit Schönau, Rom

Italien hat einen neuen Nationaltrainer. Er ist 39 Jahre alt und heißt Gianluigi Buffon. Nebenamtlich und gleichzeitig ist er Kapitän der Squadra Azzurra, Rekordnationalspieler mit 172 Einsätzen, Weltmeister von 2006 und so weiter, et cetera. Seit Samstag hat der Torwart Buffon halt auch noch den Job des "Commissario Tecnico " übernommen. Da wäre zwar noch Gian Piero Ventura als offizieller Amtsträger. Aber nach dem demütigenden 1:1 gegen Mazedonien ist Ventura nicht nur angezählt, er ist technisch k. o., seit Buffon das Gegentor eines gewissen Aleksandar Trajkovski kassierte. Der spielt bei US Palermo, zweite italienische Liga. Ein Tor aus der Serie B!

Der Capitano und eine ganze Nation hatten fassungslos zugesehen wie sinnlos die Azzurri die Spielzeit totschlugen, während Signor Ventura kopfschüttelnd am Spielfeldrand spazierte.

Basta, sagte da Gigi Buffon: "Die Lage ist ernst. Es ist an der Zeit, dass die Erfahrenen das Heft in die Hand nehmen. Der Moment ist gekommen, da wir Verantwortung übernehmen müssen und den Jüngeren helfen, sich augenblicklich auf den rechten Weg zu begeben." Worte, die eines Staatspräsidenten würdig gewesen wären. Oder - vielleicht sogar eines Nationaltrainers. Worte, die der Über-Azzurro Buffon ganz offiziell in ein Mikrofon des Staatsfernsehens sprach. Was er später seinem Übungsleiter Ventura sagte, blieb geheim. Öffentlich wurde nur, dass der Coach seinem Kapitän "die Erlaubnis" zu einer Aussprache mit dem Team gegeben habe.

Und so geigte Buffon seinen Männern eine Basta- und Ruckrede hin, die sich vermutlich gewaschen hatte, schließlich kommt der Mann aus der Toskana, wo eine deftige, mit Kraftausdrücken gewürzte Sprache zum schützenswerten Kulturerbe gehört. Trainer Ventura blieb draußen, er hätte nur gestört. "Den Senatoren gefällt sein Spiel nicht", berichtete die Gazzetta dello Sport. Wer diese Senatoren der Mannschaft sind, weiß man: Buffon, Chiellini, Barzagli, Bonucci, die alte Juventus-Turin-Hintermannschaft (Bonucci versauert inzwischen beim AC Mailand).

Welche Spielweise genau man Signor Ventura zuschreiben könnte, das weiß man aber gerade nicht. Auf dem Platz sieht man ein ausgeblichenes Remake von italienischem 70er-Jahre-Fußball, vorne zündet es nicht, die Mitte ist saft- und kraftlos, und hinten stehen sie wacklig.

Dank Belgiens 4:3 gegen Bosnien hat Italien am Samstag einen Platz unter den besten acht der neun Gruppenzweiten und damit Playoffs für Russland 2018 sicher ergattert, muss also nicht um jeden Preis am Montag in Albanien gewinnen. Dort trainiert Christian Panucci, einst Buffons Teamgefährte bei den Azzurri.

Es wäre erstmals seit 60 Jahren, dass Italien nicht zur WM darf

Panucci und Albanien sind aus allem raus, verkünden aber, sie würden kämpfen bis zum Tod. Das reicht, um auf der anderen Seite der Adria das "Psicodramma nazionale" noch zu steigern. Was, wenn der grimmige Panucci mit seinen Skipetaren die armen Italiener in einen unterklassigen Lostopf treibt und am Ende gar Nordirland in die Arme? Nordirland!

Schon geht es los, das Rechnen und Kalkulieren und Bangen. Dass man hinter Spanien Gruppenzweiter werden würde und zu den Playoffs verdonnert, war klar. Nicht klar war die desolate Harmlosigkeit und Hilflosigkeit einer Auswahl, die noch bei der EM 2016 mit ihrem Selbstbewusstsein und ihrem Spielwitz geglänzt hatte.

Damals war Antonio Conte Nationaltrainer. "Ein Perfektionist mit absolutem Siegeswillen", schwärmte jetzt Andrea Pirlo in der Gazzetta, "er gehört zu den besten Trainern der Welt. 20 Minuten Videostunde mit Conte und du weißt genau, was du zu tun hast." Nachfolger Ventura, 69, findet der Maestro Pirlo nicht ganz so überzeugend. "Als er mit Contes System spielte, ging es noch. Gegen Mazedonien habe ich nur Konfusion gesehen."

Wenig Ideen und die noch verwirrt, das wirft jetzt auch die Presse dem Signor Ventura vor, der vor der Nazionale nur 18 verschiedene Provinzklubs trainiert und keine einzige Trophäe gewonnen hatte. Eine Verlegenheitslösung? Nicht doch. Ventura gehört zur alten Garde, stockkonservativ und autoritär, der ganze Mann ist von gestern. Genau wie die Führung des Fußballverbandes, die Conte viel zu anstrengend fand und einen neuen Revoluzzer vermeiden wollte. Nun wird vielleicht die Teilnahme an Russland 2018 vermieden. Es wäre das erste Mal seit 60 Jahren, dass Italien nicht zu einer WM fahren darf.

Um das zu verhindern, laufen natürlich die Drähte heiß. Und besonders glühen sie zwischen Rom und Vancouver, wo der Ex-Bayern-Trainer Carlo Ancelotti gerade in eine gut bezahlte Ruhepause starten wollte. Bis Ancelotti kommt, übernimmt Gigi Nazionale Buffon.

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Quelle:
SZ vom 09.10.2017
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