Süddeutsche Zeitung

Ilkay Gündogan:Altes Schwarz-weiß-Lied

Lesezeit: 2 min

"Ich bin nach wie vor stolz, Teil dieser Mannschaft zu sein" : Der Mittelfeldspieler, neben Mesut Özil die zentrale Person in der Erdogan-Foto-Affäre, wird bei seinem Länderspiel-Einsatz in München mit Applaus und Pfiffen empfangen.

Von Martin Schneider, München

Um wie viel lauter ist eigentlich ein Pfiff im Vergleich zu Händeklatschen? Diese Frage stellten sich nach dem 0:0 gegen Frankreich Ilkay Gündogan und Leon Goretzka. Als Goretzka in der 66. Minute das Feld verließ und Gündogan für ihn das Feld betreten sollte, da hörte man in der Arena ein Gemisch aus Pfiffen und Applaus. Einige Zuschauer haben Gündogan die viel beschriebene Erdoğan-Affäre offenbar immer noch nicht verziehen (oder pflegen allgemeine Ressentiments); andere fanden, dass er Aufmunterung verdient habe. Goretzka sagte: "Die Erfahrung habe ich auf Schalke gemacht. Wenn ein paar Leute pfeifen, hört man es deutlicher, als wenn viele klatschen." Er sagte auch: "Ich habe mich bei der Auswechslung beeilt, weil ich mir nicht sicher war, wie das Publikum reagiert." Gündogan sagte: "Ich war nervös, als ich mich fertig machen sollte."

Es war ein kurzer, ehrlicher Einblick in eine weiter unsichere Gefühlswelt: Sind die Leute weiterhin sauer?

Oder ist es jetzt mal gut? "Ich wusste nicht, wie ein Großteil der Leute reagiert", sagte Gündogan. Er habe sich am Dienstag nochmals mit DFB-Präsident Reinhard Grindel unterhalten: "Wir hatten ein gutes Gespräch, einen guten Austausch. Er hat gesagt, dass er froh ist, dass ich weitermache und dass ich Teil der Gruppe bin. Aber wir hatten auch nie Probleme untereinander." Der im Zuge der Affäre zurückgetretene Mesut Özil hingegen hatte in seiner Rücktrittserklärung insbesondere Grindel angegriffen und ihm Rassismus unterstellt.

Gündogan hatte sich - im Gegensatz zu Özil - in der Sache von Anfang an fürs Reden und auch fürs Bleiben entschieden, er hatte das Foto mit Höflichkeit gegenüber dem Präsidenten des Landes seiner Eltern begründet. Aber genau wie Özil kam er in der Aufarbeitung des Sommers zu dem Schluss, dass es nicht bei Kritik an den Erdoğan-Fotos geblieben sei, sondern die Grenze zum Rassismus überschritten wurde - und dass der DFB mit der Situation hätte besser umgehen können. Dazu passte, dass vor dem Spiel immer noch das alte Schwarz-und-weiß-Lied von Oliver Pocher lief. Der Comedian hatte sich während der WM Glubschaugen aufgeklebt, um sich über Özil lustig zu machen.

Dennoch: Gündogan trat in der ganzen Debatte versöhnlich auf. Es heißt, die Kritik habe ihn sehr mitgenommen. Bei seinem einzigen Einsatz bei der WM, als er gegen Schweden für den verletzten Sebastian Rudy kam, war er völlig von der Rolle. Nun sagte Thomas Müller vor dem Spiel, man müsse sich noch bewusster vor Gündogan stellen. Der wirkte nach dem Applaus von Teilen des Publikums gegen Frankreich gelöster - und auch danach hörte er sich erleichtert an. "Ich bin nach wie vor stolz, Teil dieser Mannschaft zu sein", sagte er - und verließ das Stadion lächelnd.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4121145
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.09.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.