Süddeutsche Zeitung

Hundeschlittenrennen:Maximal 15 Grad auf Hundehöhe

Lesezeit: 4 min

Früher war Gregor von Gumppenberg drogenabhängig - dann fand er eine besondere Therapie.

Von Nadine Regel

Die Aufregung am Zieleinlauf ist groß. Gregor von Gumppenberg und seine Hunde lassen auf sich warten. Eigentlich hätte der 44-Jährige als Mitfavorit seinem Konkurrenten direkt auf den Fersen sein müssen. Doch von Gumppenberg fährt erst 19 Minuten nach Florian Bachmann mit seinen japsenden Hunden über die Ziellinie. Die Zuschauer blicken sich fragend an, der Musher, der Lenker des Hundeschlittens, wirkt angespannt. Warum, das wird wenig später klar. Den Titel um die deutsche Meisterschaft in der Mitteldistanz im offenen Wettbewerb hat der Tutzinger verpasst, weil ein Streckenposten ihn auf die falsche Strecke geleitet hat. Wegen der hohen Temperaturen wurde die Rennstrecke von knapp 40 auf 30 Kilometer gekürzt. Von Gumppenberg fuhr einen Umweg.

Zweiter trotz Extrakilometern. "Heute waren meine Hunde noch schneller als gestern", sagt er und tätschelt seinem Rüden Kafka den Kopf. Nach dem Rennen füttert er die Hunde am Auto und geht mit ihnen spazieren. Sie laufen ohne Leine. Von Gumppenberg dreht sich eine Zigarette. Sein dunkles, lockiges Haar ist von der dicken Wollmütze verwuschelt, es sei kälter gewesen als gedacht. Er sieht kaputt aus. Von Gumppenbergs Team besteht aus fünf Europäischen Schlittenhunden, die alle einem Wurf entstammen. Sie sehen so gar nicht aus wie die typischen, reinrassigen Schlittenhunde, sondern ähneln langbeinigen Jagdhunden mit kurzem, schwarzem Fell. Sie werden auch Scandinavian Hounds genannt, sind aber keine anerkannte Rasse, sondern ein Hundetyp. Der skandinavische Einschlag durch den Alaskan Husky ist bei zwei seiner Hunde erkennbar: Cosmo und Pamuk haben helle, gletschereisblaue Augen. Ein extremer Kontrast zum schwarzen, athletischen Körper. Von Gumppenberg ist fasziniert vom Gemüt und der Athletik seiner Hunde. Sie seien anhänglicher, führiger und sportlicher als die reinrassigen Schlittenhunde.

"Das Tierwohl ist das Wichtigste für uns", sagt Michael Matthes, der seit 2016 Vorsitzender des Fränkischen Schlittenhunde-Sportclubs (FSSC) ist. Gemeinsam mit dem Skiclub Wallgau hat der FSSC die Veranstaltung in Wallgau im Werdenfelser Land organisiert. Die Temperatur darf auf Hundehöhe nicht über 15 Grad betragen. "Direkt am Boden ist das Klima noch mal anders", sagt der 61-Jährige mit der auffälligen orange-weißen Bommelmütze. Der Sachse ist seit 15 Jahren im Hundeschlittensport aktiv und moderiert den Renntag, der schon neun Uhr morgens beginnt. Seine Ansprache ist unverkennbar. "Mich hört man gut heraus, sonst spricht hier kein Sachse ins Mikrofon", sagt Matthes und lacht.

Ein sonniger Wintertag im Februar. Durch die ergiebigen Schneefälle der vergangenen Wochen sind die Bedingungen sehr gut. Die Route der Sprint- und Mitteldistanzen schlängeln sich hinter dem Dorf durch den Talkessel, eingerahmt von Karwendel-, Wetterstein- und Esthergebirge. Ein kleiner Bach plätschert durch die sanft verlaufenden Schneehügel. Der Himmel strahlt in tiefem Blau, keine Wolke ist in Sicht. Mittendrin sprinten die Gespanne durch den Schnee. Die Hunde sind außer sich vor Aufregung und Freude. Schlittenhunde leben für das Laufen. Und Gregor von Gumppenberg lebt für seine Hunde - und wegen seiner Hunde. Seine bewegende Lebensgeschichte schaffte es 2016 in die Medien, weil er und seine Partnerin, Julia von Hammerstein, eine Crowdfunding-Aktion starteten. Ziel war es, 30 000 Euro zu sammeln, um den kostenintensiven Sport zu finanzieren und von Gumppenberg auf die Weltmeisterschaft 2019 vorzubereiten - mit Medaillenhoffnung. Eine Hoffnung, die ihm neuen Lebensmut geben sollte. Als Jugendlicher verfiel er nach der Trennung seiner Eltern den Drogen. Joints, Koks, Pillen, Heroin. Der Werdegang eines Junkies. Zusätzlich diagnostizierten die Ärzte eine bipolare Störung bei von Gumppenberg, die ihn abwechselnd in zutiefst depressive und hoch euphorisierte manische Phasen stürzte. Er versuchte, seiner Sucht und Krankheit zu entfliehen. Er arbeitete zwei Jahre als Safariguide in Kenia, ließ sich verschiedene Male stationär behandeln. Nichts konnte die Leere und den Schmerz in ihm überbrücken, für nichts konnte er sich begeistern. Doch dann kamen die Hunde.

Der gebürtige Münchner erlernte das Hundeschlittenfahren vor 17 Jahren im Bayerischen Wald - mit Hounds. Er kaufte sich neun Hounds, begann mit der Zucht und fuhr 2003 sein erstes Rennen. Sein Ehrgeiz brachte ihm 2008 den Weltmeistertitel ein. 2015 kam der erneute Absturz, weil der nunmehr Vater zweier Kinder aus Geldnot die Hunde verkaufen musste. Ohne Hunde kein Leben. Das Crowdfunding war erfolgreich, und auch von Gumppenberg erfüllte alle Erwartungen. Bei der WM 2019 in Frankreich belegte er in der Mitteldistanz den dritten Platz. Mit seiner Jugendliebe Julia von Hammerstein, mit der er seit drei Jahren wieder eine Beziehung führt, lebt er in einer Patchworkfamilie - eine Tochter bringt sie mit, zwei Kinder er, gemeinsam bekamen sie noch zwei weitere.

Das Hundeschlittenrennen als klassischen Sport hat sich Anfang der Siebzigerjahre in Deutschland durchgesetzt. Heute werden Wettbewerbe in der reinrassigen Klasse ausgeführt, in der sibirische Huskys, Alaskan Malamutes, Grönlandhunde und Samojeden starten. Außerdem gibt es den offenen Bereich. Hier sind auch europäische Schlittenhunde, also Hounds, zugelassen. Charakteristisch für den Sport, der ein Randsport ohne große Förderungs- und Sponsoringmöglichkeiten ist, sind die zahlreichen Kategorien, in den Bewertungen durchgeführt werden. Unterschieden wird nach Rassenzugehörigkeit, Geschlecht und Alter der Musher, Anzahl der Hunde, Transportmittel und der Disziplin - Sprint, Mitteldistanz und lange Distanz. Insgesamt gibt es 800 aktive Musher in Deutschland, die auch eine Lizenz besitzen, also durch eine Prüfung bewiesen haben, dass sie etwas von ihrem Handwerk verstehen. Organisiert sind die Musher in Vereinen, die dem Verband Deutscher Schlittenhundesport Vereine e.V. (VDSV) angehören. Nur sie sind berechtigt, auch an Wettbewerben teilzunehmen.

"Der Trend geht zum Einhundbesitzer", sagt Matthes. Deswegen werde das Canicrossing immer beliebter. Das ist der Überbegriff für alle Varianten des Sports im Sommer, an dem maximal zwei Hunde und ein Musher beteiligt sind - entweder auf dem Roller, Fahrrad oder zu Fuß als Jogger. "Da laufen schon auch mal Pudel mit", sagt Matthes und grinst. Das Skijöring, die Fortbewegung des Mushers auf Langlaufski mit Ein- oder Zweihundgespann, ist bereits etabliert. Einerseits begrüße er diese Entwicklung, weil es neuen Zulauf zu den Vereinen brächte. Das Vereinsleben werde aber von den Mushern mit großen Gespannen getragen, weil sie den Sport intensiver betrieben. "Diese Generation stirbt langsam aus", sagt Matthes. Das Halten von vielen Hunden ist aufwendig und teuer. Doch auf der Piste, sagt Matthes, erlebe er eine "unglaubliche Freiheit", die ihm sonst nichts geben könne.

Große Rennen will von Gumppenberg 2019 nicht mehr fahren. Nun stehe die Zucht im Vordergrund. Leithündin Kenya ist läufig und soll gedeckt werden - von Apple. "Mit fünf Hunden ist man nicht konkurrenzfähig", sagt von Gumppenberg, der auch eine Hundeschule betreibt. Sein Ziel sei der Gewinn der Weltmeisterschaft 2023. Vor allem aber will er clean bleiben und mit seiner Familie ein glückliches Leben führen.

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Quelle:
SZ vom 02.03.2019
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