Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Dardai ist "negativ überrascht" von seinem Team

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Beim 1:1 im Berlinderby gegen Union spielt Hertha BSC nur eine Halbzeit ordentlich. Danach gibt es reihenweise Gründe für den Groll des Trainers - auch Böller vor dem Stadion sorgen für Ärger.

Von Nico Fried, Berlin

Lokalderby, gut und schön. Für die Fans sei das gewiss von besonderer Bedeutung, hatte Hertha-Sportdirektor Arne Friedrich vor dem Spiel gegen Union Berlin gesagt. Für die Mannschaft aber gehe es "in erster Linie darum, das Spiel zu gewinnen." Drei Punkte müssten her, damit Hertha BSC "möglichst schnell" von den unteren Rängen wegkomme. Das klang tatendurstig. Und auch Pal Dardai berichtete von einem guten Gefühl. "Aber die ganze Gefühlssache", so der Hertha-Trainer, "das kann auch täuschen." Am Ende war es dieser kleine Zusatz, mit dem er recht behielt.

1:1 trennten sich Union und Hertha BSC im Berliner Stadtderby. Die ganze Entschlossenheit - verpufft. Tatsächlich war die Hertha damit noch gut bedient, der Trainer allerdings ziemlich angefressen. Er sei "negativ überrascht" von seiner Mannschaft, polterte Dardai in der anschließenden Pressekonferenz sofort los. Vieles von dem, was man sich spielerisch vorgenommen hatte, habe er nur von Union gesehen. Die erste Halbzeit sei noch in Ordnung gewesen, zumindest nachdem seine Mannschaft einen Rückstand wettgemacht hatte. "Zweite Halbzeit kannst du total vergessen."

Immerhin aber reichte es noch zu einem Punkt - auch weil den Unionern, wie deren Trainer Urs Fischer hinterher analysierte, in den entscheidenden Momenten nicht die richtige Lösungen eingefallen seien. Hertha BSC bleibt damit vom Abstieg bedroht, Union schwebt weiter irgendwo zwischen sicherem Klassenerhalt und Europapokal-Träumchen.

Das Spiel begann, fast wie inszeniert, in einem durchaus abwechslungsreichen Drei-Minuten-Takt. Mit dem Anpfiff zündeten Union-Fans hinter ihrer Tribüne an der Waldseite des Stadions an der Alten Försterei eine Feuerwerksbatterie, deren Leuchtkugeln bei Tageslicht zwar kaum zu sehen, deren Knallerei aber umso deutlicher zu hören waren. Genau drei Minuten währte das Spektakel, eine Würstchenbude geriet in Brand, Ordner rückten mit Feuerlöschern an.

Weitere drei Minuten später dann die erste Torchance: Max Kruse zog aus gut 20 Metern mit dem linken Fuß ab, ein Schuss, für den sich Alexander Schwolow lang und flach machen musste. Exakt nach neun Minuten hatte Robert Andrich dann mehr Erfolg. Der Mittelfeldspieler der Unioner, ersichtlich motiviert bis in die allerdings sehr kurzen Haar- und Bartspitzen zog aus ähnlicher Position ab wie zuvor Kruse, doch diesmal schlug der Ball im Tor ein. Andrich konnte sich hinterher nur noch schemenhaft erinnern: "Ich weiß gar nicht mehr, ob ich ihn gut treffe", berichtete er nach dem Spiel, "auf jeden Fall geht er sehr gut rein."

Ausgerechnet Andrich. Der gebürtige Potsdamer hatte 12 Jahre lang bei den Junioren der Hertha gespielt, aber den Durchbruch in die Profi-Mannschaft nicht geschafft. 2015 verließ er den Verein und kam 2019 zu Union. Im Hinspiel war Andrich ähnlich aufgedreht gewesen, aber weniger geschickt: Schon nach 23 Minuten hielt er sein Bein quer wie eine Bahnschranke, allerdings in unzulässiger Höhe: Platzverweis. Hertha gewann trotz einer 1:0-Führung der Unioner noch mit 3:1.

Jetzt im Rückspiel vergingen weitere drei Minuten, bis Union den Vorsprung hätte ausbauen können. Julian Ryerson traf erst die Latte, den Nachschuss setzte Petar Musa darüber. Der Kroate im Union-Sturm wartet damit weiter auf sein erstes Bundesliga-Tor.

Die Hertha brauchte dann mehr als drei Minuten, um wieder Tritt zu fassen, erspielte sich aber erste Möglichkeiten. Einen Freistoß von Matheus Cunha lenkte die Union-Mauer am Tor vorbei, kurz darauf traf Jordan Torunarigha per Kopf immerhin schon mal die Latte. Den Ausgleich erzielte dann nach 34 Minuten Dodi Lukebakio per Elfmeter, nachdem Guendouzi zielstrebig und erfolgreich den für einen Strafstoß notwendigen Körperkontakt mit Union-Verteidiger Marvin Friedrich gesucht hatte. 1:1 zur Pause - doch den Rest hätte man sich eigentlich schenken können.

Zwar zeigte sich Union nach dem Wechsel deutlich entschlossener. Die Eisernen standen jetzt höher, drückten die Herthaner in deren Hälfte, spielten allerdings keine echten Torchancen heraus. So dominierte viel Kampf das Spiel, gellende Schmerzensschreie von stürzenden Fußballern zerschnitten die kühle Abendluft, gefolgt von demonstrativ wütenden Protestrufen am Spielfeldrand. Nur rechter Spielfluss wollte auf beiden Seiten nicht mehr entstehen. "Tough game", stellte Union-Spieler Julian Ryerson hinterher trocken fest: "schweres Spiel".

In der 79. Minute brachte Dardai dann erstmals nach einer Verletzungspause Sami Khedira. Das war eher ein Zeichen zur Stabilisierung der Defensive. Vom unbedingten Willen, drei Punkte zu holen, war da schon längst nichts mehr zu sehen. Urs Fischer wechselte kurz darauf Joel Pohjanpalo ein, einen Mittelstürmer. Union wollte den Sieg mehr, holte aber auch keine Chance mehr heraus. Da wäre mehr drin gewesen, befand Torschütze Andrich nach dem Spiel. "Insgesamt ist ein Punkt für uns meiner Meinung nach zu wenig." Allerdings weniger zu wenig als für Hertha BSC.

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