Süddeutsche Zeitung

Hertha BSC im DFB-Pokal:Berlin träumt noch nicht von Berlin

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Hertha BSC übersteht die zweite Pokalrunde in Münster - und feiert einen Sieg gegen 57 Jahre alte Ressentiments. Die jungen Spieler wissen allerdings nichts davon.

Von Ulrich Hartmann, Münster

Diese Sache zwischen Preußen Münster und Hertha BSC Berlin ist schon in der ersten Bundesliga-Saison losgegangen. An jenem letzten Spieltag im Mai 1964 gewannen die Preußen daheim gegen die Hertha zwar mit 4:2, stiegen aber trotzdem ab, weil die Berliner anschließend immer noch ein winziges Pünktchen mehr hatten und deshalb gerade so drin blieben. Der SC Preußen kehrte nie wieder in die Bundesliga zurück und ist heute nur noch viertklassig.

Ein historisch bedingter Groll spielte also auch mit, als die Münsteraner den Bundesligisten Hertha nun in der zweiten Runde des Pokals an den Rand einer Niederlage brachten. Aber eben nur an den Rand. Trotz einer 1:3-Heimniederlage verließen die Westfalen ihren Rasen aber erhobenen Hauptes, mit nur zwei Toren Differenz bei immerhin drei Klassen Unterschied fühlten sich die Regionalliga-Fußballer als Sieger der Herzen.

Ostern und Weihnachten fallen in Münster fortan also nicht auf den 26. Oktober. Diese Feste müssten wohl zusammenkommen, um Berlin schlagen zu können, hatte Münsters Sportchef Peter Niemeyer - in seinem früheren Fußballerleben Profi bei der Hertha - vor dem Spiel gewitzelt. Aber viel hat am Ende nicht gefehlt. 1:1 war die erste Halbzeit ausgegangen, 2:0 gewannen die Berliner die zweite, weil Münster nach einem Platzverweis kurz vor der Pause nur noch zu zehnt spielte. "Der Unterschied", sagte Preußens Kapitän Julian Schauerte später mit einer gewissen Genugtuung, "war nicht so groß, wie manche dachten."

Obwohl die Berliner schon nach 125 Sekunden durch Stevan Jovetic in Führung gegangen waren, ließen sie sich von den Münsteranern in deren 95 Jahre altem Stadion ganz schön triezen. Die galligen Gastgeber hätten mehr als nur den Treffer zum 1:1-Ausgleich durch Thorben Deters in der 41. Minute erzielen können. Am Ende waren die Favoriten aus der Big City überhaupt froh, durch späte Treffer der eingewechselten Ishak Belfodil (79.) und Marco Richter (83.) das Achtelfinale erreicht zu haben.

"Das war natürlich viel zu wenig von uns, ganz klar", sagte Richter hinterher demütig. "Aber wir haben jetzt drei Mal hintereinander gewonnen und fahren mit diesem Selbstvertrauen am Freitag nach Hoffenheim." Keinen Glauben schenkte der 23-jährige Zugang vom FC Augsburg den lautstarken Unterstellungen des enttäuschten Münsteraner Publikums, das die Herthaner unablässig als "Absteiger, Absteiger" diffamierte. Zuvor hatten die westfälischen Zuschauer über die Berliner bereits gesungen: "Erste Liga - keiner weiß, warum." Da schwangen 57 Jahre alte Ressentiments mit.

Von solch alten Dingen wusste Richter nichts. Der Flügelstürmer lebt im Hier und Jetzt und macht das zurzeit ganz ausgezeichnet angesichts von drei Treffern in drei Pflichtspielen. Vorletzten Samstag schoss er das wegweisende frühe Führungstor beim 2:1-Sieg in Frankfurt, vergangenen Samstag das goldene Tor beim 1:0-Sieg gegen Mönchengladbach und am Dienstag nun das erlösende 3:1 in Münster.

Die fröhliche Frage im Radio-Interview, ob er denn jetzt schon vom Finale in Berlin träume, beschied Richter mit Verweis auf die zunächst anstehende Achtelfinal-Auslosung am Sonntag ablehnend. Man denke von Runde zu Runde und fahre zuallererst mit gewissen Erwartungen zum Spiel in Hoffenheim.

Obwohl sich der Hertha-Trainer Pal Dardai nach dem krampfhaften Sieg in Münster nur insofern "zufrieden" nennen wollte, als man eine Runde weiter sei, könnte seine Mannschaft in der Bundesliga mit einem Sieg an diesem Freitag doch glatt auf den sechsten Tabellenplatz springen. Und dann sähen die Dinge für die Hertha plötzlich und unerwartet regelrecht rosig aus.

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