Süddeutsche Zeitung

French Open:P2H ist angekommen

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Abitur in Deutschland, lange einer der besten Doppelspieler der Welt: Pierre-Hugues Herbert ging nicht den normalen Weg eines französischen Tennisspielers - in Paris begeistert er seine Fans im Einzel.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Im Turniermagazin Le Quotidien gibt es täglich eine spezielle Doppelseite, kunstvolle Fotos dokumentieren Momente des Vortages. Spieler in Nahaufnahme, Court Philippe Chatrier aus der Vogelperspektive, ein Schuh auf roter Asche als Stillleben. In der Dienstagsausgabe war rechts im Eck ein Mann zu sehen, ausgestreckt lag er auf dem Sand, wie ein Käfer auf dem Rücken, der Schläger neben ihm. "Die Ruhe des Kriegers", stand darüber. Mit 0:2-Sätzen war dieser erschöpfte, aber glückliche Spieler in der ersten Runde gegen den starken Russen Daniil Medwedew zurückgelegen - und siegte doch dank Herzbluttennis und 87 Netzattacken. Müßig zu erwähnen, dass sie in Roland Garros einen wie ihn mögen, der lieber mit Fanfaren untergeht, als sich zu ergeben.

Pierre-Hugues Herbert ist, was die Sympathien betrifft, angekommen in der Riege seiner großen französischen Tenniskollegen. Es sind nun nicht mehr nur die älteren Recken wie Richard Gasquet, Gaël Monfils, Jo-Wilfried Tsonga, Gilles Simon, die die Gunst des Publikums genießen.

Die Sporttageszeitung L'Équipe nahm ihn am Dienstag mit aufs Titelbild und widmete ihm die wichtige erste Aufschlagdoppelseite. Eine bezeichnende Ehrerbietung. Auf dem Weg zu diesem Status nahm Herbert, das ist seine ungewöhnliche Geschichte, zwei für französische Einzelspieler untypische Umwege: Übers Doppel. Und, tatsächlich: über Deutschland.

In der ersten Runde gelang Herbert nach 0:2-Rückstand ein elektrisierendes Comeback

"Ohne beides wäre ich heute nicht da, wo ich bin", sagt Herbert der SZ in flüssigstem Deutsch. Er wurde in Schiltigheim geboren, im Elsass, über allem stand die Familie, die Eltern sind Tennislehrer, die Geschwister Gabriel und Marjolaine üben den Sport aus. So stand für ihn fest, als er seinen Profiwunsch entdeckte: "Ich wollte nicht weggehen von Familie und Freunden, etwa in ein Sportgymnasium, die alle weiter weg waren." In Kehl, von Straßburg aus nur kurz über den Rhein erreichbar, absolvierte Herbert fast seine gesamte Schulzeit, er schloss mit dem zweisprachigen Abitur "Abibac" ab. "Die Schule half mir sehr, ich habe schon mal zwei Wochen frei bekommen." Wenn wieder Turniere anstanden - bei denen er indes stets, das zeichnete sich ab, im Doppel seltsamerweise seiner Einzelkarriere voraus war.

"In meiner Jugend war es nicht immer lustig", erinnert sich Herbert, der immer noch normales Klubmitglied im TC Straßburg ist, "ich habe viel im Einzel verloren." Aber im Doppel gewann er Matches, Titel. Warum genau er diesen Hang zu Volleys, zu aggressivem Angreifen hatte, weiß er selbst nicht mehr genau. Was er weiß: "Mein Vater war ein Fan von John McEnroe und Pete Sampras und fühlte sich von ihnen inspiriert." So kam Pierre-Hugues, von Papa Jean-Roch geschult, zu seiner unorthodoxen Pendelbewegung vor dem Aufschlag, die noch eigenwilliger ist als die von McEnroe damals. "Das ist wohl mein Markenzeichen", weiß Herbert.

Effektiv ist sein Service aber auch, er schlägt mit viel Spin auf, mit Winkeln, genau so ist sein Spiel, das er, betont er, am liebsten mit einem Partner auf dem Platz auslebt. "Ich mag Teamgeist", sagt Herbert, er brauche eine Bande zu einem Ansprechpartner. Jemanden, mit dem er Freud und Leid teilen kann. Bei seinem Erstrundensieg gegen Medwedew schienen 2500 Zuschauer diese Feedback-Rolle zu leisten. Voll waren die Tribünen des Court 14, einer in den Boden abgesenkten Schüssel. Sie erlebten fürwahr "ein Spektakel", wie es Herbert empfand. Tags zuvor hatte Nicolas Mahut einen 0:2-Satzrückstand gegen den Italiener Marco Cecchinato gedreht, "Mahut hat's gestern gemacht, heute bist du dran!", brüllte ein Fan Herbert an, als der aussichtslos zurücklag. Die Aufholjagd glückte. "Das war der beste Einzelsieg meiner Karriere", sagte Herbert und gab zu: "Ich hatte das Gefühl, das Publikum war mit auf dem Platz." Und: "Mir hat geholfen zu wissen, was Nico geschafft hat." Da sprach nicht der deutsche Franzose, sondern der französische Franzose. Gegenseitige Inspiration können sie besser.

Nico und P2H, wie Herbert aufgrund der zwei H-Initialen genannt wird, stellen ohnehin eine eigene Erfolgsgeschichte dar. Mahut, aus Angers, ist ein ähnlich anhänglicher Typ wie Herbert. So haben es die beiden nicht nur geschafft, trotz oft genug verschiedener Turnierrouten vier Jahren ein Doppelduo zu bilden. Elf ATP-Titel holten sie. Sie haben auch jedes der vier Grand Slams gewonnen: 2015 US Open, 2016 Wimbledon, 2018 Paris, 2019 Australian Open. Hinzu kam der Davis-Cup-Erfolg 2017. Mahut war die Nummer eins der Welt im Doppel, Herbert die Zwei. "Natürlich sind wir stolz darauf", sagt Herbert, "damit haben wir auch ein wenig Tennisgeschichte geschafft." Mahut, schon 37, ist im Übrigen der, der an diesem Elf-Stunden-Marathonmatch in Wimbledon verwickelt war; todtraurig verlor er 2010 gegen den Amerikaner John Isner mit 68:70 im fünften Satz. Zäh, immerhin, ist er.

Auch das eint ihn charakterlich mit Herbert, der sich mit reifen 28 Jahren neuerdings immer mehr im Einzel behauptet. Vor zwei Jahren entschied er, es öfter als Solist zu versuchen, und als in Melbourne der Karriere-Slam im Doppel Realität geworden war, teilte er Mahut mit, dass er jetzt mal was wagt - und wenig Doppel spielt, in Paris und Wimbledon gar nicht. Ein guter Schritt, im Februar erreichte Herbert als 36. sein bestes Ranking. Das Erreichen der dritten Runde ist möglich, Benoît Paire, auch ein Freund, kann er schlagen.

Wahrscheinlich wird er nie so erfolgreich wie im Doppel werden, schon ein Achtelfinale wäre eine große Sache, das hat er im Einzel bei Grand Slams nie geschafft. Aber Erfolg bemisst sich nicht nur in gewonnenen Runden. "Wenn du nach Roland Garros kommst, weißt du, dass du dich auf die Zuschauer verlassen kannst", sagt Herbert. Er hat sich diese Zuneigung, über ganz eigene Umwege, verdient.

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Quelle:
SZ vom 29.05.2019
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