Süddeutsche Zeitung

Relegation und 2. Bundesliga:Heidenheim zahlt den Preis des Erfolges

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Nach der verlorenen Relegation droht Zweitligist Heidenheim eine halbe Mannschaft zu verlieren. Immerhin bleiben vier wichtige Säulen des Klubs erhalten.

Von Christof Kneer, Heidenheim/München

Den Kiosk gibt es immer noch. Dieser Kiosk sieht aus, als habe ein Regieassistent bei der Abnahme eines Films nicht richtig hingeschaut, ein Drink zu viel vielleicht, den Kiosk hätte er unbedingt rausschneiden müssen. Der Kiosk kommt aus einer anderen Zeit, er passt überhaupt nicht zu der topmodernen Optik drumrum. Ob das jemandem auffällt?

Den Heidenheimern fällt es auf, jeden Tag, wenn sie aus ihren Geschäftsräumen rüber auf die Gegengerade schauen. Da sehen sie ihren uralten Kiosk, und sie sind stolz auf ihn. Diesen Kiosk werden sie nie abreißen, er ist für sie ein Zeichen, dass Heidenheim Heidenheim bleibt, egal, welche Zeit da draußen gerade ist. Der Kiosk hat erlebt, wie das Stadion neue Tribünen bekam und wie später noch die letzten Lücken mit Sitzplätzen zugebaut wurden - und wenn der Heidenheimer Gemeinderat im Herbst zustimmt, wird der Kiosk auch noch erleben, wie das Stadion aufgestockt wird und drei der vier Seiten neue Oberränge erhalten. 25 000 statt 15 000 Menschen sollen in drei Jahren in die Voith Arena passen. Die Botschaft heißt: Heidenheim wächst, aber der Kiosk bleibt. Der Zweitligist vergisst nicht, wo er herkommt - er kommt aus einer Zeit, in der er noch gegen die Sportfreunde Dorfmerkingen spielte.

Der Kiosk tröstet Heidenheim, wenn so etwas passiert wie jetzt gerade. Die Heidenheimer haben die beste Saison ihrer Klubgeschichte hinter sich, in der Relegation gegen Bremen haben sie den Bundesliga-Aufstieg nur um ein Tor verfehlt - und zum Dank müssen sie nun erleben, welche Dynamik so ein Erfolg entfalten kann. Die Experten haben schon immer genau nach Heidenheim geschaut, weil sie wussten, welch seriöse Arbeit da unterm Kiosk geleistet wird, und so wurden den Heidenheimern schon im vorigen Sommer der Stürmer Robert Glatzel (Cardiff City) sowie die Mittelfeldspieler Robert Andrich (Union Berlin) und Nikola Dovedan (Nürnberg) entwendet; Spieler, die beim furiosen 4:5 im Pokalspiel beim FC Bayern zur besten Sendezeit auffällig geworden waren. Kein Wunder, dass sich die Branche jetzt auch über Heidenheims Relegationskader hermacht.

Sie wissen das in Heidenheim: Der Preis des Erfolgs ist es, im Zweifel immer wieder neu anfangen zu müssen.

"Bei dem ein oder anderen unserer Spieler müssen wir uns auf Begehrlichkeiten größerer Klubs gefasst machen": Das hat Heidenheims Sportchef Holger Sanwald schon am Morgen nach der verlorenen Relegation gesagt und gleich ergänzt, dass er "keinem böse wäre, wenn er woanders den nächsten Schritt machen will, das ist ja Teil unseres Konzepts". Es hat dann keine 48 Stunden gedauert, bis die ersten Abschiede öffentlich wurden: Mittelfeldspieler Sebastian Griesbeck, 29, Kosename "The Machine", gab seinen Wechsel zum Erstligisten Union Berlin bekannt, Abwehrspieler Timo Beermann, 29, kehrte in seine Heimat zum VfL Osnabrück zurück. Beides Spieler, die fast so zum Klub gehörten wie der Kiosk: Beide spielten seit 2013 in Heidenheim, seit der dritten Liga. Ihre Abschiede schmerzen weit mehr als die von Leihgabe David Otto (zurück nach Hoffenheim) oder Maurice Multhaup, dessen Vertrag die Heidenheimer nicht verlängerten.

Ob Griesbeck und Beermann im Aufstiegsfall geblieben wären? Darüber denken sie lieber nicht nach in Heidenheim, der Gedanke bringt ihnen ja nichts. Immerhin mag es ein Trost sein, dass sie ihren Besten auch in der ersten Liga nicht gehalten hätten: Noch ist der Wechsel von Mittelfeldspieler Niklas Dorsch nicht offiziell, aber nach SZ-Informationen wird der 22-Jährige beim belgischen Topklub KAA Gent einen Vierjahresvertrag unterschreiben.

Dorsch, Griesbeck, Beermann, das wäre dann doch eine mächtige Achse, die der FCH verloren hat, auch Stürmer Tim Kleindienst und Verteidiger Patrick Mainka bleiben umworben. Aber sie kennen das ja nicht anders auf der Ostalb, sie wollen sich ihre Kontinuität trotzdem nicht nehmen lassen, Hauptsache, ihre vier Säulen bleiben in der Stadt: der Sportchef Sanwald, der Kultspieler Marc Schnatterer, der Dauertrainer Frank Schmidt, der noch bis 2023 gebunden ist und dessen Vertrag Sanwald "beim nächsten Mal am liebsten unbefristet verlängern würde" - und natürlich der Kiosk, den ihnen garantiert kein Erstligist wegkauft.

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Quelle:
SZ vom 17.07.2020
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