Süddeutsche Zeitung

Handball-WM der Frauen:Die nächste Alles-oder-nichts-Partie

Lesezeit: 3 min

Die deutschen Handballerinnen stehen im Viertelfinale gegen WM-Gastgeber Spanien erneut vor einem Nervenspiel. Diesmal geht es auch um die Zukunft des Bundestrainers.

Von Ulrich Hartmann, Granollers/München

Die deutschen Handballerinnen haben in den vergangenen Jahren viel gelernt, auch den Wesenszug, Demütigungen zu ertragen. Bei der Europameisterschaft in Dänemark vor einem Jahr erlitten sie beim 23:42 gegen den späteren Turniersieger Norwegen die höchste Niederlage in der Geschichte des deutschen Frauenhandballs. An das Ausmaß dieses Debakels kam ihre 16:32-Niederlage am Sonntag gegen Dänemark zwar nicht ganz heran, allerdings fehlten dazu bloß drei weitere Gegentreffer. In der Enttäuschung gab es immerhin einen entscheidenden Trost: Der Einzug ins Viertelfinale bei der Weltmeisterschaft in Spanien war schon zuvor gesichert.

"Wir wussten, dass das Spiel keine Konsequenzen hat", sagte Bundestrainer Henk Groener nach der Schmach. Aber das mit den Konsequenzen muss sich erst noch erweisen. Nach Siegen gegen Tschechien (31:21), die Slowakei (36:22), Ungarn (25:24), Kongo (29:18) und Südkorea (37:28) war dieses letzte Hauptrundenspiel gegen Dänemark vielleicht bedeutungslos für die Statistik. Zugleich warf es jedoch die Frage auf, welche emotionalen Erschütterungen diese Erfahrung nach sich zieht - und wie nahe die deutschen Spielerinnen der Weltspitze eigentlich sind.

Detailliertere Informationen dazu erhält das Team am Dienstagabend (20.30 Uhr, sportdeutschland.tv) im Viertelfinale gegen den Gastgeber Spanien. Das wird genau jenes Alles-oder-nichts-Spiel, in dem der Mannschaft in den vergangenen Jahren oft die Nerven versagten. Weil die Generalprobe gegen Dänemark so miserabel ausfiel, wäre ein Sieg gegen den aktuellen WM-Zweiten umso bemerkenswerter. Er würde den ersten deutschen Halbfinaleinzug bei einem großen Turnier seit 2008 bedeuten.

An der Stabilität der Mannschaft hapert es weiterhin

Dieses Spiel wird aber nicht nur über das Wohl der Mannschaft richten, sondern auch über die Zukunft des Bundestrainers. Dem Niederländer Groener, 61, hat der Deutsche Handball-Bund ausgangs seines vierten Amtsjahres den Vertrag zunächst nur übergangsweise verlängert, bis Ende April 2022. Ob darüber hinaus zusammengearbeitet wird, will man auch vom WM-Auftritt der Mannschaft abhängig machen.

Sollte Deutschland ins Halbfinale vorrücken und vielleicht sogar eine Medaille gewinnen, dürfte die Entscheidung leicht fallen. Komplexer wird die Analyse ausfallen, sollte die deutsche Mannschaft ausscheiden. Der Einzug ins Viertelfinale erfüllt zwar einerseits die eingeforderte Annäherung an die Weltspitze, doch das Debakel gegen Dänemark und eine mögliche Niederlage gegen Spanien wären neuerliche Indizien dafür, dass der Abstand zu den Allerbesten noch immer groß ist.

"Spielidee", "Stabilität" und die "Entwicklung einzelner Spielerinnen" hatte der Sportvorstand Axel Kromer vor der WM als jene Faktoren genannt, die man beleuchten wolle. So ganz einfach dürfte das aber nicht werden. Die Spielidee ist zweifelsohne gut, die Abwehr hat bei immerhin fünf Siegen nacheinander solide verteidigt, die Stimmung in der Auswahl wird allgemein gelobt. Doch an der Stabilität hapert es weiterhin. Die Wurfausbeute ist mau, auch die individuellen Entwicklungen fallen unterschiedlich aus.

Überragende Akteurin ist die zentrale Rückraumspielerin Alina Grijseels von Borussia Dortmund. Sie hat mit 32 Treffern, einer Wurfausbeute von 84 Prozent und 29 Assists die besten Werte. Zweitbeste Vorlagengeberin ist Emily Bölk, die für Ferencváros Budapest spielt. Sie ist ein wichtiger Teil der Abwehr und hat bei diesem Turnier schon 20 Treffer vorbereitet, doch die 15 eigenen Tore aus dem linken Rückraum sind für die sechstbeste Torschützin der Champions League überschaubar. Davon lässt sich die 23-Jährige aber nicht irritieren: "Unsere Stärke ist die Abwehr mit schnellen Kontern. Ich verteidige in der Deckung innen und spiele viele Bälle nach vorne - wer die Tore dann wirft, ist egal."

Grijseels und Bölk sind vom Bundestrainer zu Kapitäninnen ernannt worden, nachdem Kim Naidzinavicius und Julia Behnke wegen Unstimmigkeiten mit Groener aus der Auswahl zurückgetreten waren. Bölk hat einen besseren Draht zum Trainer. "Ich halte sehr viel von ihm, mir macht die Arbeit extrem viel Spaß, und ich finde, das Team hat sich in den letzten Jahren gut entwickelt." Rückschläge findet sie nicht beunruhigend: "Es gab immer wieder Umbrüche im Team. Auch diesmal haben wir viele junge und teils unerfahrene Spielerinnen dabei." Unter diesen Umständen könne es keine steile, ununterbrochene Entwicklung geben. Bölk findet: "Wir sind auf einem guten Weg und den wollen wir weitergehen. Gerne mit Henk Groener."

Bölk und Groener sehen die Chancen gegen die kleineren, quirligen, zweikampfstarken und offensiver deckenden Spanierinnen besser als gegen Dänemark. Im Vorbereitungsturnier kurz vor der WM unterlagen sie knapp 22:23. "Bis auf den Patzer gegen Dänemark", sagt Bölk, "sind wir ohne Niederlage ins Viertelfinale eingezogen - und darauf sind wir stolz." Sollte ihnen dieser Stolz nun gar noch zu einem Sieg gegen Spanien verhelfen, dann hätten sie in ihrer Entwicklung den wohl größten Schritt überhaupt gemacht.

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