Süddeutsche Zeitung

THW Kiel:Triumph der Individualisten

Lesezeit: 3 min

Die Kieler Handballer gewinnen zum zwölften Mal den DHB-Pokal - in einem emotionalen und hochklassigen Finale gegen den SC Magdeburg. Erst am Ende wird es deutlich.

Von Ralf Tögel, Hamburg

Als Domagoj Duvnjak den 3,5 Kilogramm fein versilberten Messing-Pokal in die Höhe stemmte und im Hintergrund Feuerfontänen emporschossen, ging ein denkwürdiges Handballfest zu Ende. In der mit 13.200 Zuschauern ausverkauften Hamburger Barclays Arena setzte sich der THW Kiel in einem dramatischen und spannungsgeladenen Finale gegen den SC Magdeburg mit 28:21 Toren durch und feierte seinen zwölften Titelgewinn im Pokalwettbewerb.

Es war das erwartet hochklassige Duell der beiden besten Mannschaften der Liga, ein sehr emotionales und intensives Spiel auf höchstem Niveau - und der interessante Vergleich zweier unterschiedlicher Spielsysteme. Der THW vereint eine ganze Anzahl an Weltklassespielern zu einer Auswahl von großer individueller Qualität, kann beispielsweise im Kroaten Duvnjak , Sloweniens Miha Zarabec und dem Norweger Sander Sagosen zwischen drei der aktuell besten Spielmacher wählen.

Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek sind das bestimmende Mittelblock-Duo der vergangenen Jahre und Torhüter Niklas Landin wurde gerade zum Welthandballer gekürt. Der Däne ist der erste Profi, dem diese Ehre zweimal in Folge zuteil wurde - und er bestätigte dies auch im Pokalfinale mit der Wahl zum besten Spieler.

Einmal mehr ist Welthandballer Niklas Landin mit seinen Paraden der entscheidende Faktor im Spiel

Angeleitet wird das Ensemble von Filip Jicha, ebenfalls ehemals Welthandballer, der in Kiel als Assistent vom heutigen Bundestrainer Alfred Gislason lernte. Aus dessen Schatten trat er spätestens 2020, als er mit Kiel Meisterschaft und Champions League gewann. Der Magdeburger Kollege Bennet Wiegert, der als Spieler ebenfalls von Gislason geprägt wurde, etablierte eine Art Gegenentwurf. Ohne die ganz großen Namen hat Wiegert in den vergangenen Jahren eine Auswahl geformt, die einen flexiblen Hochgeschwindigkeitshandball nahezu perfektioniert hat, die Rückraumspieler sind extrem schnell im Eins-gegen-eins-Spiel, was viel Torgefahr bringt und Zeitstrafen beim Gegner provoziert.

Doch die Kieler waren gut darauf vorbereitet, immer wieder wurden die überfallartigen Konter der Magdeburger rustikal gebremst, Kiel legte angeführt vom Extrakönner Sagosen, der mit acht Treffern auch bester Schütze war, zum 9:6 vor. Doch die körperlich unterlegenen Magdeburger fanden langsam ins Spiel, rannten unerschütterlich gegen die Kieler Abwehr an, die allein in der ersten Halbzeit fünf Zeitstrafen kassierte. Und in Unterzahl sollte man sich gegen die pfeilschnellen Magdeburger weder Ballverluste noch Fehlwürfe leisten, die landen üblicherweise per Konter im eigenen Tor, was vor allem Rechtsaußen Daniel Pettersson (4 Tore) demonstrierte.

So war es einmal mehr Landin, der Kiel mit seinen Paraden im Spiel hielt, den 12:13-Rückstand zur Halbzeit konnte aber auch er nicht verhindern. Wie viel Emotion und Bedeutung in den Vergleichen dieser beiden Teams steckt, zeigte eine kurze Rudelbildung unmittelbar vor dem Gang in die Kabinen, die Aufregung war aber schnell vorbei, schließlich kennen sich die Spieler aus den diversen Nationalteams.

Zehn Minuten vor dem Ende gehen den Magdeburgern die Kräfte aus, Kiel kann ausgeruhte Topspieler von der Bank bringen

Auch nach dem Wechsel blieb es bei dem intensiven Schlagabtausch, zunächst legten die Magdeburger vor (15:13), dann schlugen die Kieler zurück (20:18), keine Mannschaft konnte sich weiter als zwei Tore absetzen - bis Hendrik Pekeler, der sechsmal erfolgreich war, zwölf Minuten vor dem Ende zum 22:19 traf. Grundlage war eine Steigerung der Abwehrarbeit, wie Sagosen bestätigte: "Unsere Abwehr in der zweiten Halbzeit zusammen mit Niklas, das war der entscheidende Faktor." Immer wieder rannten sich die Magdeburger Rückraumspieler Gisli Kristjansson, dem nur ein Treffer gelang, Omar Ingi Magnusson (7) und Philipp Weber (4) in der hünenhaften Kieler Defensive fest und wurden so zu Würfen aus der Distanz gezwungen.

Ein Stilmittel, dass der Matchplan von SCM-Trainer Wiegert nicht vorsieht, schon gar nicht, wenn auf der Gegenseite einer wie Landin das Tor hütet. Und so kam es wie so oft, wenn Kiel im Vollbesitz seiner Kräfte ist: Der dänische Welthandballer parierte reihenweise Würfe, und vorne konnte Trainer Jicha hochklassige und ausgeruhte Bankspieler ins Geschehen werfen. Zudem brachte er oft den siebten Feldspieler. Das war letztlich zu viel für die tapfer kämpfenden Magdeburger. Der Sieg war nicht nur verdient, er macht die Saison des THW auch ohne Meistertitel, den sich Magdeburg nicht mehr entreißen lassen wird, zu einer erfolgreichen.

Den Grundstein hatten die Nordlichter am Samstag mit einem 28:26-Erfolg gegen Titelverteidiger Lemgo gelegt und sich damit für das überraschende Aus im Vorjahr revanchiert, als der TBV den Favoriten aus dem Wettbewerb kegelte und sich gegen Melsungen den Pokal holte. Auch diesmal hielt der Außenseiter lange dagegen, auch hier kam es zum bekannten Muster: Landin parierte in der Schlussphase mehrere freie Würfe, und im Angriff war Sagosen nicht zu stoppen. Magdeburg hatte beim 30:22 mit dem Überraschungshalbfinalisten HC Erlangen kaum Probleme. Die Mittelfranken waren der Wucht des Tabellenführers und Fast-Meisters nur in den ersten 20 Minuten gewachsen.

Es war eine würdige Abschlussvorstellung in Hamburg, wo das Final Four seit 2003 ausgetragen wurde und von der kommenden Saison an nach Köln umzieht. Was Kiels Geschäftsführer Viktor Szilagyi folgender Maßen kommentierte: "Wir haben in Hamburg Geschichte geschrieben, das wollen wir auch in Köln tun."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5571884
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.