Süddeutsche Zeitung

Handball:Luftaustausch in Reinraumqualität

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Fünf bayerische Klubs spielen in der kommenden Saison im Profibereich - so viele wie seit fast 30 Jahren nicht mehr. Überall geht es vor allem um Hygiene.

Man muss sich gedanklich schon in die Bronzezeit des bayerischen Handballs begeben, um eine vergleichbare Erfolgsgeschichte zu finden: Drei Jahrzehnte ist es her, dass der Freistaat ähnlich gut dastand wie in der bevorstehenden Saison 2020/21. Im Jahre 1988 spielten im TV Großwallstadt, dem TSV Milbertshofen, dem MTSV Schwabing und TuSpo Nürnberg sogar vier bayerische Vertreter erstklassig, der VfL Günzburg befand sich in der zweiten Liga. Schwabing und Nürnberg verabschiedeten sich umgehend aus der Beletage, aber fünf Teams repräsentierten Bayern in den beiden Eliteligen letztmals in der Saison 1992/93. Damals war der Sport weniger professionell, die zweite Liga sogar in drei Staffeln aufgeteilt - und mal ehrlich: Steuerte der Handball made in Bayern nicht schon nach der letzten deutschen Meisterschaft des TV Großwallstadt vor 30 Jahren einem unaufhaltsamen Niedergang entgegen, um in Süden bald völlig von der professionellen Bildfläche zu verschwinden?

Jetzt ist Bayern wieder da, angeführt von den Franken: Im HC Erlangen und dem Aufsteiger HSC Coburg gibt es wieder zwei Erstligisten - in der mittlerweile besten Handballliga der Welt. Auch zweitklassig gibt Franken den Ton an, neben der DJK Rimpar ist das zwischenzeitlich abgestürzte und wiedererstarkte Großwallstadt zurück im Profisport. Außerdem hat der TuS Fürstenfeldbruck den Münchner Raum, einst durch Schwabing und Milbertshofen ein leuchtender Punkt auf der Handball-Landkarte, reanimiert. All die schönen Geschichten, die man nun über die fünf Klubs erzählen könnte, werden von dem allgegenwärtigen Coronavirus und den damit verbundene Themen überlagert. Immerhin sind für den Saisonstart in einer Woche Zuschauer zugelassen, laut politischer Vorgabe dürfen die Klubs 20 Prozent der Gesamtkapazität in den Hallen belegen, den zuständigen örtlichen Behörden obliegt es letztlich, die Hygienekonzepte der Klubs zuzulassen. Das ist bei allen fünf angesprochenen Vereinen der Fall, wird aber unterschiedlich gehandhabt. Ein Überblick.

HC Erlangen

Den Mittelfranken darf man getrost die Platzhirschrolle im Reigen der Handball-Bayern zugestehen, unter anderem die neu verpflichteten Rückraumspieler Steffen Fäth (Rhein-Neckar Löwen) und Simon Jeppsson (Flensburg) stehen für den nominell besten Kader, den der HCE seit dem Wiederaufstieg vor vier Jahren ins Rennen schickt. Vor kurzem reagierte der Verein auf die schwere Fingerverletzung des früheren Nationalspielers Johannes Sellin mit der Verpflichtung von Hampe Ollsson (vom schwedischen Topklub Malmö), ein weiteres Indiz für die gewachsenen Ansprüche. Gespielt wird in der 10 000 Zuschauer fassenden Arena zu Nürnberg, deren Größe und moderne Bauart allein schon ein Glücksfall sei, wie Geschäftsführer Rene Selke in Sachen Hygienemaßnahmen feststellt. Der Klub plant gemäß den Vorgaben mit bis zu 2000 Fans, was noch nicht festgelegt sei, denn die Richtlinien geben nicht eindeutig vor, ob Stehplatze bei der maximalen Zuschauerkapazität einzurechnen sind. Jedenfalls wird die Arena in vier Zonen eingeteilt, jede hat eigene Zu- und Ausgänge, Toiletten und Kioske, was Menschenansammlungen weitgehend ausschließt. Mund-Nasen-Masken dürfen nur am Sitzplatz abgenommen werden, alle Tickets sind personalisiert und angesichts der reduzierten Kapazität Dauerkarteninhabern vorbehalten. Eine Besonderheit ist, dass in der Pause weder Catering noch Toilettengänge möglich sind, "um diese Stoßzeiten zu entzerren", wie Selke sagt. Zugelassen sind Blöcke mit bis zu zehn Menschen, zwischen denen auf die Abstandsregel geachtet wird. Entscheidend sei das Signal an die Politik, so Selke, dass man mit "diesem Vertrauensvorschuss auch verantwortlich umgeht".

HSC Coburg

Denn das Ziel ist, nach der vom Freistaat avisierten sechswöchigen Testphase die Kapazität von November an zu erhöhen, wie der Coburger Geschäftsführer und sportliche Leiter Jan Gorr hofft, womit er mit allen Kollegen natürlich übereinstimmt. Er sei zwar zunächst einfach froh, dass überhaupt Zuschauer zugelassen sind, aber auf Dauer seien die durch die beschränkte Zuschauerzahl sinkenden Einnahmen keine Lösung: "Wir werden das eine gewisse Zeit durchhalten, aber eine ganze Saison ist diese Situation schwer vorstellbar." Auch in Coburg kommen angesichts einer avisierten Zuschauerzahl von 1000, die Halle hat eine Kapazität von insgesamt 3560, zunächst die Dauerkartengäste zum Zuge. Wobei der HSC angesichts einer höheren Zahl an Saisonkartenbesitzern ein rollierendes System einführen wird, damit jeder zum Zuge kommt. Alkoholverbot, personalisierte Karten, Maskenpflicht bis zum Platz und 1,5 Meter Abstand zwischen den Besuchergruppen sind die für alle geltenden Basisregeln, die auch der HSC konsequent umsetzen wird. Gorr sieht die Gegebenheiten in der Coburger Arena als "ziemlich gut geeignet, wir trauen uns auch mehr als 1000 Zuschauer zu". Denn die Belüftungsanlage gewährleiste etwa, dass "in fünf Minuten das komplette Luftvolumen ausgetauscht wird", so Gorr. Auch Coburg teilt die Halle in vier Zonen ein, mit eigenen Ein- und Ausgängen, eigenen Kiosken und Sanitäranlagen. Essen darf man am Platz, es wird "so genannte Vereinzelungen auf dem Gelände und im Umlauf geben", beschreibt Gorr, wie Menschenschlangen vermieden werden. Sportlich gilt es auch beim HSC, hochkarätige Zugänge zu integrieren, etwa den serbischen Nationalspieler Drasko Nenadic oder den iranischen Internationalen Pouya Norouzi Nezhad. Nach einem holprigen Start in die Vorbereitung sah Gorr zuletzt eine "aufsteigende Tendenz", die ihn zuversichtlich in Richtung Klassenverbleib blicken lasse.

DJK Rimpar

Für Roland Sauer ist das Hygienekonzept eine Art Bewährungsprobe, denn der Geschäftsführer des Zweitligisten aus der Nähe von Würzburg hat federführend jene Initiative begleitet, die sich im Namen der Sportarten Handball, Basketball, Volleyball und Eishockey erstmals an die Entscheidungsträger der Politik wandte, um auf die Dringlichkeit zahlender Zuschauer aufmerksam zu machen. Das ist gelungen, Sauer hat selbstredend der Gesundheitsbehörde ein sehr ausgefeiltes Hygienemaßnahmenpaket zukommen lassen. Wie bei den Konkurrenten wird die Halle in vier Zonen unterteilt. Der Bereich der Aktiven, also Team nebst Betreuung und Offiziellen, die Produktion, was alle technischen Abläufe wie etwa die Fernsehübertragungen einschließt, der Vip-Bereich sowie die Zuschauer auf den Tribünen. Mit Zeitfenstern und ausgeklügelten Laufwegen werde gewährleistet, dass sich die Bereiche nicht kreuzen, wie Sauer erklärt. Das Foyer wird freigehalten, im Vip-Bereich gelten die Hygienevorschriften wie in der Gastronomie. Das gilt im Übrigen in jeder Halle mit einem solchen abgeschlossenen Bereich, dort darf an Tischen mit bis zu zehn Personen gegessen werden. Das Catering für die Tribünengäste dagegen wird vor die Halle verlagert. Das Sicherheitspersonal werde um bis zu 15 Prozent erweitert, erklärt Sauer, um die geltenden Abstandsregeln überall zu gewährleisten. Sauer kommt in Sachen Krisenmanagement seine jahrelange Berufserfahrung als Projektmanager zugute, er habe "dem Gesundheitsamt ein 42-seitiges Betriebskonzept" zukommen lassen. Sportlich sieht der Geschäftsführer ebenfalls alles im grünen Bereich, zwar gelte es "fünf neue Spieler zu integrieren, da fehlt noch die Abstimmung", doch der Geschäftsführer sieht den Vorjahressiebten auf einem guten Weg, diese Platzierung mindestens zu bestätigen.

TV Großwallstadt

Exakt 963 Fans werden den wiedererstarkten TV Großwallstadt in den ersten Wochen der Saison in Heimspielen erleben dürfen. In enger Absprache mit dem Landrat und gemäß der aktuellen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung könne man den erwartungsfrohen Zuschauern 100 Stehplätze und 836 Sitzschalen anbieten, freut sich TVG-Geschäftsführer Stefan Wüst. Grundlage sei die "Zehner-Gruppenlösung, die uns auch genehmigt wurde". Zwischen den Blöcken gelten die vorgegebenen Abstandsregeln, auch die Lüftungsanlage der Untermainhalle spiele dem Vorhaben in die Karten, die "einen Luftaustausch nahezu in Reinraumqualität garantiert", so Wüst. Außerhalb der Vip-Lounge werde das Catering ebenfalls vor die Halle verlagert, die 460 Dauerkarteninhaber werden bevorzugt bedient. Zudem werden personalisierte Onlinetickets in den Verkauf gehen, ansonsten sieht sich auch der TVG dank umfangreicher Maßnahmen - wie Maskenpflicht bis zum Sitzplatz - bestens gerüstet. Auch wirtschaftlich hat der siebenmalige deutsche Meister seine Hausaufgaben gemacht, laut Wüst könne der Aufsteiger eine Saison unter diesen Bedingungen durchstehen. Aber auch er hofft, dass die Politik angesichts einer stringenten Umsetzung der Vorgaben bald weiteren Lockerung zustimmen werde. Denn wie seine Kollegen erinnert der TVG-Geschäftsführer daran, dass die Sicherheit in einer solchen Halle angesichts der Konzepte und Maßnahmen deutlich höher sei als bei Privatveranstaltungen in kleineren Räumen. Was die sportlichen Perspektiven angeht - Hüttenberg und Rimpar wurden in der Vorbereitung geschlagen, beim Erstligisten Stuttgart gelang ein Remis -, bleibt Wüst gelassen: "Wir wollen uns schnell in der zweiten Liga etablieren", dann werde man neue Ziele definieren.

TuS Fürstenfeldbruck

Der Aufsteiger aus der Süd-Gruppe ist der erklärte Underdog der Freistaat-Abordnung im Profihandball. Eine Rolle, die Geschäftsführer Michael Schneck gerne annimmt. Auch die Halle der Brucker ist vergleichsweise klein konzipiert, wenngleich die TuS-Heimstatt eine besonders stimmungsvolle Kulisse garantiert. Normalerweise - nicht indes in den nächsten Wochen. Die Brucker müssen sich angesichts einer Maximalkapazität von 1000 Zuschauern fürs erste mit deren 200 begnügen. Im Gegensatz zu den größeren Hallen wird es aber keine Zehner-Gruppen geben, die Zuschauer in Bruck werden mit personalisierten Tickets auf die vier Tribünenblöcke verteilt, jedem wird dabei ein Sitzplatz zugewiesen - mit dem vorgegebenen Abstand von 1,50 Metern zum Nebenmann. Familien werden freilich nicht auseinandergerissen, sagt Schneck. Es wird drei Eingänge geben, die gewährleisten, dass der aktive Bereich, also Spieler, Betreuer und Offizielle, für sich bleibt. Die Zuschauer werden unter Aufsicht von Sicherheitspersonal an zwei Eingängen in die Halle gelassen, wobei die ausschließlich per Vorverkauf veräußerten Tickets nur noch gescannt werden müssen, was Zeit spart. Alkohol wird selbstredend nicht ausgegeben, das für den TuS wichtige Catering wird den Hygienevorschriften angepasst, mit abgepackten Waren, so Schneck. Gegessen wird auf dem Platz, wo die Maske abgenommen werden darf. Trotz der Einbußen durch die Beschneidung der elementaren Zuschauereinnahmen ist Schneck überzeugt, dass "wir diese Saison schon durchstehen werden". Auch sportlich, worauf starke Leistungen in den Testspielen Hoffnung machen. Der TuS muss im Gegensatz zur Konkurrenz keine neuen Spieler integrieren, einzig prominenter Zugang ist Torhüter Stefan Hanemann, der frühere Juniorennationalspieler kam vom Erstligisten Ludwigshafen. Dennoch sei, so betont Schneck, "jedes andere Ziel als der Klassenerhalt vermessen".

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Quelle:
SZ vom 25.09.2020
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