Süddeutsche Zeitung

Dortmunder Handballerinnen:BVB-Trainer nach Vorwürfen freigestellt

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Zwei Handball-Nationalspielerinnen fühlen sich unangemessen behandelt und verlassen Borussia Dortmund - der Klub entbindet den beschuldigten Coach von seinen Aufgaben. Doch viele Fragen in dieser Affäre sind noch offen.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Zuerst hatten zwei Nationalspielerinnen fristlos gekündigt. Einige Tage später stellte der Klub seinen dadurch ins Zwielicht geratenen Trainer frei. Jetzt stehen die Bundesliga-Handballerinnen von Borussia Dortmund ohne ihren Trainer André Fuhr, 51, ohne ihre Rechtsaußen Amelie Berger und ohne ihre Rückraumspielerin Mia Zschocke da. Wie sie unter diesen Umständen die schwierige Aufgabe am Samstag im Spiel bei der HSG Bensheim/Auerbach lösen, ist eine weniger relevante Frage - die wichtigere Frage ist, was die Affäre rund um mögliche psychische Gewalt durch den Trainer in der Dortmunder Mannschaft ausgelöst hat.

Die zuletzt krankgeschriebenen Handballerinnen Zschocke, 24, und Berger, 23, hatten bei "Athleten Deutschland", der Interessenvertretung deutscher Kaderathleten, die "Unabhängige Anlaufstelle bei Gewalt und Missbrauch im Spitzensport" kontaktiert. Die Anlaufstelle informiert auf ihrer Internetseite: "Alles, was Betroffene als Überschreitung ihrer Grenzen wahrnehmen, reicht für eine Kontaktaufnahme." Das Angebot richte sich an "Betroffene von sexualisierter, körperlicher und emotionaler Gewalt".

Mit juristischer Unterstützung von "Athleten Deutschland" haben Zschocke und Berger ihre Verträge bei Borussia Dortmund dann fristlos gekündigt. Den Kündigungen widersprach der BVB zunächst, über mehrere Tage hinweg gab es lange Gespräche mit allen Beteiligten. Ende vergangener Woche entsprach der Verein den Kündigungen der beiden Spielerinnen dann doch. Zum Auswärtsspiel am vergangenen Samstag in Neckarsulm reiste der Trainer Fuhr schon nicht mehr mit. Am Montag wurde er freigestellt.

Der Verein informierte dazu schriftlich: "Der Trainer war in den vergangenen Tagen sowohl von Spielerinnen als auch öffentlich scharf kritisiert worden, was eine Fokussierung des Kaders sowie der gesamten Abteilung auf den Handballsport nahezu unmöglich gemacht hat." Die Freistellung Fuhrs sei ausdrücklich nicht mit einer Vorverurteilung verbunden: "Borussia Dortmund arbeitet die Vorgänge gegenwärtig gewissenhaft auf und steht dabei im Dialog mit der Anlaufstelle gegen Gewalt im Sport, die von mehreren Spielerinnen kontaktiert worden war", hieß es.

"Mit Mädchen mit einer eigenen Meinung kann er nicht so gut umgehen"

Die Ruhr-Nachrichten berichten von insgesamt mindestens 20 Betroffenen im Profi-Handball. Die Vorwürfe gegen den BVB-Trainer Fuhr lauteten demnach auf "systematischen Aufbau von Abhängigkeitsverhältnissen, Ausnutzen einer Machtstellung sowie psychische Gewalt". Fuhrs Anwalt Markus Buchberger teilte in einer Medieninformation mit Bezug auf die Gespräche beim BVB mit: "Es kristallisiert sich heraus, dass es bei den meisten Vorwürfen um die Grenze zwischen fordernder Trainerarbeit und individuell empfundenen Grenzbereichen geht."

Anfang 2021 hatte die damalige BVB-Handballerin Kelly Dulfer niederländischen Medien über Fuhr gesagt: "Mit Mädchen mit einer eigenen Meinung kann er nicht so gut umgehen." Sie habe sich deshalb damals aus atmosphärischen Gründen entschlossen, nach Bietigheim zu wechseln. Beim TuS Metzingen war Fuhr 2019 nach nur einer Saison bereits wieder ausgeschieden. Über die Gründe vereinbarte man seinerzeit Stillschweigen.

Fuhr ist auch Trainer der ältesten Frauen-Nachwuchsmannschaft des Deutschen Handballbunds, der U 19/20. Der Verband teilte am Dienstag schriftlich mit: "André Fuhr ist seit 2019 auf Honorarbasis als Trainer für die U19/20-Nationalmannschaft zuständig. Der Deutsche Handballbund wird in Anbetracht der neuen Entwicklungen in den kommenden Tagen über das weitere Vorgehen entscheiden." Der nächste Lehrgang dieser Mannschaft ist Ende Oktober.

Zschocke gab am Dienstag bekannt, dass sie zum norwegischen Klub Storhamar Håndball Elite wechselt. "Ich habe das Gefühl, dass hier ein sehr gesundes Umfeld herrscht", sagte sie, "hier passt alles sehr gut zu mir, ich gebe in jedem Training und jedem Spiel hundert Prozent, das ist meine Mentalität." Wohin es Berger zieht, ist noch nicht bekannt. Beide Spielerinnen sind für den Lehrgang des Nationalteams kommende Woche nicht nominiert worden.

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