Süddeutsche Zeitung

Hamburger SV:Trauerspiel mit Tauben

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Nach einem weiteren trostlosen Auftritt versuchte der HSV, nicht auch den Rest an Zuversicht zu verlieren. Mut macht dabei, dass die Hamburger als Relegationsexperten gelten.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Es ist kein Jahr her, dass Heribert Bruchhagen seinen Abschied als Vorstandsvorsitzender von Eintracht Frankfurt fast ohne Stimme, aber mit hochgereckten Armen erlebte. In seinen letzten Minuten als Funktionär (wie er damals dachte) musste er noch einmal heftig zittern, dann hatte das Team in der Relegation gegen den 1. FC Nürnberg doch noch die Klasse gehalten und einen dritten Bundesliga-Abstieg unter seiner Regie vermieden. Der Sportdirektor Jens Todt hatte weitere zwölf Monate zuvor ebenfalls Erfahrungen in diesen Schicksalspielen um die Zugehörigkeit zur ersten Liga gemacht. Als Manager des Karlsruher SC hatte er den Aufstieg so knapp verpasst, dass er hinterher sagte: "Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte." Gegner war damals der HSV, der durch einen zweifelhaften Freistoß in letzter Minute die Verlängerung erreichte und dann 2:1 gewann.

Inzwischen arbeiten Bruchhagen (der sich als Rentner nicht wohlfühlte) und Todt gemeinsam für den HSV. Sie wurden im Winter als Retter geholt und können nach einem kleinen, längst verzogenen Zwischenhoch nur hoffen, dass ihr Klub "Relegationsmeister" bleibt: Das war der Spott-Titel, den man für den HSV nach den Fast-Abstiegen 2014 und 2015 erfand. Wenig deutet nun, nach dem 0:0 am Sonntag im Trauerspiel gegen den punktgleichen, aber im Torverhältnis deutlich besseren Konkurrenten Mainz 05, darauf hin, dass der ausgelaugte Tabellensechzehnte in seinen beiden letzten Partien auf Schalke und dann zu Hause gegen den VfL Wolfsburg noch einmal so mutig aufspielt, dass er einen Rang höher landet.

Todt hatte Schweißperlen auf der Stirn ("Das kommt vom Scheinwerferlicht"), als er die trostlose Vorführung schönredete. Er versuchte sein Bestes, um den verbliebenen Rest an Zuversicht nicht zu zerstören. Natürlich habe die Sicherheit nach dem blamablen 0:4 in Augsburg gefehlt, sagte er, aber man habe sich wenigstens wieder "als Mannschaft präsentiert, die sich zerreißt". Trainer Markus Gisdol hob die extreme Belastung für die jungen Profis hervor, die ja "keine Roboter" seien. Er glaube, dass "viele Normalsterbliche sich in so einer Situation die Beine brechen würden, wenn sie über den Platz laufen müssten".

Gisdol kann nur hoffen, dass der kärgliche Punkt aus dem 0:0 "noch Gold wert" wird. Tatsächlich hat der Zähler dazu geführt, dass zum Vorletzten FC Ingolstadt immerhin ein Vier-Punkte-Vorsprung gewahrt blieb. Das Schlimme am Sonntag war jedoch, dass der HSV den Mainzer Torhüter Jannik Huth nie zwang, sein Talent unter Beweis zu stellen. Zuweilen ließ sich sogar eine Tauben-Schar ungestört in der Mainzer Hälfte auf dem Rasen nieder. HSV-Keeper Christian Mathenia hingegen musste mindestens viermal sein Können zeigen, um eine Niederlage zu verhindern.

"Da haben wir im Nachwuchs etwas zu gut gearbeitet", bemerkte 05-Trainer Martin Schmidt ironisch. Er selbst hatte Mathenia in Mainz noch ausgebildet, bevor bei den Profis Lorius Karius den Vorzug bekam und Mathenia nach Darmstadt weiterzog. Nun ist er nach dem Ausfall von René Adler ein Hoffnungsträger beim HSV - auch, weil er 2016 dazu beitrug, die Darmstädter in der Liga zu halten. Und wie ein richtiger Abstiegskämpfer klang er auch jetzt: "Wir werden alles geben bis zum letzten Atemzug. Bis zum allerletzten Tag und der allerletzten Sekunde werden wir kämpfen, den HSV in der Liga zu halten."

Laut DFL-Terminplan hat der Bundesliga-Sechzehnte am 25. Mai im Relegations-Hinspiel Heimrecht, das Rückspiel findet vier Tage später statt. Doch zuvor muss der HSV bei Schalke 04 auf Verteidiger Mergim Mavraj verzichten, der sich die fünfte gelbe Karte einhandelte. Den dritten zentralen Abwehrspieler, Johan Djourou, hat Gisdol gerade aus gruppenpsychologischen Gründen suspendiert.

Ob der HSV noch einmal Feuer geben kann, hängt auch von Relegations-Rekordspieler Dennis Diekmeier ab, der zweimal mit Nürnberg, zweimal mit dem HSV und immer siegreich aus diesen Zitterspielen herausging. Die Frage ist, ob er seine positiven Erfahrung an die verunsicherten Kollegen weitergeben kann. Dem Außenstürmer Filip Kostic, vor einem Jahr mit dem VfB Stuttgart in ähnlicher Lage (und am Ende abgestiegen), macht die mögliche Neuauflage offenbar schwer zu schaffen, wie sein unglückliches Spiel erkennen ließ. Vielleicht müssen ja die 18-Jährigen Vasilije Janjicic und Angreifer Bakery Jatta dafür sorgen, dass Bruchhagen am Ende erneut die Arme hochreißen kann. Diese jungen Burschen haben sich am Sonntag jedenfalls nicht die Beine gebrochen.

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Quelle:
SZ vom 09.05.2017
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