Süddeutsche Zeitung

Golf:Die Rekorde des Eismannes

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Henrik Stenson liefert sich mit Phil Mickelson ein Duell von historischer Dimension und holt seinen ersten Major-Titel.

Von Frieder Pfeiffer

Vielleicht muss die Erzählung dieses schwer zu fassenden Nachmittags dort beginnen, wo sie weh tut: beim Unterlegenen. Phil Mickelson spielte diese 145. Open Championship wie wenige Turniere zuvor, vielleicht war er gar so gut wie nie. Am Donnerstag verfehlte er um Zentimeter die erste 62er-Runde bei einem Major überhaupt. Am Sonntag spielte er das beste Major-Finale seiner inzwischen 25 Jahre andauernden Karriere. Mickelson, bereits dekoriert mit fünf Major-Titeln, kam am Ende auf ein Ergebnis von 17 Schlägen unter Par. Damit hätte er 140 von 144 Ausgaben des ältesten Golf-Turniers der Welt gewonnen. Für die 145. Ausgabe in Royal Troon aber reichte es nicht.

"Ich denke, ich habe gut genug gespielt, um deutlich zu gewinnen. Stattdessen wurde ich verprügelt", sagte Mickelson am Sonntagabend, als die aufgeladene Luft vom Wind über die schottische Westküste hinfortgetragen wurde und sich der Weltenlauf langsam aus der Erstarrung löste.

Die Zeit angehalten hatte Henrik Stenson, ein 40 Jahre alter Schwede mit trockenem Humor und bewegter Vergangenheit - aber bis dato ohne Major-Sieg. Nach Mickelsons furiosem Auftakt hatte Stenson am Freitag und Samstag jeweils die beste Runde gespielt, vor dem Sonntag lag er einen Schlag vor Mickelson, 46, der Rest des Feldes hatte die Verfolgung bereits aufgegeben. Es war klar, die Open Championship war nun ein Zwei-Mann-Turnier, ein Duell im Wind, Mickelson gegen Stenson, der Meister des langen Schlags gegen den Künstler im kurzen Spiel. Nicht klar war, dass dieser Tag die Erzählung der größten Sportduelle um eine besondere Anekdote ergänzen würde.

Stenson gegen Mickelson - zumindest in den golfaffinen USA und Großbritannien wird dieses Duell den größten Vergleichen standhalten können. Der Verweis auf das "Duel in the Sun" zwischen Tom Watson und Jack Nicklaus 1977 bei der Open in Turnberry ist mindestens erlaubt, ein eigener Markenname ist zu erwarten. Stenson gegen Mickelson, das war ein in vier Stunden gepacktes Destillat an Golfhöhepunkten der vergangenen Jahrzehnte. Nach sechs Löchern lag Mickelson schon vier unter Par und war zwischenzeitlich an Stenson vorbeigezogen. Dieser konterte mit fünf Birdies und zog an der achten Bahn wieder nach vorne. "Ich wusste, Phil würde nicht nachgeben, das hat es etwas leichter gemacht. Ich musste es durchziehen", erklärte Stenson. An weniger guten Tagen flog bei ihm aus Frust schon mal der Schläger in den Teich oder wurde anderweitig "ermordet", wie er selbst sagt. Er zerstörte seine Schuhe mit dem Messer, den hölzernen Kabinenspind mit der Hand. Zu Hause in Florida habe er schon mal Computer in ihre Einzelteile zerlegt, so erzählt er, weil die CD nicht aus dem Laufwerk wollte: "Wenn meine Sicherungen durchbrennen, muss ich blitzschnell reagieren."

Diesmal bedurfte es keiner Reaktion. Denn auch das ist Stenson, dem sie in guten Zeiten den Namen "Iceman" verpasst haben. Als Führender war er noch nie in ein Major-Finale gegangen. Doch nun spielte er, als sei das alles ein Küstenspaziergang. Einmal musste er durchatmen, als Mickelson einen Putt knapp daneben schob, ein paar Mal ballte er die Faust. Ansonsten: emotionaler Tauchgang. "Er hat keine Fehler gemacht", seufzte Mickelson. Auf den letzten fünf Grüns legte Stenson den Ball dann aus jeder Entfernung ins Loch - vier Birdies, die Entscheidung. "So etwas habe ich noch nie gesehen", schwärmte Nick Faldo, immerhin dreimaliger Open-Sieger. Am Ende hatte Stenson, der erste schwedische Major-Sieger drei Schläge Vorsprung auf Mickelson und 14 auf Rang drei. Mickelson war herausragend, für Stenson fehlt das passende Wort: herausragender?

Nie war ein Major-Gewinner besser als Stenson mit seinen 20 unter Par, seine 63er-Runde am Sonntag ist ebenfalls Rekord. Und 264 Schläge insgesamt? In 144 Open Championships nie erreicht. Es liegt nahe zu behaupten, dass es in einem Major nie eine derartige Finalleistung zu erleben gab. Nicht nur Mickelson staunte: "Was für ein großer Champion."

Es war ein langer Weg bis dorthin. 2001, im Jahr seines ersten Sieges auf der European Tour, knallte Stenson seine Abschläge oft in die Büsche: "Ich hatte plötzlich große Panik, die Zuschauer zu treffen." Er spielte katastrophal, die Karriere stand gleich zu Beginn infrage. Sich aus diesem Schlund hervorgekämpft zu haben, nennt Stenson seine größte Leistung. Und es gab weitere Herausforderungen. Nachdem er 2009 die Players Championship, das inoffiziell fünfte Major, gewonnen hatte, stürzte Stenson in der Weltrangliste auf Rang 230 ab. Die Schläger flogen, er kam wieder zurück. 2013 gewann er die Saisonwertungen sowohl auf der US PGA Tour als auch der European Tour und stieg zur Nummer zwei der Welt auf. Nur der Major-Titel fehlte. "Ich bin 40, ich habe nicht mehr viele Möglichkeiten", hatte er in dieser Woche angemerkt. Nun ergänzte er: "40 ist das neue 30, ich habe gespürt, dass ich dran bin." Auch Mickelson hatte ihm zu Beginn des Jahres gesagt: "Du hättest es verdient." Bei der Siegerehrung drehte sich Stenson zu Mickelson, er sagte: "Danke, Phil, für diesen großen Kampf." Mickelson lächelte.

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SZ vom 19.07.2016
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