Süddeutsche Zeitung

Glosse "Linksaußen":Kick it like Aristoteles

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Der Trend geht zum Zweitjob für Fußballtrainer, die derzeit gerne parallel den Fernsehexperten geben. Kein neues Phänomen: Berufliche Multitalente waren auch schon Leute wie da Vinci, Nostradamus und Oliver Kahn.

Von Stefan Galler

Gerade eben noch als engagiertes Nervenbündel an der Seitenlinie - kurz danach mit vollem Einsatz im Fernsehstudio an der Taktiktafel. Das Wechselspiel ist bisweilen etwas skurril, etwa zuletzt am Freitagabend: Gerade hatte Türkgücü sein Drittligaheimspiel gegen Viktoria Köln verloren, da erschien auch schon Trainer Peter Hyballa auf dem Bildschirm. Doch nicht etwa mit einer Manöverkritik zum verkorksten Match seines Teams, sondern als Moderator der DAZN-Sendung "TGIF - Thank God, it's Football", einer locker-flockigen Vorschau auf den Bundesliga-Spieltag.

Der Trend geht eindeutig zum Zweitjob, das gilt insbesondere für Fußballtrainer, deren Hauptberuf ja bekanntlich nur in den seltensten Fällen mit langjährigen Jobgarantien verbunden ist - schon gar nicht, wenn sie bei Türkgücü arbeiten. Und die Lebenshaltungskosten sind hoch in München, da schadet ein zweites Standbein sowieso nicht.

Gilt auch für Hyballas Kollegen Sandro Wagner, der sich bei der Spielvereinigung Unterhaching in der Regionalliga gerade seine ersten Trainersporen verdient und dabei weniger in der Öffentlichkeit steht als in seiner Funktion als Fernsehexperte. Auch er analysiert Spiele auf DAZN, nachdem er - wie Kollege Hyballa - schon während der Europameisterschaft im Sommer im ZDF als Sachverständiger aufgetreten war. Eine Win-win-Situation übrigens auch für die Hachinger: Wer eine mittlerweile öffentlich so bekannte Figur wie Wagner beschäftigt, rutscht auch als Viertligist nicht völlig ab in die mediale Bedeutungslosigkeit.

Coach und Experte - eine Job-Kombination, die voll dem Zeitgeist entspricht. So wie in anderen Branchen Virologe und Talkshowgast oder Politiker und Lobbyist. Dabei gab es Multi-Talente, die auf verschiedenen Berufsfeldern reüssierten, schon immer: Leonardo da Vinci war gleichzeitig Maler und Astronom, Aristoteles hatte außergewöhnliche Kompetenzen in Philosophie und Politik. Und Nostradamus verdingte sich als Apotheker und Astrologe. Seine Weissagungen werden bis heute herangezogen, der Franzose soll unter anderem den Aufstieg Hitlers, die Terroranschläge am 11. September und die Mondlandung prophezeit haben.

Wer solche Fähigkeiten besitzt, wäre heutzutage am besten in der Wettbranche aufgehoben - dort, wo etwa der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern, Oliver Kahn, bis vor kurzem als Werbefigur über Fernseher und Handydisplays flimmerte. Neuerdings nicht mehr, weil die Zusammenarbeit von lizenzierten Wettanbietern und Sportlern beziehungsweise Sportfunktionären mittlerweile verboten ist. Aber kein Grund für Mitleid, Kahn hat schon einen neuen Nebenjob. Neuerdings ist er als "Markenbotschafter" das Gesicht der Kooperation eines Elektrowerkzeug- und Gartengeräteherstellers mit dem FC Bayern. Pensionierter Ballfänger, Werbefigur für Laubbläser und Verantwortlicher für einen Millionenkonzern - ein echtes Multitalent.

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