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Fußballstadt Stuttgart:Als Trost bleibt nur das weltberühmte Ballett

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Der 14. Mai 2016 wird als Totensamstag in die Historie des Stuttgarter Fußballs eingehen. Alle drei Profivereine der Stadt steigen ab. Dem VfB ist nicht gelungen, sich mit klugen Köpfen zu erneuern.

Kommentar von Matthias Schmid

In einem Land, in dem wo sich die Menschen mit dem Relativpronomen schwertun und ihre teuren Sportwagen gerne mit Tüchern abdecken, damit sie den Nachbarn so gut es geht verborgen bleiben, steigt der beste Fußball-Klub nicht einfach so nur ab. In der Hauptstadt dieses Landes verabschiedeten sich zu diesem Anlass gleich alle Profi-Fußballmannschaften.

Der Tag vor Pfingsten 2016 wird als Totensamstag in die Sporthistorie des Stuttgarter Fußballs eingehen. Nicht nur der große Verein für Bewegungs- spiele, der VfB, muss sich nach 39 Jahren wieder in den kleineren Stadien der zweiten Liga vorstellen, in Sandhausen, in Heidenheim, in Aue. Mit dem deutschen Meister von 2007 sind am Samstag auch die Stuttgarter Kickers und der VfB II in die Regionalliga gerutscht. Da steigt also eine ganze Stadt ab, in der einst - wie unter anderem in München und in Hamburg - zwei Erstligisten aufspielten. Der einstige selbstironische Werbeslogan des Landes "Wir können alles - außer Hochdeutsch" ist um eine bittere Pointe erweitert worden: "Wir können alles - außer Fußball".

In Stuttgart war der Fußball nie ein gesellschaftlicher Kitt

Der Fußball ist in Stuttgart nie der gesellschaftliche Kitt gewesen, der die vielen verschiedenen Ethnien im engen Talkessel zusammenhielt, das Spiel war hier nie eine Ersatzreligion, wie es das in Gelsenkirchen oder in Dortmund mitunter ist. Der Fußball kam für die meisten ohne Überhöhung aus und war tatsächlich nur eine schöne Nebensache. Stuttgart und seine Region spielten trotzdem immer in der Champions League mit, nicht nur durch seine innovativen Wirtschaftsunternehmen, sondern auch durch seine kulturelle Vielfalt mit dem weltberühmten Ballett, der Oper oder der Staatsgalerie.

Der kluge Kopf Thomas Tuchel wäre gerne gekommen

Auch hier zogen namhafte Protagonisten weiter in die Ferne, weil ihnen fremde Länder (vor allem der bayerische Freistaat) mehr Geld und noch mehr Ruhm versprachen. Doch eine gedeihliche Erneuerung war nie ein existenzielles Problem, weil Fleiß, Erfindergeist und Ideenreichtum immer wieder neue kluge Köpfe und beste Tänzer hervorbrachten. Nur beim VfB tauschten sie die Trainer zuletzt beliebig aus (sieben in drei Jahren) und fanden keinen klugen Kopf mehr, obwohl manch kluger Kopf wie Thomas Tuchel gerne gekommen wäre.

Der vom wiederkehrenden Abstiegskampf ausgelaugte VfB muss nun bei den anstehenden Personalentscheidungen mehr Mut wagen, auch exotische Gedanken zulassen. Die zweite Liga muss nicht das Ende sein, der VfB von heute sollte sich den VfB von 1977 zum Vorbild nehmen, als mit dem legendären 100-Tore-Sturm um Hansi Müller, Dieter Hoeneß und Ottmar Hitzfeld der Wiederaufstieg verwirklicht wurde.

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Quelle:
SZ vom 17.05.2016
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