Süddeutsche Zeitung

DFB-Elf bei der WM:Wuchtig und unhaltbar ins Viertelfinale

Lesezeit: 4 min

Von Anna Dreher, Grenoble

Noch bevor irgendein Ergebnis feststand, war klar, dass es zumindest für eine Spielerin ein besonderer Tag werden würde. Alexandra Popp, Kapitänin der deutschen Fußballnationalmannschaft, stand wenig überraschend in der Startaufstellung. Und so feierte sie im Achtelfinale bei der Weltmeisterschaft in Frankreich ein besonderes Jubiläum: Es war ihr 100. Länderspiel. Popp bekam dazu eine besonders schöne Kulisse mit dem Stade des Alpes in Grenoble vor Alpenpanorama bei herrlichem Sommerwetter, 17988 Zuschauer waren gekommen - und dann sorgte sie auch noch selbst dafür, dass wirklich alles stimmte an diesem Tag.

Als 20 Minuten vergangen waren, flog der Ball nach einer Ecke von Lina Magull wie an einer Schnur aufgezogen direkt auf den Kopf von Popp zu. Sie stand frei im Strafraum, ging etwas in die Knie und dann, zack, ein Jubiläumstor, ihr 48. insgesamt. Es war der Auftakt zum ungefährdeten 3:0 (2:0)-Sieg, der Auftakt zum Einzug ins Viertelfinale. "Ich glaube, das war der perfekte Tag heute", sagte Popp und lachte: "Wir werden sicher das ein oder andere Lied in der Kabine singen, aber jetzt ist nicht viel mit Feiern, es geht ja weiter. Außerdem bin ich Captain, da muss ich Vorbild sein."

Weil die 28-Jährige auch zur besten Spielerin der Partie gewählt wurde, nahm sie nach einem Interview-Marathon in der sogenannten Mixed-Zone auch noch zu Beginn der Pressekonferenz Platz. In dem Raum war es deutlich kühler als draußen und so legte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg ihrer Spielerin fürsorglich eine Trainingsjacke um die Schultern, während Popp weitere Fragen beantwortete: "Wir haben viel Druck gemacht, haben Gegner und Ball laufen lassen und waren bei den Standards immer sehr gefährlich. Mein Tor hat uns Sicherheit gegeben - auch wenn wir danach manchmal bei den ganzen Unterbrechungen etwas den Faden verloren haben."

Zweimal meldet sich der VAR

Das erste Mal passierte das direkt nach dem 1:0, als sich, passend zu dieser WM, noch der Videoassistent meldete. Es dauerte, bis die japanische Schiedsrichterin Yoshimi Yamashita den Anstoß frei gab, aber dann konnte die Bundestrainerin lächelnd doch noch die Faust ballen und sagte später auf der Pressekonferenz: "Es ist nicht selbstverständlich, dass wir das Viertelfinale erreicht haben. Das war eine tolle Leistung bei schweren Bedingungen. Aber wir müssen schauen, dass wir in bestimmten Phasen des Spiels eine größere Sicherheit bekommen und uns nicht aus dem Konzept bringen lassen." Voss-Tecklenburg berichtete noch von einer Glückwunsch-SMS, die sie von Kanzlerin Angela Merkel erhalten hat ("sie hat geschrieben, dass sie sich mit dem Team gefreut hat"). Im Viertelfinale - in dem, wie die Bundestrainerin sagte, die bisher mit einem Zehenbruch verletzt ausgefallene Spielmacherin Dzsenifer Marozsán wieder einsatzbereit sein wird - warten nun entweder die starken Schwedinnen oder Kanadierinnen.

Die Bundestrainerin war ihrer Linie treu geblieben und veränderte, wie auch in allen drei Gruppenspielen gegen China (1:0), Spanien (1:0) und Südafrika (4:0) ihre Aufstellung - dieses Mal aber nur auf einer Position. Statt Klara Bühl durfte Lea Schüller in der Offensive beginnen. Zur Pause wechselte Voss-Tecklenburg für Verena Schweers in der Viererkette Carolin Simon ein, für Melanie Leupolz kam Bühl; in der 69. Minute ging Lina Magull raus und Lena Oberdorf rein. Die Positionen wurden flexibel getauscht, wie schon in der Vorrunde.

Zum zweiten Treffer führte das nicht, da profitierte Deutschland vom Videoassistenten, der sich in der 24. Minute eine Szene genauer anschaute: Magull war im Strafraum dabei, sich den Ball vor einem Pass besser zurecht zu legen, als sie von der heraneilenden Evelyn Nwabuoko voll am Knie getroffen wurde. Den Elfmeter verwandelte Sara Däbritz stark ins rechte Eck (27.). Nigeria war zu Beginn des Spiels vors deutsche Tor gekommen, wirklich gefährlich aber wurde die Mannschaft des schwedischen Trainers Thomas Dennerby nicht. Was auch daran lag, dass Nigerias bekannteste Spielerin Asisat Oshoala (FC Barcelona) mit muskulären Problemen aussetzen musste.

Bei der Pressekonferenz am Tag vor dem Spiel hatte Voss-Tecklenburg noch Informationen bekommen, die eine weitere Erklärung für die Leistung eines für seine robuste Herangehensweise und gefährlichen Konter bekannten Gegners lieferten. Ein Reporter erzählte, die Nigerianerinnen bei ihrer Ankunft höchst müde erlebt zu haben. Was die Vorbereitung auf dieses Spiel angeht, hatten die Deutschen ja einen Vorteil gehabt: Während ihr Achtelfinaleinzug als Gruppensieger schon am Montag feststand, hatten die weiteren Ergebnisse dafür gesorgt, dass die vier besten Gruppendritten erst Donnerstagnacht feststanden. Es war ein hin und her. Am Ende entschied ein an die Latte geschossener Elfmeter Chiles, darüber, dass Nigeria mit einem besseren Torverhältnis gegenüber den Südamerikanerinnen weiterkommen und Deutschlands Gegner sein würde.

"Nigeria hat eine emotionale Achterbahnfahrt hinter sich, danach kannst du bestimmt nicht gut schlafen und dann musst du ja auch noch zum anderen Spielort reisen", sagte die Bundestrainerin zu den Beobachtungen des Reporters. "Aber es überwiegt sicher die positive Stimmung und die Chance, die sie sehen. Die werden emotional alles reinwerfen, was sie haben. Das hat ja auch für den ganzen Kontinent eine enorme Bedeutung."

In der zweiten Halbzeit blitzte etwas davon auf. Die eingewechselte Rasheedat Ajibade hatte sich auf der linken Seite den Weg nach vorne gearbeitet, spielte einen schön präzisen Querpass auf Kapitänin Desire Oparanozie und Almuth Schult im Tor wäre chancenlos gewesen, hätte Oparanozie den Ball noch erwischt. So aber konnte Schult ihre bisher makellose Bilanz von null Gegentreffern aufrechterhalten. Das Lob gab sie aber direkt an ihre Innenverteidigerin weiter. "Marina Hegering hat heute mehr Bälle gehalten als ich, die hat sich in einen Ball nach dem anderen geschmissen. Überhaupt war das eine gute Mannschaftsleistung heute." Und: "Wir haben uns von Spiel zu Spiel weiterentwickelt. Ich würde sagen, die Offensive ist bei 80 Prozent, die Defensive bei 100 Prozent."

Ganz so glanzvoll, wie Schult ihre Vorderleute sah, war die Leistung des zweimaligen Weltmeisters nicht - aber es reichte, um im achten Spiel gegen Nigeria zum achten Mal zu gewinnen und seit 16 aufeinanderfolgenden Länderspielen unbesiegt zu bleiben. In diesem von zahlreichen Unterbrechungen durch intensiv geführte Zweikämpfe und Videobetrachtungen geprägten Spiel durften die Favoriten dann noch ein drittes Mal jubeln. Halimatu Ayinde wollte den Ball in der 82. Minute im eigenen Strafraum ihrer Mitspielerin zurückgeben, doch aus dem Pass wurde die ideale Vorlage für Schüller in ihrer ersten Partie bei dieser WM, die sie von Anfang an mitgestalten durfte. Die 21-jährige Offensivspielerin zog aus 15 Metern ohne zu zögern ab, ihr wuchtiger Flachschuss war unhaltbar, es war ihr neuntes Tor im 15. Länderspiel. Und der umjubelte Schlussakt in diesem WM-Spiel.

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