Süddeutsche Zeitung

Alexandra Popp:"Wenn der Ball im Tor ist, ist er im Tor. Dat ist mir egal wie"

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Von Tim Brack, Grenoble

Als DFB-Torhüterin Almuth Schult um die Ecke zur Mixed Zone bog und das Hindernis wahrnahm, das sich vor ihr aufbaute, setzte sie sich erst einmal auf den Boden. Sie sah keine Chance, daran vorbeizukommen. Den schmalen Durchgang der Mixed Zone blockierte ihre Mitspielerin Alexandra Popp: Die Stürmerin war bei den Journalisten gefragt, Schult nahm folglich an, dass die Ausführungen ihrer Kapitänin etwas länger dauern könnten.

Ihre Vermutung sollte sich als wahr herausstellen. Popp hatte viel zu erzählen, hatte sie doch gerade in ihrem 100. Länderspiel maßgeblich dazu beigetragen, dass das deutsche Team bei der Weltmeisterschaft in Frankreich das Viertelfinale erreicht hatte. Beim 3:0-Sieg gegen Nigeria hatte sie das erste Tor geköpfelt. Es war ein Treffer, der den deutschen Fußballerinnen viel Selbstvertrauen einflößte, einer, der sinnbildlich für die deutschen Stärken beim Turnier in Frankreich ist. Denn er fiel nach einer Standardsituation: Lina Magull hatte eine Ecke getreten, Popp sich in den Strafraum geschlichen und relativ ungestört eingenickt.

Auch das 2:0 erzielte das DFB-Team nach einem ruhenden Ball, Sara Däbritz verwandelte einen Foulelfmeter. Fünf von neun Toren gelangen den Deutschen bereits nach Standards, mehr als die Hälfte also. Die Statistik spiegelt wider, wie die Stärken aktuell die Schwächen im deutschen Spiel überlagern. "Wir haben viele gute Kopfballspielerinnen und wir haben Spielerinnen, die den Ball auf den Punkt dahin bringen können, wo er hin soll", erklärte Popp das Übergewicht bei Standards. Diese seien "eine Waffe, wenn man es spielerisch nicht schafft, was immer mal vorkommen kann". Denn das ist die andere Seite: Mit dem Spielfluss will es immer mal wieder nicht so recht klappen.

Zwar verbesserte sich die Mannschaft von Martin Voss-Tecklenburg gegen Nigeria im Vergleich zur Gruppenphase - auch, was die Passquote angeht. Im Achtelfinale kamen 78 Prozent der deutschen Zuspiele an, in den drei Partien zuvor durchschnittlich 72 Prozent. Erneut gab es aber wieder Phasen, in denen die Pässe partout nicht bei der Mitspielerin landen wollten und es im Angriff an Struktur mangelte. Das lag manchmal daran, dass die Bälle aus der Abwehr nur "gepöhlt" - also ziellos nach vorne geschlagen - wurden, wie die gebürtige Ruhrpottlerin Popp sagte. Oder daran, dass die Mannschaft nach vorne "das ein oder andere Mal zu verspielt gewirkt" hat.

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg nannte eine weitere Erklärung für die phasenweise Kopflosigkeit in der Offensive. "Uns fehlt eine spielstarke Spielerin wie Dzsenifer Marozsan, das dürfen wir alle nicht vergessen", mahnte sie an. Mit der 27-Jährigen sei immerhin eine der besten Fußballerinnen der Welt abwesend und in ihrer Abwesenheit habe es ihr Team "einfach gut gemacht". Marozsan hatte sich im ersten Gruppenspiel gegen China einen Zeh gebrochen. Gegen Nigeria stand sie zwar im Kader, wurde aber noch nicht eingesetzt. Sie habe ihrer Trainerin vor dem Achtelfinale mitgeteilt, sie sei "frei im Kopf", sagte Marozsan nach der Partie, doch sie habe Voss-Tecklenburg auch gesagt, dass es schöner wäre, "wenn ich heute nicht zum Einsatz komme und Zeit gewinne". Zeit bis zum Viertelfinale, wo die deutsche Auswahl am kommenden Samstag auf Schweden oder Kanada trifft.

Popp: "Wenn der Ball im Tor ist, ist er im Tor. Dat ist mir egal wie."

Bis dahin muss sich die DFB-Elf spielerisch noch verbessern. "Wir sind von der Mentalität her sehr kritisch. Von daher wissen wir, dass das nicht unsere beste Leistung war, aber ich denke, wir steigern uns da schon", sagte Lina Magull. Dass die deutsche Mannschaft gegen Nigeria durchaus mehr Spielfreude entwickelte als in der Vorrunde, war häufig Magulls Verdienst. Die 24-Jährige hatte in ihrem zweiten WM-Einsatz von Beginn an gespielt, das erste Tor vorbereitet und den Elfmeter zum 2:0 herausgeholt. Ihr Esprit steckte die Mitspielerinnen aber nicht so konstant an, wie sie sich das wünschte. "Ich glaube, wir können einfach viel, viel mutiger sein. Dass wir es können, hat man in einigen Szenen gesehen", sagte die Mittelfeldspielerin. Auch ihre Trainerin forderte mehr Selbstbewusstsein ein, "dass wir in bestimmten Phasen des Spiels eine größere Sicherheit bekommen und uns nicht von Kleinigkeiten aus dem Konzept bringen lassen". Konstanz ist das Stichwort.

Vielleicht muss man sich aber auch fragen, wie viel spielerischen Glanz man von einer jungen deutschen Mannschaft, die sich gerade im Umbruch befindet, erwarten darf. "Es ist ja nicht selbstverständlich, dass wir ins Viertelfinale gehen. Das ist eine besondere Leistung", sagte Voss-Tecklenburg. Im Viertelfinale, wenn es mit dem Spielfluss mal wieder nicht so klappt, wird die Gewissheit "bei einem Standard geht immer was" jedenfalls Halt geben. Und Standardtore sind ja auch nicht weniger wert. Oder wie Alexandra Popp anmerkte: "Wenn der Ball im Tor ist, ist er im Tor. Dat ist mir egal wie."

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