Süddeutsche Zeitung

Fußball-WM:Japan siegt mit Kopf, Knöchel und Glück

Lesezeit: 3 min

Von Benedikt Warmbrunn, Kasan

Der Ball flog auf James Rodríguez zu, er hob den Fuß leicht an, er war bereit, er wusste, dass dies gleich einer der Momente sein würde, in denen sich Helden auszeichnen können. Der Ball kam an, James verarbeitete ihn elegant, schnell, kunstfertig, ein platzierter Schuss, geplant als Treffer zum Ausgleich in dieser 78. Minute. Aber zum Helden wurde James nicht.

In letzter Sekunde kam noch Yuya Osako angesprungen, er hechtete sich in James' Schuss hinein, fälschte den Ball ab. Der Held an diesem Dienstagnachmittag in Saransk war endgültig Yuya Osako.

2:1 (1:1) besiegte Japan in Saransk Kolumbien, es war eine der größeren Überraschungen dieses ersten Spieltags. Die Kolumbianer galten als Geheimfavorit, und sie wiesen auch gegen Japan nach, wie schnell, dynamisch, unvorhersehbar sie spielen können. Die Japaner waren als Außenseiter in die Gruppe H gestartet, doch im ersten Spiel zeigten sie, dass sie eine Schlauheit haben, die die anderen Teams nicht unterschätzen sollten. Japan profitierte von einem frühen Platzverweis, spielte seine Überlegenheit aber clever aus.

Kolumbiens Trainer José Pekerman hatte zunächst auf James verzichtet, der Mittelfeldspieler des FC Bayern ist zwar das kreative Zentrum der Kolumbianer, zuletzt plagten ihn allerdings muskuläre Probleme an der Wade. Gegen Japan, das sagte Pekermans Ausrichtung, wird es schon auch ohne James reichen.

Die besten Ideen der Kolumbianer hatten Cuadrado und Quintero - beide wurden früh ausgewechselt

Nach einer Stunde änderte der Coach seine Meinung und wechselte den 26-Jährigen ein. Es dauerte 176 Sekunden, bis das Spiel eine neue Einfärbung bekam. Davinson Sanchez ließ sich erst vom herumhüpfenden Ball irritieren und dann von Osako austänzeln. Torwart David Ospina parierte den Schuss von Osako, in den Nachschuss von Shinji Kagawa sprang Carlos Sanchez hinein - er wehrte ihn mit dem rechten Arm ab. Rote Karte, Elfmeter. Kagawa traf mit einem lässigen Flachschuss (6.). "Die rote Karte war fatal und hat uns das Leben sehr schwer gemacht", sagte Pekerman: "Japan hat das gut gemacht und die Situation gut ausgenutzt."

Mit einem Spieler mehr stellte Japan geschickt gestaffelt die Räume zu, lauerte auf Kontergelegenheiten. Kolumbien hatte zwar mehr Ballbesitz und auch bessere Ideen, Juan Cuadrado und Juan Quintero probierten immer wieder, das Tempo zu verschärfen. Aber meist stand dann doch ein Japaner im Weg. Die beste Chance des Favoriten in der Anfangsphase hatte Kapitän Radamel Falcao, der es nach einem gelupften Freistoß von Quintero mit einem eingesprungenen Fußspitzenspitzler versuchte. Japans Torwart Eiji Kawashima parierte problemlos (12.). Drei Minuten später konterte Japan, Kagawa dribbelte wendig nach vorne, sah den frei stehenden Takashi Inui - nach dessen Schuss hoppelte der Ball allerdings weit am Tor vorbei.

In der 31. Minute entschied sich Pekerman für einen mutigen Wechsel, für den engagierten Cuadrado brachte er Wilmar Barrios, einen defensiven Mittelfeldspieler. Es war ein Wechsel für mehr Stabilität, und es war ein Wechsel, der weiterhin getragen wurde vom Vertrauen an die offensiven Künste seiner Mannschaft. Drei Minuten später probierte es Falcao nach einem Pass von Quintero erneut mit einem eingesprungenen Fußspitzenspitzler, wieder überraschte er damit Kawashima nicht.

Der verdiente Ausgleich fiel nach einer umstrittenen Aktion. Falcao versuchte innerhalb einer Minute dreimal, einen Elfmeter beziehungsweise einen Freistoß zu schinden; beim dritten Mal war er erfolgreich. Kurz vor der Strafraumgrenze stieß er mit Japans Kapitän Makoto Hasebe zusammen, im Grunde war es ein Foul des Kolumbianers. Schiedsrichter Damir Skomina entschied dennoch: Freistoß für Kolumbien. Quintero hatte daraufhin wieder einen seiner pfiffigen Einfälle. Er lupfte den Ball nicht auf Falcao. Er schoss ihn einfach unter der aufgescheucht hüpfenden japanischen Mauer aufs Tor. Kawashima parierte, allerdings eindeutig hinter der Torlinie.

Japan dominiert zweite Hälfte mit einfachen Passfolgen

In der zweiten Halbzeit nutzten die Japaner nicht nur in der Defensive aus, dass sie einen Mann mehr hatten; mit einfachen Passfolgen dominierten sie nun die Partie. Inui (57.), Maya Yoshida (59.) und Hiroki Sakai (61.) vergaben gute Gelegenheiten. "Japan hat das Spiel vor allem in der zweiten Halbzeit gut kontrolliert, wir sind müde geworden und haben den Rhythmus verloren", gestand Pekerman.

Bei einem Eckball in der 73. Minute war die Unkonzentriertheit besonders deutlich zu sehen. Osako war umgeben von drei Kolumbianern, er fand dennoch das perfekte Timing für den Kopfball, die drei Kolumbianer um ihn herum schauten verwirrt zu - die Führung.

"Wir waren von Beginn an aggressiv und hatten den Vorteil, schnell in Überzahl spielen zu können", sagte Japans Trainer Akira Nishino: "Wir haben allerdings unsere Chancen nicht genutzt. In der zweiten Hälfte haben wir unseren zahlenmäßigen Vorteil besser ausgespielt."

James, der Mann, der eigentlich zum Helden werden wollte, fiel nur noch einmal auf. Nach einem Foulspiel sah er die gelbe Karte.

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SZ vom 20.06.2018
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