Süddeutsche Zeitung

Fußball-EM:Modric' Magie verleiht Kroatien Glanz

Lesezeit: 3 min

Von Javier Cáceres, Paris

Es gibt keine Niederlage, an die Luka Modric, Spielmacher der Kroaten, dramatischere Erinnerungen hat als jene seiner Nationalelf gegen die Türkei bei der EM 2008. Seinerzeit ging man torlos in die Verlängerung, in der 119. Minute brachte der einstige Bremer Ivan Klasnic die Kroaten in Front - doch Semih Sentürk glich aus. Im Elfmeterschießen siegte die Türkei, und wenn man Modric, dem heutigen Mittelfeldspieler von Real Madrid, glauben kann, vergoss er nie wieder solche Tränen wie damals, als er geschlagen vom Platz schlich.

Am Sonntag trafen Kroaten und Türken im Prinzenpark-Stadion von Paris wieder aufeinander, zum vierten Mal in der EM-Geschichte. Modric tilgte die Erinnerung an die Tränen mit einem magischen Moment. In der 41. Minute traf er volley aus 20 Metern - und sicherte Kroatien den Auftaktsieg in der Gruppe D. Im zweiten Gruppenspiel treffen am Montag Spanien und Tschechien aufeinander.

Modric verleiht ein wenig Glanz

Mit seinem Treffer verlieh Modric einer Partie ein wenig Glanz, die bis dahin schwieriger zu ertragen war als ein Traktat über Quantenphysik. Wer aufgrund der Präsenz von Ballartisten wie Modric oder Ivan Rakitic auf kroatischer und Arda Turan auf türkischer Seite von einem Nachmittag voller Fußballkunst ausgegangen war, sah sich bald getäuscht.

In der Anfangsphase waren mehr Unterbrechungen zu beklagen als im Streckennetz der französischen Bahn, die gerade bestreikt wird. Dazu kamen reichlich Ballverluste. Im Grunde boten nur die stimmgewaltigen Anhängergruppen Spektakel, die im Prinzenparkstadion einen neuen Dezibel-Rekord aufgestellt haben dürften und (bis auf einen Böllerwurf in der zweiten Halbzeit) friedlich blieben. Angesichts der Vorgänge von Marseille und der Vorgeschichte türkisch-kroatischer Begegnungen - beim EM-Spiel 2008 kam es in Österreich zu schweren Prügeleien - zählte dies zu den positiveren Aspekten des Sonntagnachmittags von Paris. Fußballerisch war lange Zeit ein Nichts zu beklagen.

Weder Modric noch der später zurecht ausgewechselte Arda vermochten es, eine Idee zu entwickeln, geschweige denn das Kommando über das Spielgeschehen an sich zu reißen. Die Kroaten wirkten immerhin besser organisiert als die Türken und erstritten sich dadurch einen Anschein von Überlegenheit. Die erste richtig gute Chance hatten allerdings die Türken. In der 29. Minute kam Mittelfeldspieler Ozan Tufan am Fünfmeterraum zum Kopfball. Doch er zielte mit seinem Aufsetzer genau auf den kroatischen Torhüter Danijel Subasic, der auf der Linie parieren konnte.

Die Kroaten hatten ihrerseits bei ihren Torgelegenheiten keinen Druck hinter den Ball bekommen. Erst trafen Marcelo Brozovic per Kopf (23. Minute) und Milan Badelj am Strafraum (28.) den Ball nicht richtig; und auch den Drehschuss, den Mittelstürmer Mario Mandzukic in der 39. Minute im Anschluss an eine Ecke losließ, war keine Prüfung für Torwart Volkan Babacan. Dann erst kam der Treffer von Modric - nach einem missratenen Befreiungsschlag von Mittelfeldspieler Selcuk Inan. Der Schuss wirkte haltbar. Aber er hatte es in sich. "Der Torwart hat den Ball spät gesehen, und er senkte sich tückisch", sagte Modric, dem auch ein Flitzer gratulieren wollte, als er an der Eckfahne jubelte. Er habe erst gar nicht gemerkt, dass da einer dabei war, der "nicht zu uns gehörte und ein anderes Trikot anhatte", feixte Modric. "Hätte ja auch ein Türke sein können." War er aber nicht, es war ein Kroate - mit "guter Einstellung", wie Modric lobte. Er selbst wurde auch gelobt, vom Trainer der Kroaten, Ante Cacic. "Er hat das beste Spiel seiner Nationalmannschaftskarriere bestritten, er hat sehr gut gespielt, war wirklich unser Anführer." Sein Tor sorgte für große Selbstsicherheit unter den Kroaten. Modric hatte bei zehn vorangegangenen Spielen der Nationalelf jeweils einen Treffer erzielt - sie führten zu neun Siegen und einem Unentschieden. Entsprechend überlegen wirkten die von Modric brillant dirigierten Kroaten in der zweiten Halbzeit. Trotz der Wechsel, die Trainer Fatih Terim vornahm (Volkan Sen, Burak Yilmaz und der bejubelte Neu-Dortmunder Emre Mor kamen für Cenk Tosun, Turan und Oghuzan Özyakup), bekamen die Türken die Partie nicht in den Griff. Im Gegenteil. "Wir sind nach 60 Minuten physisch eingebrochen", klagte Coach Terim. Die Türken konnten tatsächlich von großem Glück sprechen, dass der kroatische Sieg nicht noch höher ausfiel. "Wir haben es versäumt, das Spiel zuzumachen", sagte Ivan Rakitic nach dem Duschen und zupfte an seinen edel glitzernden Ohrringen. Allein Marcelo Brozovic hatte drei hochkarätige Chancen; vor allem aber trafen Kapitän Ivan Strinic bei einem direkten Freistoß aus 20 Metern (50.) und Ivan Perisic bei einem Kopfball nur die Querlatte. Die Türken schlugen auch kein Kapital daraus, dass Kroatiens Innenverteidiger Vedran Corluka wegen einer Platzwunde am Kopf wiederholt behandelt werden und die längste Zeit des Spiels einen Turban tragen musste - erst einen weißen, später einen schlumpfblauen. Es blieb die einzige Wunde, die Kroatiens Nationalmannschaft am Samstag zu beklagen hatte.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3030137
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.06.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.