Süddeutsche Zeitung

Olympia:Eric Frenzel löst alle Blockaden

Lesezeit: 4 min

Von Volker Kreisl, Pyeongchang

Eric Frenzel war gelandet, etwas verspätet wegen der Windverhältnisse, aber sicher und voller Zuversicht. Jenseits der hundert Meter, bei 106,5, hatte er die Ski aufgesetzt, hatte genickt und dann schnell abgedreht in Richtung Ausgang, mit dem sicheren Wissen für den Lauf in der Loipe: Es geht für ihn wieder um die Medaillen, es geht sogar um Gold.

Immer noch ist das Skispringen der Nordischen Kombination ein grauer, unscheinbarer Moment. Ein Vorlauf mit wenig Publikum, nach dem die Party erst richtig losgeht. Tatsächlich gab Frenzels Landung erst den Anstoß für diese Comeback-Geschichte, die im nächsten Meilenstein endete - in seiner Karriere und in der Historie des gesamten deutschen Kombinationsteams, das sich hernach zum Gruppenfoto in den Schnee der Arena kniete, lachend und feixend, als hätten sie alle das Sportlerpech ausgetrickst.

Der Sieg kam überraschend, aber er war taktisch klug geplant, beruhend auf wochenlangen Extraschichten, auf der Überlistung eines mentalen Tiefs. Eric Frenzel hat damit seinen Erfolg von 2014 wiederholt und seinen Ausnahmestatus in dieser Disziplin unterstrichen. Er ist der Mann, der die Kombination hierzulande nach der Vorarbeit von Ronny Ackermann noch weiter vorangebracht hat, beginnend mit seinem ersten WM-Einzeltitel von Oslo 2011 und elf weiteren WM-Medaillen seither.

Die Geschichte dieses zweiten Olympiasieges beginnt im Grunde vor einem Jahr, im Februar 2017, bei der WM in Lahti, bei der die Deutschen fast alles gewannen. Einmal belegten sie das komplette Podest - und Platz vier noch dazu. Der Held hieß damals Johannes Rydzek, aber alle hatten Teil an dem Erfolg. Im Sport gerät das gemeinerweise manchmal zum Nachteil. "Sie haben sich plötzlich beäugt", stellte Trainer Weinbuch fest. Das Bewusstsein, dass die Hauptrivalen nicht aus dem Ausland kommen, sondern im eigenen Team stecken, griff um sich. Und dann, glaubt Weinbuch, fingen sie an nachzudenken. Nachdenken ist Gift fürs Skispringen.

Diese Kombinierer, die mit Mords-Selbstbewusstsein dahinschweben sollten, fielen viel zu früh vom Himmel, die Aufholjagden in der Loipe waren selten erfolgreich und meist zermürbend, was abermals aufs Selbstbewusstsein ging. Weinbuchs Team befand sich in einem Teufelskreis, noch vor drei Wochen in Seefeld wirkte der Coach grüblerisch, denn alles sei doch eigentlich so einfach. Nur ein einziges Erfolgserlebnis - und ein Skispringer finde ja wieder seine Form.

Tatsächlich: Noch in Österreich machte Frenzel nach diversen Experimenten endlich den entscheidenden Fortschritt mit einer veränderten Bindung, später schaffte er es, Muskelblockaden zu lösen, die seine Anfahrtshocke behinderten. Dann zog sich die Mannschaft zurück; Frenzel dachte dabei, er habe schon so viele Erfolge gehabt, "daran halte ich fest". Ob Weinbuchs Mannschaft gegen die Konkurrenz aus Japan und Norwegen, die im Gegensatz zu den Deutschen den Teamgeist regelrecht trainiert hatte, auch bei Olympia wieder bestehen könnte, blieb freilich fraglich.

Klar war, dass es für Medaillenserien wie in Lahti diesmal nicht reichen würde, zumal das Springen im ersten von drei Olympia-Wettkämpfen bei wechselhaftem Wind stattfand. Frenzel hatte Glück, Fabian Rießle Pech - ihn erwischten seitliche Böen, für die es kaum Kompensationspunkte gibt. Rydzek und der andere Oberstdorfer, Vinzenz Geiger, lagen in der Mitte. Die Abstände auf den nach dem Springen führenden Österreicher Franz-Josef Rehrl: 36 Sekunden für Frenzel, grob eineinhalb Minuten für Rydzek und Geiger, aussichtslose zwei Minuten für Rießle.

Liegt das Verfolgungstableau vor, beugen sich sofort die Trainer darüber und kalkulieren: Wen gilt es schnell einzuholen? Mit wem kann man eine Gruppe bilden, vor wem muss man davonlaufen? Weinbuchs Plan stand schnell fest: Die beiden an der Spitze waren keine ernst zu nehmenden Läufer; für den Fünftplatzierten Frenzel ging es um Nummer drei und vier: Akito Watabe, den Gesamtweltcupführenden aus Japan mit 28 Sekunden Rückstand, und Lukas Klapfer (plus 32 Sekunden), den laufstärkeren Gegner aus Österreich. Möglichst früh musste Frenzel auf diese beiden aufschließen, dann würde es auf einen Sieg hinauslaufen.

Der 29-Jährige aus Oberwiesenthal hat schon einiges erlebt bei diesen Spielen. Als Fahnenträger stand er für einen Moment im Mittelpunkt des ganz großen Festes. Vielleicht hat ihm das noch ein bisschen mehr Ehrgeiz für diese Jagd gegeben, vielleicht schlug an der Startlinie auch nur sein großer Saisonwunsch durch: "Ich habe alles auf Olympia ausgerichtet." Acht Sekunden sind nicht so wenig gegen die weltbesten Läufer im Feld, aber Frenzel pflügte los wie ein lange eingesperrtes Rennpferd. Über zehn Kilometer ging es insgesamt, nach rund 400 Metern hatte er die Beiden.

Langläufer entwickeln im Laufe ihrer Karriere ihre taktischen Eigenarten aus ihren Stärken. Die einen legen es auf einen Schlussspurt an, die anderen suchen früh ihr Glück in der Flucht nach vorne. Eric Frenzel liegt da in der Mitte. Er mag es, das Rennen in einer lang gezogenen Tempoverschärfung ein, zwei Kilometer vor dem Ziel zu entscheiden. In Pyeongchang kam ihm zupass, dass in diesem Bereich der Loipe ein Hügel liegt. Der hat einen unangenehmen Anstieg, Frenzel kam er gerade recht. Manche Tage erscheinen wie zugeschnitten auf bestimmte Athleten, und an diesem Tag nutzte Frenzel die große Chance, die sich ihm bot. Er hopste Klapfer und Watabe davon, die 20 Meter Abstand, die er am Hügel herauslief, genügten für Gold.

Hermann Weinbuch erzählte später, man habe immer noch viel geübt in Oberstdorf, jedoch nicht mehr mit pingeliger Fehlersuche, sondern mit Gefühl und vor allem: als Team. "Reden, reden, reden", sei das Rezept gewesen, keine hohe Psychologie, sondern: "Gaudi haben". Die dürften sie nun noch eine Weile haben bei den Spielen in Pyeongchang, wo kommende Woche noch zwei Wettkämpfe anstehen.

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Quelle:
SZ vom 15.02.2018
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