Süddeutsche Zeitung

Frauenfußball:Diskussion am Tellerrand

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Nach dem 0:1 gegen England im WM-Spiel um Platz drei reisen die deutschen Fußballerinnen frustriert aus Kanada nach Hause. Es gibt Kritik und Gegenkritik aus allen Lagern.

Von Kathrin Steinbichler, Edmonton/Vancouver

Tränen in den Augen, nach unten gezogene Mundwinkel und eine Enttäuschung, die länger andauern wird als eine fünfwöchige Weltmeisterschaft: Der abschließende Auftritt der deutschen Fußballerinnen bei der WM in Kanada hinterließ eine Menge frustrierter Gesichter - und eine Debatte um die Weiterentwicklung der Frauenfußball-Nationalmannschaft. Denn beim 0:1 (0:0) nach Verlängerung im Spiel um Platz drei gegen England bot die Elf von Bundestrainerin Silvia Neid wie schon im Halbfinale gegen die USA eine Leistung, die nach dem zuvor so vielversprechenden Start in die WM viele Fragen offen ließ.

Mit einem "Kackgefühl" fahre die Mannschaft jetzt nach Hause, brachte Alexandra Popp die Gemütslage auf den Punkt. Und das nicht etwa wegen manch einer Verletzung wie etwa Popps Platzwunde am Kopf, wegen der sie gegen England mit einem schwarzen Kopfschutz auflief. Nein, die Spielerinnen wussten selbst, dass sie ausgerechnet zum Ende des Turniers nicht ihr ganzes Potenzial abgerufen und einen versöhnlichen Abschluss verschenkt hatten. "Es wäre mehr drin gewesen. Wir hätten kaltschnäuziger sein müssen. Das ist nicht unsere WM gewesen, zumindest zum Ende nicht", sagte Popp.

Wie zuvor schon im Halbfinale gegen die USA tat sich die deutsche Mannschaft auch im Duell um die Bronzemedaille schwer, im Spiel nach vorne zwingende Aktionen zu kreieren oder durch eine taktische Variante neue Impulse zu setzen. Bundestrainerin Silvia Neid setzte zwar auf gleich fünf neue Spielerinnen in der Startelf, von denen vor allem die erst 20-jährige Sara Däbritz im Mittelfeld zeigte, welch guten Nachwuchs Deutschlands Frauenfußball hat. England aber warf erneut all seine Leidenschaft in die Partie, variierte zum fünften Mal im Turnier seine taktische Gewichtung - und gewann am Ende durch einen sicher verwandelten Foulelfmeter von Fara Williams (108. Minute). Außenverteidigerin Tabea Kemme, 23, die bei ihrer ersten WM eine insgesamt beeindruckende Leistung geboten hat, hatte ihre Gegenspielerin am Trikot gehalten. Danach bot sich Außenverteidigerin Bianca Schmidt die große Chance, per Kopfball den Ausgleich zu erzielen (116.). Letztlich aber feierten die Engländerinnen den besten Abschluss ihrer WM-Geschichte - und bei der deutschen Elf begannen die Diskussionen.

Schließlich bleibt nun nicht hängen, dass Deutschland es unter die besten Vier der Welt und nebenbei auch zu Olympia 2016 in Rio geschafft hat - übrig bleibt vor allem der Frust, ausgerechnet zum Ende des Turniers hin harmlos gewirkt zu haben. Warum das so war und wie es geändert werden kann, werden die Verantwortlichen um Neid analysieren und dazu Lösungen ausarbeiten müssen. Bereits nach dem Halbfinale hatten sich die Bundesligatrainer Colin Bell (1. FFC Frankfurt), Bernd Schröder (Turbine Potsdam) und Ralf Kellermann (VfL Wolfsburg) öffentlich zu Wort gemeldet, das Ausscheiden teilweise kritisiert und mehr taktische Flexibilität gefordert.

Nach dem Abpfiff der WM für die Deutschen gab Neid die Kritik ihrerseits an die Vereine zurück, was jetzt wieder zu der inzwischen üblichen Debatte nach Turnieren zwischen Liga und DFB führt. Die Nationalspielerinnen seien müde und überspielt zur WM gereist: "Wir hatten sie zehn Tage in der WM-Vorbereitung. Und das war keine Vorbereitung, sondern eine Regeneration. Die Spielerinnen waren in einem katastrophalen Zustand, als sie zu uns kamen", meinte Neid. "Dafür können wir froh sein, dass wir so weit gekommen sind." Der Verweis auf körperliche Defizite mag nicht elegant sein, aber er hat einen wahren Kern: Gerade bei diesem Turnier, das durch die Spiele auf dem oft überhitzten Kunstrasen viel Kraft kostete, standen am Ende diejenigen Mannschaften ganz vorne, die sich nicht nur spielerisch, sondern auch athletisch wie mental am besten vorbereitet haben - vor allem bei der Kopfarbeit, der Bereitschaft zum Mitdenken, wirkte der Großteil der deutschen Elf allerdings müde. "Im Zweikampfverhalten waren Frankreich, die USA sowieso und England von der Robustheit gegen den Ball einen Tick besser als wir", räumte Neid ein. Auch im Spiel auf engstem Raum wussten sich Mannschaften wie die USA, Japan oder Frankreich besser durchzusetzen. England wiederum kam mit den Belastungen des ungewohnten Kunstrasens besser zurecht: Der Weltverband Fifa hat bereits angekündigt, die Erfahrungswerte dieser WM bei den einzelnen Teams abfragen zu wollen; gerade der Umstand, dass der Kunstrasen sich durch den Granulatbelag aus Altreifen extrem aufheizt, sei als Problem erkannt. Der deutschen Mannschaft und ihrer Suche nach einem Ausblick in die Zukunft hilft das aber nicht weiter.

Nach dem Achtelfinal-Erfolg gegen Schweden (4:1) waren die Spielerinnen noch gefeiert worden, seitdem aber schaffte die Mannschaft kein Tor mehr aus dem Spiel heraus. Was weniger zu einer Frage der Flexibilität führt denn zu einer der Effektivität: Bis zum Ende lag Deutschland mit 20 Toren in der WM-Offensivstatistik vorne, bis zuletzt hatte Stürmerin Célia Sasic gute Aussichten, mit ihren sechs Turniertreffern als beste Torjägerin der WM ausgezeichnet zu werden. Diese Statistiken aber sind nichts wert, wenn die Stärke dahinter gegen Topteams nur unzuverlässig ausgespielt wird. "Natürlich ist die Sorge berechtigt, dass Deutschland weiter an der Spitze bleiben soll", meinte Neid. "Wir haben immer gesagt, dass wir über den Tellerrand schauen müssen." Bis Olympia 2016 ist nun immerhin ein Jahr Zeit.

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SZ vom 06.07.2015
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