Süddeutsche Zeitung

Svenja Huth:Das Tor liegt ihr auf der Zunge

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Von Anna Dreher, Bruz

Bei der Weltmeisterschaft in Frankreich sollte die stellvertretende Kapitänin Svenja Huth vor ein paar Tagen über die Stürmerin Svenja Huth sprechen. Die Offensivspielerin der deutschen Fußballnationalmannschaft hat bislang noch kein Tor geschossen bei diesem Turnier, das ist gemessen an ihrem Jobprofil an und für sich nicht so gut. Aber Huth äußerte sich einfühlsam und verständnisvoll über sich selbst, weil sie nun mal weiß, was in ihr vorgeht: "Na ja, sie geht gut damit um, weil es ja letztendlich nicht nur darauf ankommt, Tore zu schießen, sondern auch auf ganz viele andere Dinge", sagte die Vize-Kapitänin. Sie meinte etwa die Laufarbeit oder kämpferischen Einsatz.

Das waren passende Beispiele, denn die 28-Jährige, die bald von Potsdam nach Wolfsburg wechseln wird, hat besagte Qualitäten in den bisherigen vier Partien im Turnier ja gewinnbringend eingebracht. "Das haben Außenstehende vielleicht nicht so im Blick - aber wenn man das analysiert, dann sehen wir klar, dass ein Tor schon drei vier Pässe vor dem Abschluss anfängt", sagte Huth. Es stünden nun mal elf Spielerinnen auf dem Platz, die ihren Teil zum Erfolg beitragen, nicht nur diejenige, die mit dem Tor am sichtbarsten ist.

Toreschießen wie Pizzaessen

Dann hatte die Kapitänin Huth zu Ende gesprochen und übergab im selben Moment, ohne den Platz zu wechseln, das Mikrofon auf der Pressekonferenz an die Stürmerin: "Aber wenn ich dann mal treffe, freut es mich natürlich sehr, das ist eines der schönsten Gefühle", sagte Huth und lächelte ganz verträumt mit glänzenden Augen: "Ich sag' immer, dass das vielleicht vergleichbar ist mit einem leckeren Stück Pizza, diese Glücksgefühle."

Pizza steht bei einer Weltmeisterschaft wenig überraschend nicht auf dem Speiseplan der Nationalspielerinnen, es ist also durchaus nachvollziehbar, sich mit Toren zu behelfen, um ähnliche Emotionen zu durchleben. Nur ist Huth das bisher eben nicht gelungen. Obwohl sie zu denjenigen gehört, die gegen China, Spanien, Südafrika und Nigeria offensiv mit am auffälligsten waren. Huth ist auf ihrer Seite - meist ist es die rechte gewesen - den Flügel auf und ab gerannt, sie hat die Gegnerinnen unter Druck gesetzt, Mitspielerinnen nach vorne getrieben, gute Pässe gespielt. Nur eben noch kein Tor geschossen.

Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass das der deutschen Elf aus dem Spiel heraus erst vier Mal gelungen ist: Sara Däbritz grätschte gegen Spanien und traf gegen Südafrika, Kapitänin Alexandra Popp war per Kopf erfolgreich, Lea Schüller schoss gegen Nigeria nach einem Fehlpass ein Tor. Ansonsten jubelte die Mannschaft von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg fünf Mal nach Standards. Das war durchaus Thema im deutschen Quartier Domaine de Cicé-Blossac. Nur: Tor ist Tor, so sehen sie das auch im Team. Das Ergebnis dieser Statistik ist ja, dass Deutschland im Viertelfinale steht und dort am Samstag auf Schweden trifft. Sorgen um die Offensive macht sich hier niemand.

Am Donnerstagmittag konnte Svenja Huth ganz entspannt auf einem Sessel in der Lobby des Golfressorts sitzen, in kurzen Trainingsklamotten und mit einer Tasse Kaffee. Wenn Huth als Vize-Kapitänin und Stürmerin in Personalunion über sich und ihre Kolleginnen spricht, stört sie die mangelnde Quote bei Toren aus dem Spiel heraus nicht; sie hebt lieber die für sie herausragenden Eigenschaften dieses Mannschaftsteils hervor: Flexibilität, Variantenreichtum durch Positionswechsel, dadurch sei man schwerer berechenbar für die Gegner. "Wir müssen die kleinen Fehler im Spielaufbau unterbinden, lieber noch mal querspielen, nicht jeden Angriff gleich abschließen wollen", sagte Huth. "Aber wir sind in jedem Spiel in der Lage, mindestens ein Tor zu machen."

Unsichtbare Beiträge von Huth

In Giulia Gwinn, Melanie Leupolz, Lina Magull, Däbritz, Popp und Schüller wechseln sich die Namen auf der Liste der Torschützinnen bisher munter ab. Was natürlich auch daran liegt, dass es zu Voss-Tecklenburgs Herangehensweise gehört, bei Startaufstellung wie auch bei Einwechslungen nicht in festen Mustern zu verharren, sondern ein gutes Gespür dafür zu haben, wen sie aus ihrem Kader mit welchem Spezialauftrag betrauen kann. Bisher ging dieses Konzept auf, fast jede Spielerin kam ihren Aufgaben nach - auch wenn das selten zu spielerisch mitreißenden Darbietungen führte. Auch hier leistete Huth, die Vize-Kapitänin, zuletzt einen Beitrag, der für Außenstehende tatsächlich nicht sichtbar ist: mit vielen Gesprächen.

"Ich war gefühlt 20 Mal dabei, bis ich spielen durfte. Ich kann mich komplett in unsere Auswechselspielerinnen versetzen", sagte Huth. Viel lieber würde sie sich wieder in die Torschützen versetzen, vielleicht ja im Viertelfinale? "Ich", und jetzt antwortete wieder die Vize-Kapitänin, "wünsche es mir. Aber wenn wir 1:0 gewinnen und unsere Torhüterin macht das Tor, ist mir das auch recht."

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SZ vom 28.06.2019
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