Süddeutsche Zeitung

Frankreich bei der Fußball-WM:Spielt so ein Titelfavorit?

Lesezeit: 4 min

Von Benedikt Warmbrunn, Kasan

Paul Pogba stemmte die Füße fest in den Boden, die Beine hatte er weit auseinandergespreizt, jeder Muskel war angespannt, es war eine mächtige Geste: An mir, sagte jede Körperfaser Pogbas, kommt keiner vorbei. Dann bückte sich der Franzose, er schob den Hintern zurück, lehnte sich mit dem Rücken über den Ball.

Paul Pogba von Manchester United, nach eigenem Anspruch der Mann für die großen, ewigen, ruhmvollen Momente, spielte auf Zeit.

Hinter ihm drückten und drängten und schubsten und schoben Mile Jedinak und Aziz Behich, zwei dieser Australier, die Pogba nun seit 89 Minuten nervten mit ihren kantigen, niemals müden, niemals abwesenden Körpern, die mit ihrem ruppigen Spiel dem der Franzosen die Leichtigkeit, die Eleganz, die Erhabenheit genommen hatten. Also schirmte Pogba den Ball ab, er wollte die Zeit herunterlaufen lassen, es sollte einfach alles nur noch vorbeigehen. Es gelang ihm nur wenige Sekunden lang. Dann hatten die Australier Pogba weggeschoben und sich den Ball stibitzt. Pogba schlurfte müde hinterher.

Ein mühevolles, müdes, uninspiriertes 2:1

Wenig gelang den Franzosen in ihrem Auftaktspiel am Samstagmittag in Kasan, Pogbas Versuch in den Niederungen des Zeitspiels war da keine Ausnahme. Es war ein mühevolles, müdes, uninspiriertes 2:1 (0:0) der Franzosen, die gestartet waren als einer der Titelfavoriten. Bei beiden Treffern der Franzosen war zudem eine technische Neuerung hilfreich: Dem Elfmeter zum 1:0 von Antoine Griezmann (58.) ging ein Foul an ebenjenem voraus, das der Schiedsrichter erst nach einem Blick auf die Wiederholung erkannte; es war der erste Videobeweis der WM-Geschichte. Beim Siegtreffer (81.) wurde Pogbas Schuss von Behich abgefälscht, sprang an die Latte, dann knapp hinter die Linie (was die Linientechnologie dem Schiedsrichter meldete).

"Das war ein schwieriges Spiel", gestand Frankreichs Trainer Didier Deschamps, "kompliziert war es." Es war eine beschönigende Analyse. Acht Minuten lang zeigte seine Mannschaft, welchen Glanz sie erzeugen kann mit ihrer klangvollen Offensive. Die restlichen Minuten demonstrierte sie, dass sie eine Truppe der Künstler ist, die sich zu Großem berufen fühlt, die aber bitteschön dabei nicht durch so bodenständige Dinge wie Körperlichkeit, Einsatz und Leidenschaft belästigt werden will.

Es dauerte zwei Minuten, bis die Franzosen das erste Mal vorführten, wie sie bei dieser WM zu Torerfolgen kommen wollen. Benjamin Pavard, beim VfB Stuttgart einer der besten Innenverteidiger der Bundesliga, bei der WM als Außenverteidiger im Einsatz, war weit vorgerückt und passte einen halbhohen Ball, der sich tarnte als ein etwas ungenaues Zuspiel für Griezmann.

Dann rannte Kylian Mbappé los. Er sprintete an Mark Milligan und Behich vorbei, er streichelte den Ball, einmal, zweimal, dann schoss er, der Ball beschleunigte sich wie ein aufgezogenes Matchbox-Auto. Australiens Torwart Mathew Ryan wehrte gerade noch zur Ecke ab.

Dieses Muster wiederholten die Franzosen ein paar Minuten lang. Ein Ball über die zwei Viererketten der Australier hinweg, grob in die Nähe zu einem der drei flinken Angreifer Griezmann, Mbappé oder Ousmane Dembélé, die erstmals miteinander spielten. Dann rannte einer der drei los. Griezmann kam in Folge eines solchen schnellen Angriffs zu einem Abschluss aus der Distanz (6.). Danach hatte sich Australien sortiert.

Die Mannschaft von Bert van Marwijk zog die beiden Viererketten eng zusammen, sie attackierte spätestens den Spieler auf der Außenbahn - den Spieler also, der einen aus dem Dreigestirn in Szene setzen sollte. Sie attackierten dabei auch gerne rustikal, es gab einige Freistöße. Es gab aber auch immer weniger Franzosen, die nachrücken wollten. Pogba zum Beispiel beschränkte sich weitgehend auf die Rolle des ballverteilenden Feldmarschalls in der räumlichen und körperlichen Freiheit an der Mittellinie. Und der Dreizack wurde ungeduldig. Kam Mbappé einmal an den Ball, dribbelte er darauf los, als müsse er unbedingt in dieser Sekunde die WM entscheiden. Er entschied gar nichts. "Sie wussten nicht mehr, was sie tun sollen", sagte van Marwijk.

Am Ende humpelte Pogba sogar

"Wir waren nicht schnell genug, wir hatten den falschen Rhythmus, wir haben uns nicht gut koordiniert", sagte Deschamps, "wir haben Australien die Zeit gegeben, die Reihen zu schließen. Wenn wir die Mitte zugestellt haben, konnten sie über die Außen spielen." Dann sagte er, der ja auch als Verflechter der Einzelinteressen gefragt ist, noch einen Satz, der viel verriet über den Auftritt seiner Mannschaft: "Wir hatten nicht genug Fluss im Spiel. Das muss immer ein Ganzes sein."

Einen ihrer wenigen schnellen Angriffe spielten die Franzosen in der 54. Minute. Pogba passte in den Lauf auf Griezmann, der von Joshua Risdon gefoult wurde - das entschied Schiedsrichter Andres Cunha aus Uruguay zumindest, nachdem er sich die Bilder noch einmal angeschaut hatte. Griezmann traf mit einer Bestimmtheit, die auch seinem Spiel ansonsten fehlte. Keine vier Minuten später spielte dann Samuel Umtiti den Ball im eigenen Strafraum mit einer Handbewegung, die für einen Volleyballer sehr gewitzt gewesen wäre - Jedinak verwandelte den Elfmeter zum Ausgleich (62.).

Doch selbst nach dieser Warnung fanden die Franzosen nicht zurück zu den Ursprüngen ihrer Leichtigkeit, ihrer Schnelligkeit, ihrer Erhabenheit. Das entscheidende Tor leitete der eingewechselte Olivier Giroud ein, der neben einem furchteinflößenden Turban auch etwas Kampfgeist in die Partie brachte. Pogbas Schuss fälschte Behich ab, gegen die Latte, hinter die Linie, Ryan fing den Ball. Cunha gab das Tor. Pogba jubelte allenfalls innerlich, mit unbewegten Gesichtszügen ließ er sich von Giroud hochheben.

Als dieses nervige, quälende, so überhaupt nicht glanzvolle Spiel dann doch endlich vorbei war, lief Pogba langsam über den Platz, seinen Mitspielern hinterher. Er, der seine Künste kaum gezeigt hatte, hatte keine Kraft mehr. Er humpelte.

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